In Deutschland haben muslimische Einwanderer häufiger einen festen Job als in Frankreich. Die Studie "Muslime in Europa - Integriert aber nicht akzeptiert?" zeigt, dass Muslime hierzulande im Schnitt früher Deutsch sprechen als ihre Glaubensbrüder in Österreich. Trotzdem haben 37 Prozent von ihnen schon Diskriminierung erlebt. Vielleicht noch gravierender: Jeder fünfte Deutsche will keine Muslime in der Nachbarschaft (mehr zu den Ergebnissen lesen Sie auch hier).
Wie passt das zusammen?
Die Studie misst die klassischen Indikatoren für Integration: Erwerbstätigkeit, Sprache, Bildungsabschlüsse und Kontakte in der Freizeit. Ob die Muslime deutsche, türkische oder arabische Medien nutzen, ob sie Literatur in der Sprache der alten oder der neuen Heimat lesen, erfahren wir aber nicht. Auch über die Qualität der von den Forschern abgefragten "Freizeitkontakte" wissen wir wenig. Ein Beispiel: Florian und Ömer spielen in der D-Jugend zusammen im Fußballverein. Aber lädt Florian seinen türkeistämmigen Mitspieler auch zur Geburtstagsfeier ein? Und wenn ja, erlauben Ömers Eltern, dass er die Feier besucht?
Welche Qualität von Kontakten gibt es?
Nach Angaben von Detlef Pollack, Religionssoziologe des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Uni Münster gibt es wissenschaftliche Standards, um solche Kontakte zu bewerten. "Dabei wird nach dem Ort, also Kontakt am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in der Nachbarschaft oder unter Freunden unterschieden", sagt Pollack. Noch wichtiger aber sei, ob es Kontakte zu Höhergestellten wie Vorgesetzten und ob sie freiwillig oder erzwungen sind. Die Einladung zum Kindergeburtstag sei da sehr hoch einzuschätzen für die Bewertung von Integration.
Gelungene Integration: Woher rühren die Vorbehalte gegenüber Muslimen?
Das ist eine komplexe Gemengelage. Ein wichtiger Faktor ist in Europa sicher die Angst vor islamistischem Terror. Die Terroranschläge, die in den vergangenen Jahren im Namen des Islam verübt wurden, haben dazu geführt, dass die Religionszugehörigkeit von Migranten stärker thematisiert wird. Etwa von deutschen Musliminnen hört man inzwischen häufig Sätze wie: "Erst war ich für die Deutschen die Ausländerin, dann die Türkin, jetzt bin ich die Muslimin." Außerdem treten die in Deutschland sozialisierten Muslime der zweiten und dritten Generation selbstbewusster auf als ihre Vorfahren, die sich oftmals nur auf einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in Deutschland eingestellt hatten. Dieses Selbstbewusstsein der jüngeren Muslime zeigt sich auch, wenn es darum geht, Respekt und Anerkennung für die eigenen religiösen Überzeugungen einzufordern. Das gefällt nicht allen.
Wovon hängt eigentlich ab, ob die Integration in einem Land glückt?
Die Bertelsmann-Stiftung misst staatlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die größte Bedeutung zu. Doch Studien zeigen: "Die Familie spielt die wichtigste Rolle in der Vermittlung von Werten." Zudem gibt es auch noch andere Faktoren, die beeinflussen, wie viel Anstrengung notwendig ist, damit Integration gelingt: Weshalb sind die muslimischen Migranten in ein bestimmtes europäisches Land gekommen und aus welchen Staaten kommen sie? Aus welcher sozialen Schicht stammen sie? Sind es vor allem Arbeitsmigranten wie bei den Türken in Deutschland? Kamen sie als Kriegsflüchtlinge, wie die Kosovo-Albaner in der Schweiz? Und: Welchen religiösen und kulturellen Hintergrund haben sie? Ein Beispiel: Die Generation der türkischen "Gastarbeiter" ist mit einem staatlich verordneten Laizismus aufgewachsen. In Pakistan, wo viele britische Muslime ihre Wurzeln haben, kann Gotteslästerung mit dem Tod geahndet werden.
Integration von Muslimen: Gibt es Kritik an der Studie der Bertelsmann-Stiftung?
Prof. Pollack von der Uni Münster kritisiert, dass die Wissenschaftler einseitig nur die Situation des aufnehmenden Landes mit Schulsystem, Arbeitsmarkt und Einwanderungshistorie beleuchtet haben. Er vermisst den Blick auf die Migranten und deren Möglichkeiten, sich zu integrieren. Wegen verschiedener Herkunftsländer hält er Vergleiche für kaum möglich. Bei der Bereitschaft der Bevölkerung zur Integration fordert Pollack dazu auf, den Blickwinkel zu verändern. In Deutschland können sich laut Studie 19 Prozent der Befragten keine Muslime als Nachbarn vorstellen. "Es doch erstaunlich: Über 80 Prozent der Deutschen hätten mit muslimischen Nachbarn kein Problem!", sagt Pollack. Und noch an einer anderen Stelle übt Pollack Kritik am Blickwinkel: "Wer abgelehnt wird, muss sich dennoch nicht abgelehnt fühlen. Und umgekehrt: Wenn die Bevölkerung die Muslime für gut integriert hält, müssen das die Muslime nicht genauso sehen." Dazu seien sie aber in der Studie nicht befragt worden, bemängelt Pollack. dpa