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Fußball: Ist Sicherheit im Stadion mit Pyrotechnik vereinbar?

Fußball

Ist Sicherheit im Stadion mit Pyrotechnik vereinbar?

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    Pyrotechnik wird von der DFL und den Clubs abgelehnt.
    Pyrotechnik wird von der DFL und den Clubs abgelehnt. Foto: dpa

    Marc (Name von der Redaktion geändert) kann sich an sein erstes Mal gut erinnern. Im Januar 2008 war das. Beim Freundschaftsspiel zwischen dem FC Augsburg und dem FC Bayern München im Rosenaustadion. Marc stand auf den Betonstufen seines Blocks, als er aus seiner Jacke ein bengalisches Feuer herauskramte und zündete. Dass es verboten war, wusste er. Das dreieinhalbjährige Stadionverbot traf ihn dennoch hart.

    Marc, 26, ist Ultra. Ein Fußballfanatiker. Einer, der seine Freizeit nur dieser einen Sache opfert. Seine Freundin könne das – obwohl selbst Fan – nicht immer verstehen, erzählt er. Marcs Liebe zum Verein gleicht einer Religion, der er angehört.

    Ausgeübt werden die Riten an jedem Spieltag: Mit Freunden ins Stadion ziehen, jetzt ist das die Augsburger SGL-Arena, die Spieler bedingungslos anfeuern, aufwendige Choreografien inszenieren, Fahnen schwenken und für Stimmung sorgen – so zelebriert Marc seine heilige Messe. „Pyrotechnik ist dabei ein stimmungsförderndes Stilmittel“, sagt er. Sie sorge für zusätzliche Motivation unter den Glaubensbrüdern.

    Den einen Ultra gibt es nicht

    Für Marc bedeutet das gelebte Fankultur. Die der Ultras. Wobei es den einen Ultra nicht gibt. Marc arbeitet als Angestellter, vor dem Interview hatte er einen Termin beim Bankberater. Kariertes Hemd, gepflegtes Äußeres, Wassertrinker, eloquent. Marc ist kein gewalttätiger Prolet, der am Wochenende volltrunken randaliert.

    Mit Marc als Schläger ließe sich die Geschichte leichter erzählen. Pyrotechnik als Teufelswerk kopfloser Gewalttäter. Auch die gibt es. So aber ist es eine Geschichte mit Hoffnungen, Versprechungen und Annäherungen, die in Missverständnisse, Enttäuschungen und verhärtete Fronten mündet, für die der Weichmacher bisher nicht gefunden wurde.

    Gewaltproblem im Fußball umstritten

    Der Profifußball in den Bundesligastadien hat ein Gewaltproblem, sagen die einen. Er hat keines, behaupten die anderen. In die Köpfe vieler Menschen haben sich Bilder gefressen: von Ultras, die Bengalos schwenkend den Platz stürmen; von Vermummten, die Fackeln auf den Rasen schleudern und Rauchbomben zünden; von Krawallmachern, die sich prügeln; von Heerscharen von Polizisten, die an jedem Wochenende für Sicherheit sorgen müssen.

    Es sind auch Bilder aus Stadien, wo die Lage eskalierte, wie beim Pokalspiel zwischen Hannover und Dresden im Oktober – mit nun harten Konsequenzen für die Sachsen

    Pyrotechnik ist das Sinnbild für Randale

    Politiker fordern härtere Maßnahmen, Verbände sollen sie umsetzen, Vereine bewegen sich zwischen den Fronten, Fans reagieren mit Protest und Grenzübertritten. Gewalt, Stehplatzverbote, Einlasskontrollen, Bürgerrechte – alles wird wild miteinander vermischt, wobei den tiefen Graben zwischen dem harten Fankern und dem Rest der Liga-Welt ein Thema versinnbildlicht: der Streit um Pyrotechnik.

    Bengalos gefährlich, aber von den Ultras geliebt

    In der jetzigen, illegalen Form, räumt Marc ein, seien Bengalos äußerst gefährlich. Er räumt auch ein, dass die Ultras darauf verzichten könnten. Wollen sie aber nicht. Weil mehr dahintersteckt. Weil es eine Form des Protests gegen die Obrigkeit aus Deutschem Fußball-Bund (DFB), Deutscher Fußball-Liga (DFL) und der Politik sei, so Marc.

