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Sport: Olympia in Deutschland: Die Gegner formieren sich schon

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Olympia in Deutschland: Die Gegner formieren sich schon

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    Berlin und Hamburg überlegen, sich für die Olympischen Sommerspiele 2015 zu bewerben. Viele Bürger sind dagegen.
    Berlin und Hamburg überlegen, sich für die Olympischen Sommerspiele 2015 zu bewerben. Viele Bürger sind dagegen. Foto: Jan-Henrik Dobers

    Das kleine Stück Papier wirkt auf den ersten Blick wie die anderen unzähligen Fetzen an den Straßenlaternen und Ampeln im Hamburger Schanzenviertel. Inmitten anderer Botschaften hängt es da. Nebenan wirbt ein Zahnarzt mit Abreiß-Zettelchen, und eine Pilates-Gruppe buhlt um neue Mitstreiter. Doch dieser Papierstreifen, mit Folie sorgfältig überzogen, ist anders. Die Hamburger, die hier bei kaltem Novemberwind über die Straßenkreuzung huschen, lesen darauf folgende Botschaft:

    UNBEDINGT ERLEDIGEN

    - Milch kaufen

    - Fahrrad abholen

    - Fußballtraining

    - Ronald Schill rauskicken

    - Vattenfall den Stecker ziehen

    All diese Punkte sind durchgestrichen. Erledigt, von wem auch immer. Ronald Schill, den von vielen verhassten Ex-Justizsenator der Hansestadt, haben sie nach Brasilien verjagt. Und dem Stromriesen Vattenfall wurde ein Teil der Marktmacht genommen. Übrig geblieben ist auf dem Zettel nur ein Ziel: „Olympia in Hamburg verhindern“. Doppelt unterstrichen.

    Der DOSB will erst nächstes Jahr über eine Bewerbung entscheiden

    Es ist noch gar nicht klar, ob sich Hamburg offiziell bewirbt, geschweige denn Chancen hätte, die Olympischen Sommerspiele 2024 auszurichten. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will erst am 21. März über eine Bewerbung entscheiden. Mit Berlin gibt es zudem einen zweiten möglichen deutschen Kandidaten. Und dann würde auch noch die Bevölkerung gefragt, bevor man Ernst macht. Viele Wenns und Abers also. Es ist aber üblich geworden in solchen Fällen, dass sich die Gegner bereits jetzt formieren. Nach dem Motto: Wehret den Anfängen. Deshalb: Verhindern! Doppelt unterstrichen.

    Hier im alternativen Schanzenviertel spricht der Zettel nicht wenigen Menschen aus der Seele. Sie sind skeptisch gegenüber dem, was auf sie zukommen könnte. Der Verkehr. Die Touristen. Der Dreck. Der Kommerz. Argumente, wie man sie immer hört bei solchen Mammutprojekten. Allzu frisch ist die Erinnerung an Münchens Bewerbungspläne für die Winterspiele 2022, die die Bürger in allen Ausrichtungsorten haushoch ablehnten.

    Viele Berliner fürchten Überfüllung durch Touristen

    Studentin Judith Papenfuß wohnt gar nicht weit entfernt von der Ampel. An diesem kühlen Abend bei Nieselregen schiebt sie ihr Fahrrad durch das Viertel, in dem sich kleine Boutiquen mit Bars und alten Jugendstil-Bauten abwechseln. Die Restaurants sind hier fast zu jeder Tageszeit voll. Aus den Türen dampft die Wärme. Touristen hat man, wie in den Berliner Szene-Vierteln Kreuzberg und Neukölln, in diesem Viertel nicht gerne. Und hierher sollen in ein paar Jahren noch viel mehr Menschen kommen?

    Man bleibt lieber unter sich.

    „Eigentlich“, sagt Judith Papenfuß, „ist Olympia etwas Tolles.“ Doch die Hamburgerin verbindet mit diesem Großereignis nicht nur Positives. „Es ist alles so intransparent und so undurchschaubar, was Funktionäre und Politiker entscheiden und umsetzen wollen.“ Das ärgert sie. Was zähle die Meinung des Bürgers denn noch? Es sei so ein riesiger Haufen Geld, den die Stadt erst investieren müsse, um Olympische Spiele austragen zu können. „Es fehlt an so vielen Ecken und Enden. Ich weiß nicht, ob da ein solches Projekt unbedingt sein und das Geld des Steuerzahlers herhalten muss“, findet die 20-Jährige.

