Die Grünen haben ihre beiden Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir mit klaren Ergebnissen im Amt bestätigt. Wenige Tage nach ihrer Schlappe bei der Urwahl der Partei richtete der Parteitag in Hannover die langjährige Parteichefin Roth wieder auf - mit einem Traumergebnis von rund 88,5 Prozent. Özdemir wurde mit 83,3 Prozent wiedergewählt. Zudem bestimmten die rund 800 Delegierten den gesamten Vorstand und den Parteirat neu.
Nach der Urwahl-Schlappe Erfolg für Roth
Erst vor knapp einer Woche hatte Roth an Rückzug gedacht, weil sie beim Mitgliederentscheid über das Wahlkampf-Spitzenduo mit nur 26 Prozent eine herbe Niederlage eingefahren hatte. Nun erhielt sie ihr zweitbestes Ergebnis nach ihrer ersten Wahl 2001, als sie 91,5 Prozent einfuhr. Özdemir hatte vor zwei Jahren noch 88,5 Prozent bekommen.
Das ist Claudia Roth
Claudia Roth erblickte am 15. Mai 1955 im schwäbischen Ulm das Licht der Welt. Sie wuchs in der Nähe von Memmingen als Tochter einer Lehrerin und eines Zahnarztes auf. Die linksliberale Gesinnung der Eltern hatte erheblichen Einfluss auf ihren Werdegang.
Nach dem Abitur studierte sie für zwei Semester Theaterwissenschaft in München. Das Landestheater Schwaben stellte sie 1975 als Dramaturgin ein. Anschließend arbeitete Claudia Roth für das städtische Theater in Dortmund und für das Kinder- und Jugendtheater in Unna.
In Dortmund lernte sie die Kult-Band "Ton, Steine, Scherben" um Frontman Rio Reiser kennen. Von 1982 bis 1985 war Claudia Roth die Managerin der Gruppe. Gleichzeitig lebte sie zusammen mit den Musikern in der Scherben-Kommune in Schleswig-Holstein.
Schon als Jugendliche engagierte sich Claudia Roth bei den Jungdemokraten. 1985 begann ihre Laufbahn bei den Grünen. Über die taz suchte die Bundestagsfraktion eine Pressesprecherin. Claudia Roth bewarb sich erfolgreich und behielt die Position bis 1989. Anschließend wurde sie ins Europaparlament gewählt.
In Brüssel setzte sie sich vor allem für die Wahrung der Menschenrechte ein. Insbesondere versuchte sie die Lage der kurdischen Minderheit in der Türkei zu verbessern. Aber auch die Gleichstellung Homosexueller war für Claudia Roth ein zentrales Anliegen.
1998 wurde Claudia Roth in den Bundestag gewählt. Bis 2001 stand sie dem neu gegründeten Ausschuss für humanitäre Hilfe und Menschenrechte vor. Anschließend übernahm sie für knapp zwei Jahre den Parteivorsitz.
Nachdem 2003 eine Lockerung der strikten Trennung von Amt und Mandat beschlossen wurde, kandidierte Claudia Roth 2004 erneut für den Parteivorsitz. Sie konnte die Wahl für sich entscheiden und wurde seither immer wieder im Amt bestätigt.
2004 wurde sie für ihr Engagement als Beauftragte für humanitäre Hilfe und Menschenrechte mit dem Ritterorden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet.
Claudia Roth ist außerdem Sprecherin des DFB-Umweltbeirates. 2010 hat sie sich erfolgreich für eine klimafaire FIFA Frauen-WM eingesetzt.
2013 gibt Claudia Roth nach der Wahl ihr Amt als Parteivorsitzende ab und ist seither als Bundestags-Vizepräsidentin in der Politik aktiv.
Sie habe Stunden mit Schatten und Licht erlebt, sagte Roth in ihrer heftig umjubelten Rede. "Aber die Trauerzeit ist vorbei." Sie bat um eine ehrliche Antwort, ob das Vertrauen in sie noch da sei - so wie sie eben sei: "Das ändern will ich nicht, und geklonte Identität mag ich nicht." Sie versprach: "Kämpfen kann ich, liebe Freundinnen und Freunde, und das Nerven, das gewöhn' ich mir auch nicht mehr ab." Der Basis bat sie an, ihr stets beiseite zu stehen: "Ruft an, wenn ich kann, dann komm ich gern." Erneut wertete Roth die Urwahl trotz Schlappe positiv.
Unterstützung auch von Göring-Eckhardt und Trittin
Die Partei scharte sich demonstrativ um Roth - auch die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, die die 57-Jährige unmittelbar nach der Wahl umarmten.
Das ist Cem Özdemir
Cem Özdemir ist Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau ist Journalistin und stammt ursprünglich aus Argentinien.
