Es sind Bilder, die heute durch die Medien gehen: Ein praktisch leerer Bundestag. Ein paar einzelne Abgeordnete sitzen da, als Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau das "Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens" zur Abstimmung aufruft. Es , dann ist das Meldegesetz verabschiedet. Es besagt - unter anderem - , dass Meldeämter personenbezogene Daten an Adresshändler weitergeben dürfen. Und es macht es den Bürgern schwieriger, sich gegen den Verkauf ihrer Daten zu wehren.
Abstimmung während des EM-Halbfinales
Vor allem die Art und Weise, wie das Gesetz im fast leeren Bundestag durchgebracht wurde, empört viele Menschen. Die Abstimmung fand parallel zum EM-Halbfinale Deutschland-Italien statt - und ging darin regelrecht unter. Öffentlich wurde das Gesetz kaum wahrgenommen - wie auch die Pressemitteilungen, in denen Oppositionspolitiker die Neuregelungen scharf kritisierten. Und warum stimmte eigentlich kaum ein Abgeordneter mit - wo waren sie stattdessen?
Wir haben bei den Bundestagsabgeordneten von Augsburg-Stadt und Augsburg-Land gefragt - mit erstaunlichem Ergebnis. Von den sieben Abgeordneten antworteten zwei überhaupt nicht. Für zwei antworteten ihre Büros. Die übrigen drei Abgeordneten antworteten - und begründeten mehr oder weniger plausibel, warum sie nicht an der Abstimmung teilnahmen.
Eduard Oswald (CSU)
antwortete überhaupt nicht.
Miriam Gruß (FDP)
gab bis 16 Uhr am Montag ebenfalls keinerlei Stellungnahme ab.
Christian Ruck (CSU)
Sein Büro teilte mit, es habe Schwierigkeiten, Ruck zu erreichen.
Erwin Lotter (FDP)
Lotter meldete sich "aufgrund der Terminlage" nicht. Sein Büro erklärte, dass Herr Lotter "in diesem Fall wie stets in Kenntnis des Beratungsgegenstandes an der Abstimmung teilgenommen hätte, sofern nicht zum Zeitpunkt der Behandlung der betreffenden Gesetzesvorlage im Plenum ein gesundheitspolitisches Gespräch seine Anwesenheit erfordert hätte."
Heinz Paula (SPD)
Er bestätigte, nicht an der Abstimmung teilgenommen zu haben. "Der Deutsche Bundestag ist im Gegensatz zum britischen Unterhaus ein sogenanntes Arbeitsparlament. Das bedeutet, ein großer Teil der parlamentarischen Arbeit spielt sich in den Ausschüssen ab. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldegesetzes beispielweise wurde im Vorfeld federführend im Innenausschuss beraten und abgestimmt." Aus diesem Grund seien zu diesem Zeitpunkt nur die Fachleute aus den jeweiligen Fraktionen anwesend gewesen.
Wo er selbst zum Zeitpunkt der Abstimmung war, wollte Heinz Paula trotz ausdrücklicher Anfrage nicht mitteilen. Er lehne das Gesetz aber ab, "weil es ein Einknicken vor den Interessen der Wirtschaftslobby bedeutet – auf Kosten des Datenschutzes." Und weiter: "Leider haben auch die Medien das Thema sehr spät aufgegriffen und selbst die Verbraucherministerin scheint erst jetzt, nach der Abstimmung, die Brisanz des Themas zu begreifen."
Claudia Roth (Grüne)
Das missglückte Meldegesetz - eine Chronologie
28. Juni: Der Bundestag verabschiedet das neue Meldegesetz. Darin eingeschlossen: Eine kurzfristig von CSU und FDP eingebrachte Änderung, nach der sich Bürger nicht mehr so einfach gegen die Weitergabe ihrer Daten wehren können.
An der Abstimmung nehmen nur 27 Abgeordnete teil - zeitgleich läuft das EM-Halbfinale Deutschland-Italien.
In Pressemitteilungen kritisieren Oppositionspolitiker - darunter die Nördlinger SPD-Abgeordnete Gabriele Fograscher - die Neuregelung. Das große Medienecho bleibt aber zunächst aus.
In den nächsten Tagen berichten mehrere Fachportale wie heise.de und Blogs wie netzpolitk.org über den geschwächten Datenschutz im Meldewesen.
05. Juli: Die SPD kündigt an, das vom Bundestag beschlossene neue Meldegesetz im Bundesrat doch noch stoppen zu wollen.
6. bis 8. Juli: Die Neuregelung schlägt jetzt immer höhere Wellen in den Medien.
8. Juli: Auch Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sieht nun Nachbesserungsbedarf beim neuen Meldegesetz. «Nach dem Beschluss des Bundestags sehe ich hier noch Diskussionsbedarf», sagt sie der «Berliner Zeitung».
9. Juli, vormittags: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) lehnt vorschnelle Kritik an dem vom Bundestag verschärften Meldegesetz ab. Der Datenschutz werde dadurch gegenüber der jetzigen Rechtslage verbessert, sagt er vor den Medien.
9. Juli, vormittags: CSU-Chef Horst Seehofer kündigt an, das vom Bundestag verschärfte Meldegesetz zu stoppen. «Wenn das stimmt, was ich bisher weiß, dann wird Bayern dem nicht zustimmen», sagt er.
9. Juli, später Vormittag: Die Bundesregierung distanziert sich vom Meldegesetz. Man gehe davon aus, dass es im parlamentarischen Verfahren wieder verändert werde.
9. Juli, nachmittags: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich rechnet nach eigenen Angaben fest damit, dass der Bundesrat das umstrittene Meldegesetz zumindest in Teilen entschärft.
6. September: Der Innenausschuss des Bundesrates plädiert dafür, dass der Vermittlungsausschuss von Länderkammer und Bundestag sich den Entwurf noch einmal vornimmt und korrigiert.
Sie habe nicht an der Abstimmung teilgenommen, erklärte Roth, "sondern mich, wie in vielen anderen Fragen auch, auf die zuständigen Fachleute unserer Fraktion bezogen. Auf der üblichen Präsenszliste zur Abstimmung war ich nicht eingeplant, so wie das bei entsprechenden fachpolitischen Entscheidungen die Regel ist." Außerdem "habe ich mit der deutschen Mannschaft im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft mitgefiebert."
Claudia Roth betonte, dass die Grünen im Bundestag gegen die umstrittene Regelung stimmten. "Ich hoffe, dass die Bundesregierung und Verbraucherministerin Aigner und Justizministerin Schnarrenberger den eigenen Meldegesetz-Entwurf kannten. Der heutige Rückzieher der Bundesregierung beim Meldegesetz ist jedenfalls hoch peinlich."
Alexander Süßmair (Die Linke)
"Ich habe nicht an entsprechender Sitzung teilnehmen können", erklärte er. "Zu diesem Zeitpunkt war ich mit einer Besuchergruppe des Bundespressamtes unterwegs." Den Inhalt des Gesetzentwurfs habe er vor der Sitzung nicht gekannt. "Wie bereits der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar erläuterte, gab es nur drei Tage Zeit sich mit dem abschließenden Entwurf zu beschäftigen, da die Regierungskoalition kurz vor der abschließenden Lesung das Gesetz nochmals umformulierte und es dabei massiv verschlechterte." Süßmairs Kritik: "Unverständlicherweise wurde bei den Beratungen der Ausschuss für Verbraucherschutz, dem ich angehöre, nicht beteiligt." Er lehne das Gesetz ab.
Update 10. Juli: Miriam Gruß teilte uns heute mit, sie habe die Email-Anfrage nicht erhalten.