Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser ist steinig und eng. „Langsam, langsam“, mahnt Masio Vicenç, „vorsichtig bewegen!“ Mit geduckten Köpfen geht es immer weiter hinein in die Höhlenwelt von Stalagmiten und Stalaktiten. Die Felsbrocken sind mitunter scharf wie Skalpelle. Erst später, im Meer, wird ein Brennen am Ellenbogen melden, dass die Haut tatsächlich aufgeschlitzt worden ist. Vicenç scheint nach ein paar weiteren Metern angekommen. Vorerst. „Alle Taschenlampen aus!“, ruft er auf Englisch. Zu sehen: nichts. Zu hören: nur die Wellen, die am Eingang der Höhle gegen die Felsen grollen. „So fühlt sich Mallorca an“, bricht Vicenç das Schweigen. „Ist das nicht wundervoll?“
Masio Vicenç, nach den eigenen scherzhaften Angaben 80, augenscheinlich jedoch Mitte bis Ende 50, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Urlaubern das „wahre“ Mallorca zu zeigen, das Mallorca abseits der Bettenburgen und überfüllten Strände. Auf dem Flughafen von Palma landen und starten an einem normalen Sommersamstag im Schnitt 1000 Flugzeuge. Diesen Sommer sollen noch einmal mehr Gäste kommen, als in den Jahren zuvor. 26,4 Millionen sollen es bis Ende Oktober sein. Viele suchen nach wie vor die Sause in Arenal, andere die Naturschönheit, immer mehr sportliche Abenteuer.
Immer entlang der Küste
Die Naturliebhaber und Abenteurer sind potenzielle Kunden für Masio Vicenç. Er zeigt ihnen seine Heimat, die Halbinsel La Victoria im Norden, die weniger berühmt, aber genauso schön ist wie die Halbinsel Formentor, mit der sie die Bucht von Pollenca bildet. Der geringere Bekanntheitsgrad kommt La Victoria dabei nur zugute. In Ruhe lässt sich hier die Schönheit der zu weiten Teilen unter Naturschutz stehenden Halbinsel mit ihren wilden Olivenbäumen, Zypressen, Palmen, zerklüfteten Felsküsten und einsamen Badebuchten entdecken.
Vicenç kennt La Victoria „Zentimeter für Zentimeter“, fast sein ganzes Leben hat er hier verbracht. Bei seinen Touren führt er Urlauber nicht nur über Wanderwege oder durch dunkle Höhlen. Beim Coasteering wird gewandert, geklettert, geschnorchelt und von Felsen gesprungen – alles immer entlang der Küste. Die Plätze dafür sucht Vicenç aus. Ziel ist es, gemeinsam die Felsküste ohne Boote oder Surfbretter zu entdecken. Die Idee stammt ursprünglich aus Wales. Coasteering wurde dort erstmals Anfang der 90er Jahre als Touristenattraktion angeboten.
Vicenç bezeichnet sich selbst als der „spanische Entdecker“ des Urlaubssports. Vor fünfzehn Jahren, erzählt er, wurde Coasteering auf Mallorca aus der Not geboren. Weil es einem britischen Paar auf einer Wandertour im Sommer zu heiß wurde, schlug sich das Trio bis ans Meer durch, um sich dort den Weg zurück über die Felsen mit Sprüngen ins kühle Wasser zu erleichtern. Die Wanderschuhe seien danach zwar ruiniert gewesen, sagt Vicenç, aber was soll’s. Und überhaupt: Im Grunde habe er das doch schon immer gemacht. „Unsere Mütter sagten immer: Klettert nicht in den Felsen herum – also...“
Vermutlich ist genau das auch die Antwort auf die Frage, wie Vicenç die Hindernisse so leichtfüßig überwinden kann. Er tänzelt voran, die Urlaubergruppe schleicht hinterher. Die Felsen, über die er führt, sind mal von Algen überwuchert, mal glatt, meistens rutschig. „Ihr müsst euch konzentrieren“, ruft Vicenç. Und wirft hinterher: „Keine Sorge, jeder schafft die Tour.“