Cem Özdemir wurde am 21. Dezember 1965 im baden-württembergischen Urach geboren. Sein Vater, der einer türkischen Minderheit angehörte, kam einst als Gastarbeiter nach Deutschland.
Nachdem er die Mittlere Reife erworben hatte, begann Cem Özdemir eine Ausbildung als Erzieher. Anschließend studierte er Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Reutlingen.
1981 ist Cem Özdemir den Grünen beigetreten. Von 1989 bis 1994 gehörte er zum baden-württembergischen Landesvorstand der Partei. 1994 wurde er dann als erster Abgeordneter mit türkischem Migrationshintergrund in den Deutschen Bundestag gewählt.
Cem Özdemir war innenpolitischer Sprecher der Fraktion und reformierte das Staatsangehörigkeitsrecht. Überhaupt hat sich Özdemir immer für eine bessere Integration ausländischer Mitbürger eingesetzt. Die türkische Universität Tunceli hat ihm 2009 die Ehrendoktorwürde für seinen Einsatz um eine Verständigung der Kulturen verliehen.
Ab 2004 war er für einige Jahre Abgeordneter im Europäischen Parlament (Die Grünen/Freie Europäische Allianz). Bis 2009 wirkte er dort unter anderem als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.
Seit November 2008 bildet Cem Özdemir zusammen mit Claudia Roth die Doppelspitze der Grünen. Im Rahmen einer Debatte um den Reformationsbedarf der deutschen Bildungspolitik hat Özdemir vorgeschlagen, in den Schulen auch Türkisch zu unterrichten.
Cem Özdemirs Anliegen, das interkulturelle Miteinander in Deutschland zu verbessern, spiegelt sich auch in seinen Büchern wider. Titel wie "Currywurst und Döner - Integration in Deutschland" oder seine Autobiographie "Ich bin ein Inländer" machen seine Position deutlich.
Die Wahlreden verbanden die Grünen mit harten Attacken gegen die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und demonstrativer Siegeszuversicht. "Jetzt muss Schwarz-Gelb abgelöst werden", forderte Roth. Özdemir sagte: "Lasst uns noch ein bisschen mehr die CDU und die FDP ärgern." Göring-Eckardt betonte: "Grüne Politik, das ist Glaubwürdigkeit, (...) grüne Politik, das sind durchgerechnete Konzepte, der visionäre Überschuss gehört dazu."
SPD-Chef Sigmar Gabriel versicherte, dass die SPD die Grünen als gleichberechtigten Partner für eine mögliche rot-grüne Koalition sieht. "In den vergangenen Jahren haben wir in der Opposition gut zusammengearbeitet." Auch mit einem SPD-Bundeskanzler Peer Steinbrück werde die Zusammenarbeit auf Augenhöhe fortgesetzt.
Mit milliardenschwerem Sozialprogramm in den Wahlkampf
Neben den Parteichefs wurden die weiteren Vorstandsmitglieder bestätigt. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke erhielt 83 Prozent. Die Amtsperiode beträgt zwei Jahre, doch wahrscheinlich muss bereits nach der Bundestagswahl 2013 neu gewählt werden, weil dann mehr als die satzungsgemäß erlaubten zwei der sechs Vorständler ein Parlamentsmandat haben dürften.
Göring-Eckardt wurde mit 72,1 Prozent auch neu in den Parteirat, ein wichtiges Koordinationsgremium, gewählt. Bestätigt wurden unter anderem auch die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer erlitt eine Schlappe und verpasste den Wiedereinzug in den Parteirat. Es gibt einige neue Mitglieder.
Zuvor beschlossen die Grünen ein milliardenschweres Sozialprogramm zur Korrektur der Agenda 2010. Mit einem Mitte-Links-Kurs wollen sie sich als Partei der Gerechtigkeit profilieren. Nach leidenschaftlicher Debatte setzte sich die Führung bei sechs kritischen Abstimmungen gegen weitergehende Forderungen durch. Demnach bleiben die Grünen im Grundsatz bei der Rente mit 67. Sanktionen der Arbeitsagenturen gegen Langzeitarbeitslose sollen ausgesetzt, aber nicht abgeschafft werden.
Grüne setzen sich für höheren Spitzensteuersatz ein
Der Hartz-IV-Satz soll von 374 auf 420 Euro steigen. Der Spitzensteuersatz soll von 42 auf 49 Prozent für Einkommen ab 80.000 Euro pro Jahr steigen. Eine Abgabe von 1,5 Prozent auf das Vermögen von Reichen soll über zehn Jahre 100 Milliarden Euro bringen. "Viele Leute sind bereit, mehr zu leisten und Verantwortung zu übernehmen, wenn man ihnen erklärt, wofür das Geld verwendet wird", sagte Özdemir. dpa/AZ