Nach exakt zweieinhalb Stunden Spielzeit war der erste Halbfinaleinzug von Kerber bei den All England Championships perfekt. Das mit Spannung erwartete Aufeinandertreffen auf dem ehrwürdigen Centre Court war nur Ende des zweiten Satzes hochklassig - zu schwankend spielte Lisicki. Die Vorjahreshalbfinalistin konnte nicht an ihre Weltklasse-Leistung aus dem Vormatch anknüpfen, als sie sensationell die Weltranglisten-Erste Maria Scharapowa geschlagen hatte.
Am Ende erwies sich die 24 Jahre alte, so enorm laufstarke Linkshänderin als nervenstärker als die eineinhalb Jahre jüngere Fed-Cup-Kollegin. Auch im dritten Hauptfeld-Vergleich mit ihrer voraussichtlichen Olympia-Doppelpartnerin ging sie schließlich als Siegerin vom Platz. Kerber erreichte damit erst als vierte Deutsche in der Profi-Ära der Grand-Slam-Turniere die Vorschlussrunde von Wimbledon - nach Bettina Bunge, Steffi Graf und Lisicki.
Kerber trifft in ihrem zweiten Grand-Slam-Semifinale - nach den US Open 2011 - entweder auf ihre gute Freundin Agnieszka Radwanska aus Polen oder die Russin Maria Kirilenko. Kerber feierte bereits ihren 45 Matchgewinn in dieser Saison - das ist Spitze auf der WTA-Tour.
Dabei war Lisicki zuvor in der englischen Presse gefeiert worden. "Scharapowas Bezwingerin", titelte der "Daily Telegraph" mit einer jubelnden Lisicki auf der Frontseite. Und auch der "Guardian" schwärmte: "Angriffslustige Lisicki zeigt die Zähne."
Gegen die gewohnt variabel und hochkonzentriert spielende Kerber aber wirkte sie zunächst verunsichert bei ihrem Lieblingsturnier und längst nicht so vor Selbstbewusstsein strotzend - nach dem ersten Satz ließ sie sich am linken Daumen behandeln. Danach kämpfte sie sich in die Partie.
Im zweiten Satz wehrte sie bei 4:5 und im Tiebreak insgesamt drei Matchbälle ab. Mit viel Mut und starken Aufschlägen rettete sie sich in den dritten Satz. Die mental so überragende Kerber, die schon im Achtelfinale Kim Clijsters deklassiert hatte, zeigte sich als die konstantere Spielerin. Trotz eines 3:5-Rückstands kämpfte sie sich zurück und brachte den Sieg mit ihrem fünften Matchball nach Hause. dpa