Das sagt der Mallorquiner, der zäh wie ein Ölbaum wirkt, schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag. Eine leichte Aufregung macht sich breit. Was wohl noch kommen wird? Es dauert zehn Minuten, die Gruppe hat sich gerade von einem kleinen Felsvorsprung aus einer nach dem anderen ins Meer fallen lassen, da wartet die nächste Herausforderung: ein kleiner Unterwassergang, der durchschwommen werden muss. Geduldig erklärt der Profi, worauf es jetzt ankommt: tief Luft holen, untertauchen und durch. Eigentlich klar. Fragen gibt es trotzdem: „Wie lange muss man wohl die Luft anhalten?“, „Einfach geradeaus?“, „Und wenn ich mir den Kopf anschlage?“
Wer hochsteigt, muss auch runterspringen
Nach gefühlt fünf Minuten ist die Gruppe wieder beisammen. Alle haben den Weg gefunden. Zum Durchatmen bleibt erst mal keine Zeit. Bis zum sprichwörtlichen Höhepunkt der Tour sind es nur noch wenige steinige Meter. Sie gilt es mit quietschenden Neoprenschuhen zu bewältigen. Immer wieder rutschen die Füße leicht ab, immer wieder kehren die Gedanken an einen gemütlich-lockenden Liegestuhl am Strand zurück. Vicenç ist schon oben, als er in einer Mischung aus Englisch und Spanisch ruft: „Gleich geschafft! Gleich springen wir!“ Seine dunklen Augen leuchten, die Vorfreude ist ihm anzusehen. Dann sein Tipp: „Habt einfach Vertrauen.“
Doch woher nehmen, wenn man in etwa sieben Metern Höhe hinab aufs Meer blickt? Die sich plötzlich wie 70 anfühlen. Die Hände zittern, vielleicht vor Anstrengung, wahrscheinlich vor Angst. „Wer hochsteigt, muss auch runterspringen“, hatte Vicenç kurz zuvor noch betont. Nachdrücklich. Die Strömung, der Fels, der Rückweg wäre zu beschwerlich. Springen also. Vertrauen. Jeder schafft das.
Während der eine schreit, fällt der andere stumm ins Meer, fuchtelt dafür aber umso mehr mit den Armen. Vicenç springt als Letzter – ohne Geschrei, ohne Gezappel. Doch irgendwie ist danach auch ihm die Erleichterung anzusehen. Ob sich schon mal jemand ernsthaft verletzt hat? Vicenç lacht auf: „Normalerweise werde ich das immer vor dem Ausflug gefragt.“ Dann verneint er.
In 17 Jahren habe es noch keinen Unfall gegeben – zumindest keinen mit einem Urlauber. Er selbst sei manchmal vielleicht etwas zu mutig. Mehr verrät er nicht. Vicenç hat auch keine Zeit. Er ist schon wieder unterwegs zum nächsten Ziel.
Es sind nur noch ein paar Meter schwimmend durchs Meer, dann ist der Schotterstrand irgendwo im Nirgendwo erreicht. Andere Urlauber sind nicht zu sehen. Stattdessen wartet eine Belohnung. Vicenç, so frisch wie zu Beginn der mehrstündigen Tour, hat bereits ein Tuch ausgepackt und den „Tisch“ gedeckt.
Es gibt Rotwein, mallorquinischen Käse, mit Olivenöl bestrichenes, ungesalzenes Brot, fette Wurst, Tomaten, Orangen, Meerblick. Dazu Pläne für eine Wanderung am nächsten Tag. Als Ausläufer des Tramuntana-Gebirges verfügt die Halbinsel La Victoria über durchaus anspruchsvolle und sehr lohnenswerte Touren, erzählt Vicenç. Geht es nach ihm, ist das Ziel längst noch nicht erreicht, wird auch sein nächster Weg kein leichter sein.
Kurz informiert
Anreise Flüge von München nach Palma de Mallorca gibt es unter anderem über Tuifly ab 59 Euro pro Person und Strecke.
Anbieter Auf eigene Faust sollten Urlauber keine Coasteering-Touren unternehmen. Grupotel Natur bietet Halbtages-Ausflüge für 45 Euro pro Person an. Der Preis beinhaltet Transfer, Guide sowie Picknick.
Unterkunft Vom Grupotel Alcudia Suite aus lässt sich gut in den sportlichen Tag starten. Eine Nacht im Studio inklusive Frühstück kostet ab 28 Euro pro Person.