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Kreis Augsburg: Schatz vom Lechfeld schreibt die Geschichte um

Kreis Augsburg

Schatz vom Lechfeld schreibt die Geschichte um

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    Ein skurriler Anblick mitten auf dem Lechfeld: Im neuen Baugebiet "An der Leite" gruben Archäologen mehr als 60 Skelette aus.
    Ein skurriler Anblick mitten auf dem Lechfeld: Im neuen Baugebiet "An der Leite" gruben Archäologen mehr als 60 Skelette aus. Foto: Carmen Janzen

    Wer heute Augsburg in Richtung Süden verlässt, kommt vorbei an Messe und Universität, lässt entlang der B 17 Fußballstadion links und riesiges Industriegebiet rechts hinter sich liegen, fährt durch eine weite, Ebene, auf der kaum etwas dem Blick Halt gibt. Diese Landschaft ist das Ergebnis Jahrtausende langer menschlicher Siedlungsgeschichte. Entstanden ist sie während der letzten Kaltzeit. Als diese vor etwa 10 000 Jahren mit der Würm-Eiszeit endete, blieb zwischen Lech und Wertach ein breiter Schotterrücken stehen, auf dem sich in der Folge Sand und Humus ablagerten. Über die Zeit baute sich so eine mehrere Meter mächtige Schicht fruchtbarsten Lößbodens auf – ein Schatz für jeden Landwirt. Und wie sich heute zeigt, ein Schatz für Archäologen.

    Vor mindestens 8000 Jahren, das belegen Funde, begannen die ersten Menschen, die dicht bewaldete Ebene zu roden und Ackerbau zu treiben. Das hat sich im Grunde seitdem nicht geändert. Die Böden gehören immer noch zu den besten Ackerflächen Schwabens – auch wenn sie nun, nach rund 8000 Jahren, in denen sie Generationen von Menschen ernährten, bedroht sind von den immer weiter wuchernden Städten und Gemeinden an ihren Grenzen.

    Schatz zeigt: Bisherige Theorien sind falsch

    Doch mit dem Verschwinden des einen Schatzes kommt auch ein anderer Schatz ans Tageslicht. Gräber und Reste von menschlichen Siedlungen. Seit Mitte der 80er Jahre wird im Süden von Augsburg intensiv gegraben. Begonnen hat alles mit der Ausweisung großer Industriegebiete. Bevor die riesigen Hallen und Bürogebäude in Augsburgs Süden in die Höhe wuchsen, durften die Archäologen nach menschlichen Hinterlassenschaften suchen. Über 50 Hektar sind seitdem in den Blick genommen worden – und die Ausbeute war reich. Allein fast 400 Gräber aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit kamen zum Vorschein – vom Einzelgrab bis zu Grabfeldern mit mehreren dutzend Gräbern.

    Wie auf einer Perlschnur aufgereiht liegen die Fundstätten östlich und westlich des Streifens fruchtbaren Ackerbodens. Zumindest an seinem Ostrand hat man auch Reste dazugehöriger Siedlungen gefunden, einzelne Gehöfte mit wenigen Häusern. Die Anzahl der Funde ist europaweit herausragend. Gesichert und dokumentiert haben die Archäologen Keramik, Werkzeuge, Schmuck und Waffen aus einer Zeit enormer gesellschaftlicher Umbrüche: Mit der Verwendung von Metall, das nicht überall zu finden ist, bekommt der Austausch von Waren einen viel höheren Stellenwert. In der Folge differenziert sich auch die Gesellschaft immer weiter. Doch wie die Menschen zusammengelebt haben, ihre Rituale und Bräuche, all das ist noch immer voller Rätsel.

    Noch etwas viel Wertvolleres aber haben die Forscher gefunden: Reste von Knochen. In Plastikbeuteln und Kartons lagert das Material mittlerweile bei Sebastian Gairhos und Michaela Hermann im Archiv der Stadtarchäologie Augsburg sowie im Archäologischen Museum Königsbrunn und in der Anthropologischen Staatssammlung München. Teile davon hat nun ein Team um Philipp Stockhammer von der Universität Heidelberg und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena für eigene Untersuchungen bekommen. Sie wollten wissen, wie der Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeitverlief, bisher datiert auf etwa 2300 v. Chr. Gab es eine Parallelexistenz von Menschen, die steinzeitlich blieben, und Menschen, die schon die Bronze übernommen haben?

