Sie schocken ältere Aussiedler mit fingierten Unfallmeldungen und zocken ihre deutsch-russischen Opfer gewaltig ab. Den Ermittlungen der Kripo zufolge sind es litauische Banden, die mit sogenannten „Schock-Anrufen“ in russischer Sprache in ganz Deutschland große Kasse machen. Allein im Raum Augsburg sind bislang 45 Fälle bekannt, bei denen die Täter weit über 100 000 Euro erbeuteten.
Dank der Umsicht einer Aussiedlerfamilie in Aichach gelang der Polizei, ein litauisches Brüderpaar festzunehmen. Die beiden Männer standen vergangene Woche vor einem Augsburger Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Christoph Dössinger.
Seniorin mit Lügengeschichte um Geld gebeten
Anfang Juli klingelte bei einer Russlanddeutschen, 79, das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die sich in russischer Sprache als Tochter der Rentnerin ausgab. „Mama, Mama, ich habe bei einem Unfall ein kleines Mädchen schwer verletzt. Du musst mir helfen“, jammerte die angebliche Tochter weinend.
„Wie kann ich dir helfen?“, fragte die 79-Jährige, die zunächst tatsächlich an ein schlimmes Geschehen glaubte. „Ich kann nicht mehr reden, ich gebe dir einen Anwalt“, sagte die weibliche Stimme. Der angebliche „Rechtsanwalt“, der sich nun am Telefon meldete, erklärte, man benötige 20 000 Euro, um eine Notoperation des verletzten Kindes zu bezahlen. Das Geld werde gleich vom Vater des Mädchens abgeholt.
Witwe alarmierte ihren Sohn
Die Witwe („Ich war richtig geschockt“) alarmierte jedoch ihren Sohn, der sich wiederum bei seiner Schwester, der Tochter der Rentnerin, erkundigte. Doch die hatte gar keinen Unfall. Der Sohn, 58, als Zeuge: „Ich hab gleich gedacht, das ist ein Betrug.“ Als der „Geldabholer“, ein Litauer, 35, in der Wohnung erschien, wurde er von dem Sohn und dem Enkel der Rentnerin festgesetzt. Die Polizei nahm ihn und wenig später auch seinen in einem Auto wartenden Bruder, 23, fest.
Gestern im Prozess räumten die beiden Angeklagten (Verteidiger: Moritz Bode und Michael Schuler) lediglich ein, sie seien in Litauen angeworben worden, um in Deutschland einen Geldbetrag abzuholen. Mehr wüssten sie nicht. Der ermittelnde Kripobeamte allerdings wusste umso besser Bescheid über Organisationsstrukturen und Vorgehensweise der Banden, die ihre Opfer „auf gut Glück“ aus dem Telefonbuch auswählen.
Banden haben ausgeklügelte Pläne
Denn russische Aussiedler sind häufig aufgrund heute nicht mehr üblicher Vornamen wie Eugen oder Eduard auszumachen. „Bei etwa jedem zehnten oder zwölften Anruf liegen die Täter richtig“, so der Kripobeamte. Dann werden die Opfer mit erfundenen Unfallgeschichten, an denen angeblich Tochter, Sohn oder Enkel beteiligt sind, schockiert.
Ein „Anwalt“ schaltet sich am anderen Ende der Leitung ein, der dann vorschlägt, mit Bargeld sei alles gut zu machen. Viele ältere Aussiedler, so der Ermittler, hätten Geld zu Hause, weil sie für ihre eigene Beerdigung sparten.
Täter waren auch schon in Raubüberfälle verwickelt gewesen
Zwei Banden-Teams „arbeiten“ unabhängig voneinander: die beiden Anrufer und die beiden Geldabholer. Ein Koordinator steuert das gesamte Geschehen, dirigiert die Geldabholer per SMS via Computer (um eine Rückverfolgung auszuschließen) zum Wohnort der Opfer.
Die Geldabholer seien mit fünf Prepaid-Handys ausgerüstet, die – wenn das Guthaben abtelefoniert ist – weggeworfen würden, hat die Kripo recherchiert. Telefondaten führten zwar immer nach Litauen, die Hintermänner blieben aber im Dunkeln.
Die Banden sind offenbar nicht nur für die Schockanruf-Masche verantwortlich. Gegen die beiden Angeklagten bestehen schon weitere Haftbefehle. So sollen sie in Marburg und in Schweden an brutalen Raubüberfällen, so auf einen Juwelier, beteiligt gewesen sein.
Der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Betrüger wird am kommenden Freitag, 14. Dezember, 10.30 Uhr fortgesetzt.