    Fünf Kilometer weiter nordöstlich, am Rande des Stadtparks, trainieren auch in den kühlen und sehr windigen Herbstmonaten die Spieler des Harvestehuder Hockeyclubs noch bis in die späten Abendstunden. 2800 Mitglieder sind im Verein aktiv. Tobias Hauke, 27, ist auf diesem Platz groß geworden. 2008 holte er mit der deutschen Mannschaft die Goldmedaille in Peking, vor zwei Jahren folgte Gold in London. Sport beherrscht sein Leben. Und er könnte sich nichts Schöneres vorstellen, als wenn Hamburg, seine Heimatstadt, die Spiele ausrichten würde. Bei dem Gedanken leuchten seine Augen. „Wir sind bereit, die Welt zu begrüßen“, sagt er. „Und die Stadt wird belebt.“ Hauke ist einer von denen, die sich fragen: Sind wir denn überhaupt noch in der Lage, ein großes Sportereignis nach Deutschland zu holen?

    Genau diese Belebung, die ratternden Presslufthammer und Millionen-Investitionen, fürchten viele. In den Stadtvierteln rund um die Außenalster, eine Art Stadtsee, möchten die Menschen wohnen, ohne eine Großveranstaltung vor die Nase gesetzt zu bekommen. Man setzt sich lieber selbst mit einem Glas Wein abends ans Ufer, breitet eine Decke aus oder geht zum Ausgleich nach der Arbeit eine Runde rudern. Das hohe Verkehrsaufkommen in der Stadt ist hier immer wieder ein Thema. Derzeit läuft mal wieder ein Antrag auf einen Volksentscheid. Es gilt zu verhindern, dass die Busspur verbreitert wird.

    Die Unterstützung der Bürger ist essenziell für den Bewerbungserfolg

    Dirk Seifert, 53, hat eher ein grundsätzliches Problem. Er ereifert sich über „die Intransparenz und Kungelei des IOC und des DOSB“. Für ihn sind die Spiele nur noch ein Kommerzbetrieb, gesteuert vom Internationalen Olympischen Komitee, bei dem der Sport in den Hintergrund gerate. Deshalb engagiert er sich für die Initiative (N)Olympia. Allein der Umstand, dass in der Hafenstadt südlich der Elbe, wo große Sportstätten entstehen sollen, Betriebe umgesiedelt würden und die Innenstadt noch mehr Baustellen verkraften müsse – das gehe doch nicht. „Sport ist eine gute Sache. Aber so, wie Olympische Spiele vermarktet werden, ist das eine Werbeaktion mit aggressivem Ausmaß.“

    Die Unterstützung der Bürger – so viel steht fest – ist ein, wenn nicht der Knackpunkt für den Erfolg einer Bewerbung. Bei einer ersten Umfrage des DOSB sprachen sich in Hamburg 53 Prozent für Olympia aus. Nur 53, sagen die einen, immerhin 53, die anderen. In Berlin liegt die Zustimmung bei 48 Prozent. Im Februar, einen Monat vor der Entscheidung, soll eine weitere Umfrage folgen. Hat man sich dann auf eine Stadt festgelegt, gibt es dort eine Bürgerbefragung. Erst im Erfolgsfall würde sich Deutschland dann offiziell bewerben.