    Die Ergebnisse, die Stockhammer und Krause nun im Fachmagazin Plos One veröffentlicht haben, schlagen hohe Wellen. Sie zeigen, dass Theorien, mit denen Forscher zum Teil schon 100 Jahre gearbeitet haben, falsch sind. Und: Die Analyse der in Augsburg und Umgebung über Jahrzehnte akribisch gesammelten und dokumentierten Funde – die Basis der aufsehenerregenden Entdeckungen – hilft auch das Rätsel um die berühmte Himmelsscheibe von Nebra zu lösen, die 1999 in Sachsen-Anhalt gefunden wurde.

    Menschliche Überreste aus 140 Gräbern südlich von Augsburg datiert

    Stockhammer und Krause haben mit der sogenannten Radiokarbonmethode – ein chemisches Verfahren zur Altersbestimmung organischer Materialien – die menschlichen Überreste aus 140 Gräbern südlich von Augsburg datiert. Bisher verließ man sich bei der Datierung der Gräber vornehmlich auf die darin gefundenen Objekte. Vereinfacht gesagt: Sehen sie gleich aus, kommen sie in ähnlichen Zusammenhängen vor, stammen sie aus derselben Epoche. Dahinter steht die Annahme, dass mit der Verbreitung der Metallverarbeitung die Technik im Laufe der Zeit immer besser beherrscht wird und dementsprechend immer komplexere Produkte hervorbringt. Doch so linear lief der Prozess wohl doch nicht.

    „Wir konnten zeigen, dass der Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeit in der Augsburger Gegend flächendeckend ab circa 2150 v. Chr. stattfindet – also später als bislang gedacht. Innerhalb weniger Jahrzehnte entscheiden sich die Leute, die neue Technologie zu übernehmen, es gibt keine Parallelexistenz. Aber dann verwenden die Menschen bis um das Jahr 1700 v. Chr. herum dieselben einfachen Metallobjekte. Die wenigen Objekte, die nicht gehämmert, sondern gegossen worden sind, kommen aus der Ferne, das wissen wir aus Metallanalysen“, sagt Stockhammer. Die Menschen in der Region kennen die neue Technik also, wollen sie aber nicht übernehmen, so seine neue Theorie. „In anderen Regionen läuft das ganz anders. In Mitteldeutschland gehen die Menschen mit der neuen Technologie quasi von null auf 100, experimentieren sehr schnell mit komplizierten Gusstechniken“, so Stockhammer weiter. Warum sich die Menschen auf dem Lechfeld verweigern, ist eine der Fragen, die sich nun stellen.

    Dafür sind einige andere Rätsel ihrer Lösung näher: Jenes der Himmelscheibe von Nebra etwa. Sie stammt aus der Frühbronzezeit, um etwa 1640 v. Chr., da sind sich die Forscher einig. Unklar war bislang allerdings, warum sie noch in der gleichen Epoche vergraben wurde. Noch weniger ins Bild passen die Schwerter, die an der gleichen Fundstelle auftauchten – solche Waffen gibt es erst seit der Mittelbronzezeit. Nach Stockhammer beginnt die Frühe Bronzezeit in Ost- und Süddeutschland zwar wohl zu verschiedenen Zeiten. Sie endet aber in beiden Regionen fast gleichzeitig um 1700 v. Chr. Damit wäre klar, dass die Himmelscheibe von Nebra zwar aus der Frühbronzezeit stammt, aber erst nach deren Ende deponiert wird. „Die Gesellschaft hat sich grundlegend geändert und kann mit den Objekten nichts mehr anfangen“, so Stockhammer.

    Die Mittlere Bronzezeit, die etwa 1300 v. Chr. endet, dauert also länger. Dafür spricht auch, dass sie eine Zeit des Umbruchs ist. Aus dieser Epoche stammen nicht nur die erwähnten Schwerter und Dolche. Auch Tote werden nun mit komplexem Schmuck und verzierten Gewändern bestattet. Hügelgräber lösen die vorherrschenden Flachgräber ab, Handelsbeziehungen reichen bis nach Südskandinavien, was etwa Bernsteinfunde belegen.

    Mit der aktuellen Veröffentlichung von Stockhammer und Krause haben die Augsburger Gräber aber noch längst nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben. „Die Knochen lagen im Schotter und sind daher stark fragmentiert. Aber wir haben in Augsburg eine DNA-Erhaltung, wie wir sie sonst nur in Permafrostböden in Sibirien antreffen“, erzählt der Forscher mit hörbarer Begeisterung in der Stimme. Warum das so ist, weiß niemand. Jedenfalls steht die Veröffentlichung der aufwendigen DNA-Analysen noch aus. Mit ihnen könnte geklärt werden, woher die Bronzezeitmenschen vom Lechfeld stammen, wie sie verwandt waren, welche Haarfarbe sie hatten. Und vielleicht sogar, warum sie in der Mittelbronzezeit plötzlich verschwanden.

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