    „Wir leben in unserer Parallelwelt, haben unsere eigenen Gesetze – mitunter konträr zum Staat.“ Menschen außerhalb der Szene verstünden nicht, warum sich seine Gruppe auflösen würde, wenn die Zaunfahne, das Ultra-Symbol schlechthin, verloren ginge.

    Ultras "bessere" Fans als andere?

    In Marcs Worten schwingt Stolz mit und dass er sich und seine Gesinnungsgenossen für die „echten“ Fans hält. In ihrem Fußballweltbild ist es unbegreiflich, dass DFL-Geschäftsführer Christian Seifert einen Bub mit Vater auf einem Sitzplatz ebenso schätzt wie sie. Sie prangern die Kommerzialisierung ihres Fußballs an – auch wenn ihnen ohne die Arenen die Bühne für ihre aufwendigen Shows genommen würde. Pokal-Ausschluss für Dynamo Dresden

    „Wir werden als nettes Beiwerk akzeptiert, das den Besuch des Stadions für andere attraktiv macht“, sagt Marc. Die Ultras fühlen sich mächtig, fordern Mitspracherecht – obwohl sie nur einen kleinen Teil des Produkts Bundesliga ausmachen. Um ihre Bedeutung zu untermauern, verstummten an den vergangenen drei Spieltagen die Kurven.

    Mit einem Boykott wollten Ultras zeigen, wie es aussieht, wenn Fankultur verloren geht. Die Ultras, sonst in den Farben getrennt, zeigten sich in der Sache vereint. Zwölf Minuten und zwölf Sekunden Stille. Zudem organisierten sie Protestmärsche.

    Konzepte und Initiativen sollen Lösung bringen

    Das Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“, eine Reaktion der DFL auf den politischen Druck, hat den Konflikt zwischen Anhängern und Verbänden nochmals verschärft. Zugespitzt hat er sich vor fast zwei Jahren. Im Januar 2011 trafen sich in Frankfurt am Main Vertreter von Polizei, Fans, Verbänden und Vereinen. Die Initiative „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ präsentierte dabei ein zwölfseitiges Dossier. Zielsetzung: ein kontrolliertes Abbrennen von Pyrotechnik in Stadien.

    Über 50 Ultra-Gruppen hatten sich zu einem Grundsatzkatalog mit Einschränkungen durchgerungen. Für die Kampagne mit am Tisch saß Rechtsanwalt Benjamin Hirsch. „Alle haben an einem Strang gezogen“, bekräftigt er. Helmut Spahn, damals DFB-Sicherheitschef, zeigte sich gesprächsbereit. Die Hardcore-Fans werteten dies als positives Signal. Sie fühlten sich ernst genommen. Eine Annäherung.

    Testphase für kontrollierte Pyrotechnik scheiterte

    Um den Einfluss der Initiative abschätzen zu können, forderte Spahn an den ersten drei Spieltagen der Saison 2011/2012 einen Pyro-Verzicht von der 1. Bundesliga bis hinunter in die Regionalligen. Im Erfolgsfall wollte der DFB den kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik prüfen. Zudem holte das DFB-Präsidium ein Rechtsgutachten ein.

    In der Testphase zählte die Initiative acht bengalische Fackeln in sechs Wochen. Der DFB kam auf 21 – und erklärte das Ziel für „nachweislich verfehlt“. Spahn, der Ausreißer einkalkuliert hatte, war indes zufrieden, weil der Trend passte. Nur arbeitete er inzwischen in Katar – der Initiative fehlte ihr Ansprechpartner.

    Am 1. September 2011 kam der Kurswechsel. „Wie aus dem Nichts“, sagt Hirsch. DFB und DFL erklärten die Gespräche für beendet – wegen der gescheiterten Testphase. Heute sagt Geschäftsführer Seifert, DFB und DFL hätten sich damals „extrem unglücklich angestellt“. Was gesetzlich verboten ist, könne ein Sportverband nicht legalisieren. Das habe zu Enttäuschungen geführt, so Seifert. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hat das Verhalten Seiferts, der stets über die Initiative informiert gewesen sein soll, in seiner Autobiografie scharf kritisiert.

