Wäre alles ganz anders gekommen, wenn nicht im Januar 2011 einige 14-jährige Schüler in der syrischen Stadt Daraa unweit der Grenze zu Jordanien regierungsfeindliche Parolen an Hauswände gesprüht hätten? Dieses Ereignis, genauer gesagt die brutale Reaktion des syrischen Staates darauf, war der Beginn von Demonstrationen, die zum Aufstand und zum inzwischen sieben Jahre andauernden Bürgerkrieg führten.
Wäre also ohne jene Sprühaktion, für die Kinder eingesperrt und gefoltert wurden, der Konflikt nicht ausgebrochen? Nein, das ist nicht anzunehmen. Denn der Funke des Widerstands lag in den Jahren des Arabischen Frühlings in der Luft.
Und das seit 1970 in Syrien herrschende Assad-Regime zeichnete sich durch äußerste Brutalität der Sicherheitskräfte und der Geheimdienste sowie die systematische Benachteiligung der größten Bevölkerungsgruppe des Landes, der sunnitischen Muslime, aus. Diese Diktatur musste geradezu den Aufstand gegen den Machthaber provozieren.
Putin rettete Assad im Bürgerkrieg den Kopf
Jetzt, nach Jahren des Bürgerkriegs und hunderttausenden Toten, ist das Assad-Regime wieder obenauf. Russlands Präsident Wladimir Putin rettete Baschar al-Assad den Kopf. 2015 schien der Diktator am Ende zu sein. Aber als Putins Luftwaffe massiv bombardierte, gewann das Regime Stadt um Stadt zurück. Am wichtigsten war 2016 der Einmarsch in das jahrelang umkämpfte Ost-Aleppo.
Die wichtigsten Akteure im Syrien-Krieg
Im Syrien-Krieg gibt es verschiedene Akteure mit ganz unterschiedlichen Interessen.
Regierung: Anhänger von Präsident Baschar al-Assad beherrschen die großen Städte des Landes. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte die Rebellen aber dank massiver russischer und iranischer Hilfe in vielen Gebieten zurückdrängen, unter anderem aus der Großstadt Aleppo. Assad sitzt derzeit fest im Sattel.
Rebellen: Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten. Zu diesen gehören die mächtigen Gruppen Ahrar al-Scham und Dschaisch al-Islam. Moskau ist von seiner Forderung abgerückt, diese auf die Terrorliste zu setzen.
Politische Opposition: Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationale Koalition in Istanbul.
Islamischer Staat (IS): Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten weiterhin riesige Gebiete. Allerdings mussten die Extremisten in den vergangenen Monaten mehrere Niederlagen einstecken. Für sie und andere Terrorgruppen gilt die landesweite Waffenruhe nicht.
Al-Kaida: Auch die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Scham (Ex-Al-Nusra-Front) ist von der Feuerpause ausgenommen. Sie kämpft mit anderen Rebellen um die Vorherrschaft im Nordwesten Syriens.
Kurden: Kurdische Streitkräfte beherrschen mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei. Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS und führen die Offensive auf die Dschihadisten-Hochburg Al-Rakka. Die Türkei betrachtet sie als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und bekämpft sie deshalb.
Russland: Moskau ist wichtigster Verbündeter der Regierung. Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Sie richten sich gegen den IS ebenso wie gegen Rebellen, die mit der Terrormiliz verfeindet sind.
Iran: Teheran ist ein treuer Unterstützer der Assad-Regierung. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Auch die von Teheran finanzierte libanesische Schiitenmiliz Hisbollah sowie andere bewaffnete Gruppen sind in Syrien an Assads Seite im Einsatz.
Türkei: Sie ist mittlerweile der einflussreichste Partner der Rebellen. Ankara war neben Moskau maßgeblich daran beteiligt, dass es zu einer neuen Waffenruhe kam. Türkische Truppen sind in Nordsyrien im Einsatz, wo sie Rebellen im Kampf gegen den IS unterstützen.
USA und der Westen: Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Deutschland stellt unter anderem sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien und ein Flugzeug zur Luftbetankung. Der Einfluss des Westens auf den Konflikt ist aber wesentlich geringer geworden. (Quelle: dpa)
Hat der Westen versagt? Warum hat er nicht auf der Seite der Opposition massiv in den Kampf um die Macht in Syrien eingegriffen? Die Zurückhaltung ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der Ereignisse in Libyen. Dort richtete die Nato im Auftrag des Weltsicherheitsrats 2011 eine Flugverbotszone ein und schützte die Zivilbevölkerung. Allerdings flogen die Nato-Bomber weiter, bis Machthaber Muammar al-Gaddafi gestürzt war. Russland und China interpretierten diesen Regimewechsel als „Überdehnung des UN-Mandats“ – und verhinderten im Fall Syrien durch ihr Veto jede Sicherheitsratsresolution.
Viele westliche Regierungen hätten aber einen Militäreinsatz in Syrien ohne UN-Mandat der eigenen Bevölkerung nicht vermitteln können. Hinzu kam, dass die Fronten in Syrien unübersichtlich waren und ein Einsatz westlicher Soldaten wohl äußerst verlustreich geworden wäre. So zögerte auch US-Präsident Barack Obama – selbst dann noch, als das Assad-Regime eine „rote Linie“ überschritt und Giftgas einsetzte. Der Westen beließ es bei halbherziger Unterstützung der untereinander zerstrittenen Rebellen.
Obamas Militärkoalition spielt Assad in die Hände
Anders im Fall der Terrormiliz „Islamischer Staat“, die 2014 in Syrien und im Nordirak große Gebiete eroberte und die dem Westen den Kampf ansagte und Attentate auf der ganzen Welt verübte. Gegen sie bildete Obama eine Militärkoalition unter Führung der USA, die mit Luftangriffen die islamistischen Terroristen „vernichten“ sollte. Das ist, zumindest was die Kontrolle von Territorien angeht, inzwischen gelungen.
Doch damit hat der Westen gleichzeitig Assad in die Hände gespielt, indem er den IS als dessen gefährlichsten Gegner ausschaltete. Putin scheint, obwohl die Kämpfe andauern, gewonnen zu haben: Er konnte das mit der Sowjetunion und später mit Russland verbündete Assad-Regime retten, dessen Sturz von Washington jahrelang stereotyp gefordert wurde. Der Kreml-Boss erteilte dem Westen eine Lektion – auch wenn Syrien heute ein mehrfach geteiltes Land ist und kaum wieder in seiner alten Gestalt erstehen wird. Sollte in Syrien Frieden einkehren, würde aber auch der Westen profitieren – weil dann viele Flüchtlinge heimkehren und ihr Land neu aufbauen könnten.