Von Nico Rosberg ist man Patzer dieser Qualität nicht gewohnt. Beim Hochgeschwindigkeits-Klassiker in Monza unterliefen dem Deutschen gleich zwei kapitale Fahrfehler, was nun wilden Spekulationen Tür und Tor öffnet. Es stellen sich gleich mehrere Fragen: Setzt dem Mercedes-Piloten das Psycho-Duell mit Teamkollege Lewis Hamilton stärker zu als gedacht? Flattern in der vorentscheidenden Phase des engen Titelrennens seine Nerven? Lässt er sich unter dem wachsenden Druck zu folgenschweren Fehlern verleiten? Eine gute Erklärung für seine Aussetzer fand auch Rosberg nach der vermeidbaren Niederlage beim Großen Preis von Italien nicht.
"Es hat nicht geklappt. Lewis hat es verdient, er ist ein tolles Rennen gefahren", sagte Rosberg direkt nach dem Europa-Finale. "Es waren meine Fehler." Sein Verfolger Hamilton sei extrem schnell gewesen und habe großen Druck auf ihn ausgeübt.
Zwei Stunden später führte der 29-Jährige in einer weiteren Presserunde im Mercedes-Motorhome die Furcht vor einem Bremsplatten als Erklärung für die zweimalige "Flucht" durch den Notausgang jeweils in der "prima variante" an: "Ich hätte die Kurve noch schaffen können, aber dann wäre der Vorderreifen eckig gewesen und ich hätte einen zusätzlichen Boxenstopp gebraucht."
Nur teilweise überzeugend
Ein Argument, das nur teilweise überzeugt. Denn bei seinem ersten Fahrfehler in der neunten Runde lag der führende Rosberg rund vier Sekunden vor Hamilton. Der von der Pole-Position gestartete Brite war wegen eines Kupplungsdefektes auf Platz vier zurückgefallen, kämpfte sich aber bravourös wieder nach vorn. Erst im 29. Umlauf von 53 Runden fuhr er direkt hinter Rosberg und profitierte von dessen erneutem Bock in der ersten Schikane kampflos.
Die britische Presse sieht Hamilton nach den Rosberg-Patzern im Vorteil. "Hamilton siegt nach Rosbergs Zerbrechen", titelte "The Telegraph". Laut "Guardian" profitierte Hamilton von den Fehlern des "umherirrenden Rosberg". Es gab aber auch Gerüchte, dies sei ein abgekartetes Spiel gewesen, um nach der Reifenschlitz-Affäre von Spa das aufgeheizte Klima wieder etwas abzukühlen. Die "Daily Mail" fragte ketzerisch, ob das ein "Zerbrechen oder eine Täuschung" gewesen sei.
Rosberg als Slalomweltmeister
Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff bezeichnete die beiden Fahrfehler als "nicht Nico like". Der Österreicher sprach dem problemlos durch die drei Reifenbarrieren kurvenden Rosberg Fähigkeiten "als Slalomweltmeister" zu.
Wolff hatte wie alle Teamverantwortlichen gleich mehrfach Grund zu Freude und Zufriedenheit. Nach dem Knatsch von Ungarn und der Kollision von Belgien ging es auf der Strecke zwischen den beiden Streithähnen endlich wieder friedlich zu. Der siebte Doppelerfolg dieser Saison war der Lohn. "Aus Teamsicht und um eine Balance herzustellen war dies das ideale Ergebnis", betonte Wolf. Es mache zudem "die meisten glücklich". Einzige Ausnahme dürfte Rosberg sein.
Beide Fehler zusammengerechnet kosteten Rosberg nach Berechnung des Fachmagazins "auto motor und sport" vier Sekunden. Der 29-Jährige verschenkte dadurch nicht nur seinen ersten Sieg im Königlichen Park, er erlitt auch einen Rückschlag im WM-Rennen. Statt seinen Vorsprung auf 36 Punkte ausbauen zu können, büßte der deutsche WM-Spitzenreiter (238) sieben Zähler ein und führt vor dem Großen Preis von Singapur mit 22 Punkten vor Hamilton (216).
Beim Saisonfinale gibt es die doppelte Punktzahl
Bei noch sechs ausstehenden Rennen für Hamilton ein leicht aufzuholender Rückstand, zumal es beim Saisonfinale in Abu Dhabi erstmals die doppelte Punktzahl gibt. Rosberg versuchte, den Rückschlag herunterzuspielen: "Das ist kein komplettes Desaster." Hamilton sprüht indes vor Zuversicht. "Es fühlt sich an, als ob ich auf dem Weg zu den letzten Rennen etwas Momentum zurückgewinnen konnte." Bei den Siegen führt er nun 6:4 gegen seinen Rivalen. Und ohne seine drei Ausfälle läge er gegenüber Rosberg, der bislang nur eine Nullrunde zu beklagen hat, schon jetzt vorn. (dpa)