    Lehrgänge für Pyrotechniker

    Rechtsanwalt Hirsch und Fanorganisationen wie „Unsere Kurve“ oder „Pro Fans“, die hinter der Kampagne standen, zeigten sich irritiert. Vor allem, weil nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Rechtsgutachten des DFB einen begrenzten Einsatz von Pyrotechnik in Fußballstadien für möglich hielt.

    Wolf-Ingo Hummig, Leiter der Pyrotechnikerschule Peißenberg im Kreis Weilheim-Schongau, überrascht dies nicht. Das illegale Zünden sei „hochgefährlich“. Wenn aber der Sicherheitsabstand eingehalten würde und sämtliche Auflagen erfüllt seien, wäre Pyrotechnik möglich, sagt er. Wie beispielsweise bei Theateraufführungen.

    Hummig erzählt von einem Fan des Hamburger SV, der bei ihm einen Lehrgang absolvierte und sich staatlich anerkannter Pyrotechniker nennen darf.

    Pyrotechnik bleibt verboten - Ultras fühlen sich hintergangen

    Die Realität ist: Pyrotechnik bleibt verboten. Als Reaktion auf den Abbruch der Gespräche brannte es danach in den Fanblöcken. Die Ultras fühlten sich vom DFB hintergangen. Vor drei, vier Jahren hätte man das Problem im Griff gehabt, äußerten Sicherheitsbeauftragte. Nun ist es massiv zurückgekehrt.

    Die Initiative „Pyrotechnik legalisieren“ hatte in Ultra-Kreisen an Einfluss verloren. Die Fronten verhärteten sich. Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei registrierte in der vergangenen Spielzeit 77 Prozent mehr Strafverfahren wegen des Abbrennens von Pyrotechnik als in der Vorsaison.

    Alarmierende Zahlen für die Politik, die im Sommer dieses Jahres den Druck erhöhte. Auf dem Sicherheitsgipfel verschärfte Innenminister Hans-Peter Friedrich den Ton, um Pyrotechnik auszulöschen. Er drohte mit zehnjährigen Stadionverboten und der Abschaffung der Stehplätze – dem Damoklesschwert, das stets über den Ultras schwebt.

    Entscheidung über Konzept "Sicheres Stadion" soll am 12.12. fallen

    Nicht eingeladen waren Fanvertreter. Die Hardliner unter den Ultras hatten sich längst abgewandt. Auch das Verhältnis zwischen Vereinen und der DFL war gestört. Als der Dachverband zur Besänftigung der Politiker sein Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ vorstellte, lehnten es etliche Klubs ab.

    Die Ultras empfanden den Maßnahmenkatalog, den die 36 Profivereine auf der morgigen Vollversammlung verabschieden sollen, als weitere Daumenschraube. Morgen ist der 12.12. Deshalb die zwölf Minuten und zwölf Sekunden Stille in den Stadien. Proteste gegen "Sicheres Stadionerlebnis"

    Als sich Frankfurter Fans im November in München Ganzkörperkontrollen unterziehen mussten – einer Maßnahme des Sicherheitspapiers –, wurde dies von Fanvereinigungen als nächster Angriff auf den zaghaft begonnenen Dialog zwischen Fans, Vereinen, Verbänden und Politik empfunden.

    Muskelspiel der Ultras gegen den DFB

    Die Ultras pflegen derweil an jedem Spieltag ihre Feindbilder DFB und DFL. Mit Banner, Sprechchören – und Pyrotechnik. „Das ist ein Muskelspiel. DFL und DFB – wir zeigen euch, wo es langgeht“, sagt Jurist Hirsch.

    Ultra Marc geht davon aus, dass das Sicherheitskonzept am Istzustand nichts ändern wird. Ultras werden weiter tausend Grad heiße Brennstäbe in der Menschenmenge zünden, Vereine und Verbände werden versuchen, dies durch noch schärfere Kontrollen und Überwachungssysteme zu unterbinden.

    Die Fronten werden hart bleiben.

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