    Man könnte nun daraus schließen: Hamburg hat derzeit die Nase vorn. Gäbe es nicht noch andere Faktoren. Die deutschen Spitzenverbände etwa sollen mehrheitlich für Berlin sein. Dann ist da noch Christa Thiel mit ihrem jüngsten vehementen Plädoyer für die Bundeshauptstadt. Ausgerechnet jetzt, wo man sich auf strikte Neutralität im Vorfeld geeinigt hat. Ausgerechnet von einer hohen DOSB-Funktionärin. Thiel ist Vizepräsidentin des Sportbundes. Der erste Knatsch ist da. Ihr Chef Alfons Hörmann aus Sulzberg im Allgäu schimpft: „Wir alle sollten uns davor hüten, jetzt einen Wettkampf zwischen den beiden Städten zu schüren.“

    Berlin also. Im Minutentakt donnern die Flugzeuge über das Gewerbegebiet am Rande des Flughafens Tegel. Die kleinen Häuser mit den flachen Dächern wirken, als duckten sie sich unter den großen Verkehrsmaschinen weg. Eine trostlose Gegend, in der die Straßen keine Namen, sondern Nummern haben. Kaum vorstellbar, dass hier in wenigen Jahren ein pulsierendes Zentrum entstehen könnte. Wenn der Plan der Senatsverwaltung aufgeht, dann entsteht in direkter Nachbarschaft das olympische Dorf.

    Immer vorausgesetzt – ganz ohne Häme –, der neue Hauptstadtflughafen wird rechtzeitig fertig. Dann werden in Tegel keine Flieger mehr landen. Auf den Grünflächen östlich der Start- und Landebahnen sollen Wohnungen und Trainingsplätze für Sportler entstehen. Wenn die Athleten wieder weg sind, soll das olympische Dorf Kern eines neuen Stadtviertels werden – ein Hochtechnologie- und Industriestandort mit rund 15 000 Arbeitsplätzen und bezahlbaren Wohnungen.

    In Berlin sollen die Athleten mit Elektro-Shuttlers transportiert werden

    Das politische Berlin will die Spiele unbedingt. Es sollen „nachhaltige und zukunftsorientierte“ Spiele sein, wie es in der offiziellen Bewerbungsbroschüre heißt. Ein Großteil der Wettkampfstätten sei bereits vorhanden, für viele der geplanten Neubauten gebe es ein Konzept für eine Nachnutzung. Auch die Umwelt soll geschont werden, indem die Athleten mit Elektro-Shuttles zu den Wettkämpfen transportiert werden.

    Doch die lediglich 48 Prozent Zustimmung in der DOSB-Umfrage zeigen auch: Es gibt natürlich jede Menge Vorbehalte. Vor allem wegen der Kosten. Viele Bürger fürchten, dass das Ereignis immense Summen verschlingen wird, die die Stadt an anderer Stelle klüger investieren könnte. Passant Dieter Friedrich aus dem Ortsteil Biesdorf ist so einer. Er habe nichts gegen Olympia, sagt er. Allerdings frage er sich, ob ausgerechnet Berlin die Spiele ausrichten muss. „Wenn ich mir die alten Leute anschaue, die am Hungertuch nagen, und auf der anderen Seite wird so viel Geld verpufft, kann ich das nicht nachvollziehen.“

    Vor allem der öffentliche Nahverkehr und die Schulen hätten eine Finanzspritze bitter nötig, sagt Judith Demba vom Berliner Bündnis NOlympia: „Die Schulen zerfallen, die Sanitäranlagen sind unter aller Sau.“ Die Gegner glauben auch, dass die ohnehin steigenden Mieten in der Stadt noch schneller nach oben klettern könnten.

    Olympische Spiele würden Hamburg 6,5 Milliarden Euro kosten

    Senatssprecher Richard Meng bezeichnet solche Argumente als „totalen Quatsch“. Die Furcht vor steigenden Mieten sei in allen größeren Städten gegenwärtig. Darauf hätten Olympische Spiele keinen Einfluss. Auch die Angst vor einer Kostenexplosion hält Meng für überzogen und verspricht: „Wir werden mit Abstand preiswerter arbeiten als London oder Peking.“ Der Senat rechnet mit rund zwei Milliarden Euro Kosten. Hamburg geht von 6,5 Milliarden aus, allein 2,2 Milliarden würden für neue Sportstätten benötigt. Wenn man so will, ein Plus für Berlin. Zumal dort die meisten Sportstätten schon stehen.

    Die Skepsis der Berliner Bevölkerung hält Meng für „vorübergehend“. Er glaubt, dass die Zustimmung steigen wird, wenn das Projekt Olympia erst mal konkret wird.

    Wenn es bis dahin nicht längst schon verhindert worden ist.

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