Erst kürzlich hat Mehmet Scholl wieder darauf hingewiesen, wie wichtig ein guter Start für einen erfolgreichen Turnierverlauf ist. Genau genommen ist es das erste Spiel, dem die Schlüsselrolle zufällt. Das erste ist wichtiger als das letzte. Selbst wenn das letzte das Finale ist. Denn eine Mannschaft, die den Start vergeigt, kommt meist erst gar nicht in die Verlegenheit, das Endspiel zu verlieren. Sie ist dann schon lange ausgeschieden.
„Ein Erfolg im ersten Spiel stärkt das Selbstvertrauen der Mannschaft“, sagt Joachim Löws Assistent Hansi Flick vor dem Auftaktspiel der deutschen Elf im ukrainischen Lwiw (Lemberg). Flick: „Der Erfolgsfall liefert Bestätigung für alles, was man in der Vorbereitung eingeübt hat. Daraus erwächst dann die Zuversicht, dass die Dinge auch im nächsten Spiel funktionieren.“
Die EM 1996 als Paradebeispiel
Manchmal liefert ein Auftaktsieg sogar den Treibstoff, um über Durststrecken im Turnier hinwegzukommen, ehe die Mannschaft am Ende wieder an die Leistungen der Startphase anknüpfen kann. Scholl hat dafür ein Beispiel: die EM 1996 in England. Der Filigrantechniker vom FC Bayern war damals auf dem Höhepunkt seiner Karriere in der Nationalmannschaft. Erster Gegner der deutschen Elf war damals Tschechien. Deutschland gewann 2:0, dann 3:0 gegen Russland. Ein Traumstart, dem eine lange Durststrecke folgte.
0:0 gegen Italien, ein mühsamer 2:1-Sieg gegen Kroatien und das Elfmeter-Drama gegen England (1:1 n. V., 6:5). „Italiener, Kroaten und Engländer waren damals besser als wir“, räumt Scholl ein, der heute für die ARD kommentiert. Nicht die Besseren, sondern Deutschland stand im Finale, wo die Elf von Berti Vogts auf Tschechien traf. Dort wiederholte sie den Auftaktsieg – wenn auch erst durch das Golden Goal des heutigen Teammanagers Oliver Bierhoff.
Deutschland hat noch nie ein EM-Auftaktspiel verloren
Nachdem Deutschland die erste Europameisterschaft 1968 wegen eines 0:0 beim krassen Außenseiter Albanien verpasst hatte, was als „Schmach von Tirana“ in die deutsche Fußball-Geschichte einging, war das Land für alle folgenden EM-Turniere qualifiziert. Bei keinem einzigen haben deutsche EM-Expeditionen ihr Auftaktspiel verloren. Fünfmal mussten sich die Deutschen mit einem Unentschieden zufriedengeben, was für den Turnierverlauf meist nichts Gutes bedeutete. In drei dieser fünf Fälle ging die deutsche Mannschaft sang- und klanglos unter und schied schon zur Vorrunde aus.
Die Begegnung mit dem Weltranglisten-Zehnten Portugal – Deutschland ist hinter Spanien und Uruguay Dritter – ist sicher eine der schwierigsten Startaufgaben für eine DFB-Auswahl. „Das ist eine seit Jahren eingespielte Truppe, die mit Pepe und Alves defensiv stark besetzt ist und in Nani und Ronaldo zwei Ausnahmestürmer besitzt“, sagt Flick. Damit sich nicht alles auf Cristiano Ronaldo, den neben Lionel Messi seit Jahren besten Stürmer der Welt, konzentriert und dann möglicherweise der Blick fürs Ganze verloren geht, hat Philipp Lahm gewarnt: „Wir spielen gegen Portugal, nicht gegen Ronaldo.“
Noch mehrere Fragezeichen bei der Aufstellung
Lahm war bis gestern Abend einer der wenigen, der sicher wusste, dass er spielen würde. Darüber hinaus verweigerten Löw und Flick konkrete Antworten auf Personalfragen. Stattdessen streuten sie Nebelkerzen. Zuerst Löw, der Lars Bender als Ersatz für den nachtschwärmenden Jerome Boateng ins Spiel brachte, dann Flick, der zu Miroslav Klose und Mario Gomez, den Konkurrenten um die Sturmspitze, nur verkünden wollte, dass es vorne „ganz eng zugeht“.
Gomez habe zwei starke Spielzeiten mit Top-Torquoten hinter sich. Klose dagegen sei ein Führungsspieler, der nach seiner Verletzung in der EM-Vorbereitung gewaltig aufgeholt habe. Flick: „Er ist ein Leader, einer, der die anderen mitnimmt. Er ist für unser Kombinationsspiel wichtig, ist sehr ballsicher und erfüllt die Form, die wir von ihm erwarten.“ Daraus lässt sich ableiten, dass Klose an seinem 34. Geburtstag sein 117. Länderspiel bestreitet.
Löw kann aus dem Vollen schöpfen
Per Mertesacker feiert zwar kein Jubiläum, darf sich aber dennoch freuen. Der 27-Jährige hat seine Trainingsblessur ohne großen Schaden überstanden. Mertesacker war mit Boateng zusammengeprallt, was pikant ist, weil beide sich um einen Platz in der Viererkette bewerben. Nach Mertesackers schneller Genesung sind alle 23 Akteure fit, was vor einem Auftaktspiel selten vorkommt.
Der EM-Fahrplan der deutschen Nationalmannschaft
11. - 18. Mai: Regenerations-Trainingslager auf Sardinien
12. Mai DFB-Pokalfinale FC Bayern - Dortmund in Berlin
18. - 30. Mai Trainingslager in Südfrankreich
19. Mai Champions-League-Finale FC Bayern gegen FC Chelsea in München
22. Mai Freundschaftsspiel FC Bayern - Niederlande
26. Mai Länderspiel gegen die Schweiz in Basel
29. Mai UEFA-Meldeschluss für den 23-köpfigen EM-Kader
31. Mai Länderspiel gegen Israel in Leipzig
1. - 3. Juni Kurzer Heimaturlaub der Nationalspieler
4. Juni Anreise ins EM-Quartier nach Danzig
9. Juni Deutschland - Portugal in Lwiw
13. Juni Deutschland - Niederlande in Charkow
17. Juni Deutschland - Dänemark in Lwiw
21./22. Juni evtl. EM-Viertelfinale in Warschau/Danzig
27./28. Juni evtl. EM-Halbfinale in Donezk/Warschau
1. Juli evtl. EM-Finale in Kiew
Sollte die Erfolgsserie deutscher Mannschaften beim Turnierstart dennoch reißen, könnte ausgerechnet Welt- und Europameister Spanien Zuversicht spenden. Die Spanier haben bei der WM 2010 in Südafrika ihr erstes Spiel gegen den Außenseiter Schweiz überraschend 0:1 verloren, den Titel nahmen sie später trotzdem mit nach Hause.