In wegweisenden Lebenssituationen bemüht der ratlose Mensch ja gerne den Aberglauben. Nun ist Ratlosigkeit vielleicht ein wenig überzogen, aber ein gewisses In-den-Seilen-Hängen ist beim Kongress des Internationalen Skiverbandes (FIS) in Korea schon erkennbar – auch bei der Oberstdorfer Delegation. Vier, teilweise fünf lange Tage und (wegen der Zeitumstellung) meist kurze und schlaflose Nächte nagen an den Kräften. Vor allem an den mentalen. Alle fünf Minuten tun sich hier nämlich neue Fakten auf, erst recht, seitdem sich alle vier Bewerber um die Nordische Ski-WM 2017 vor dem FIS-Vorstand präsentiert hatten. Fakten, die auch die zwölf weit gereisten Allgäuer in ihrer Motivation, die WM im dritten Anlauf nach Hause zu bringen, mal stark bremsen und mal rasant beschleunigen.
Wer ist denn nun eigentlich Favorit?
Gestern Abend, als das High-1-Skiresort die 800 Kongress-Teilnehmer zum pompösen Dinner geladen hatte und auf einmal die Behauptung die Runde machte, dass nun Planica und nicht mehr Zakopane Top-Favorit sei, da wurde es Stefan Huber zu bunt: „Was wollt ihr eigentlich? Schaut mal, wo wir sitzen. Und in welches Stockwerk bringt uns der Hotellift eigentlich allabendlich?“, fragte er. Huber, der als Geschäftsführer der Skisport- und Veranstaltungs-GmbH seit einem Jahr an der Bewerbung bastelt, blickte in die Runde, zog die Augenbrauen nach oben und genoss es, dass am Oberstdorfer Tisch doch noch nicht alle grauen Zellen eingeschlafen waren. „Klar, 17“ und „Ja genau“ hörte er – und fasste zusammen: „Na, wenn das mal kein gutes Omen ist.“ Dass ihm dieser Satz zwei Minuten zu spät, nämlich um exakt 20.19 Uhr, über die Lippen ging, soll den Funken Oberstdorfer Hoffnung nicht erlöschen. Die Zahl 17 als Glücksbringer für die WM 2017.
Glück hin oder her, es hat sich in den letzten Tagen deutlich herauskristallisiert, dass Oberstdorf vor der heutigen Entscheidung um zwölf Uhr deutscher Zeit eher Außenseiter-Chancen hat.
Stimmen wichtiger als Lob
„Ich kann mir gut vorstellen, dass sich viele Council-Mitglieder bis zuletzt offenlassen, für wen sie stimmen“, sagte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Skiverbandes und seit zwei Jahren selbst Mitglied im FIS-Vorstand. Oskar Fischer, ein Duz-Freund von FIS-Präsident Gian Franco Kasper und aufmerksamer Zuhörer auf den Kongress-Gängen, glaubt an ein äußerst knappes Ergebnis. Die absolute Mehrheit (acht von 15 Stimmen) ist bei vier Bewerbern in einem Wahlgang kaum möglich. „Da jeweils der Kandidat mit den schlechtesten Stimmen ausscheidet, kann sich das Blatt auch immer wieder wenden“, glaubt der 73-jährige Oberstdorfer an ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. „Wütend“ würde ihn nur eines machen: „Wenn Zakopane nach drei gescheiterten Versuchen aus Mitleid den Zuschlag bekommt.“ Deren Präsentation sei nämlich eher durchschnittlich gewesen, und die kurzfristigen Absagen der Junioren-WM 2010 sowie eines Kombinations-Weltcups im letzten Winter (den dann Oberstdorf übernahm) würden eine deutliche Sprache sprechen, wie es mit dem Organisationstalent der Polen bestellt sei. Ein Pauschallob bekamen dagegen die Vorstellungen von Oberstdorf, Lahti und Planica. Doch von dieser gut gemeinten Zustimmung, das haben die letzten beiden erfolglosen Kandidaturen gezeigt, kann sich vor allem Oberstdorf nichts kaufen. „Wir brauchen kein Lob, sondern Stimmen“, hatte Stefan Huber noch vor zwei Tagen gesagt. Aberglaube war da noch gar kein Thema.