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Bahnhof Stuttgart: Wie der Juchtenkäfer noch immer Stuttgart 21 behindert

Bahnhof Stuttgart

Wie der Juchtenkäfer noch immer Stuttgart 21 behindert

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    Der streng geschützte Juchtenkäfer sorgt für Verzögerungen beim Bahnprojekt Stuttgart 21.
    Der streng geschützte Juchtenkäfer sorgt für Verzögerungen beim Bahnprojekt Stuttgart 21. Foto: Niedersächsische Landesforsten, dpa

    Um die berühmten Juchtenkäfer von Stuttgart ist es ein wenig still geworden, aber sie leben noch und wirken munter weiter. Sie wohnen sehr hübsch und zentral in einem kleinen Hain in Bahnhofsnähe. Und von dort aus behindern sie seit Jahren eine der wichtigsten deutschen Infrastrukturmaßnahmen, das Projekt Stuttgart 21. Die Macht der kleinen Käfer reicht zwar nicht aus, um den Bahnhofsneubau ganz zu verhindern. Eines schönen Tages wird er fertig sein. Aber etliche Jahre verspätet und sehr viel teurer als geplant. Und damit erweist sich der Juchtenkäfer als eine scharfe Waffe in der Hand der deutschen Protest- und Blockadeszene.

    Baumgruppe in der Juchtenkäfer lebt weiterhin unantastbar

    Die Europäische Union hat dem Juchtenkäfer diese Power verliehen, indem sie ihn unter Artenschutz gestellt hat. Allerdings lässt sich der Kleine trotz des Schutzes so gut wie nie blicken. Er lebt sehr zurückgezogen in den Baumrinden. Entscheidend ist: Der Baum, in dessen Rinde der Käfer wohnt, ist unantastbar.

    Auch dann, wenn er einem Milliardenprojekt wie Stuttgart 21 im Weg steht, das ein Knotenpunkt der bedeutenden Bahntrasse von Paris über Stuttgart, Ulm, Augsburg, München nach Budapest werden soll, also auch für unsere Region wichtig ist; das viele tausend Menschen vom Auto auf die Schiene umlenken wird; das viele tausend Arbeitsplätze schafft und das im Stuttgarter Zentrum eine große, baumreiche Grünfläche und attraktive Wohnungen entstehen lässt.

    Im Landtag, im Gemeinderat und bei einem Bürgerbegehren hatte das Projekt, das den neuen Bahnhof unter die Erde steckt, eine klare Mehrheit. Die grün-rote Landesregierung akzeptiert dies, aber nicht von ganzem Herzen. So bleibt die Baumgruppe, die dem Projekt im Weg steht, dank des Juchtenkäfers weiterhin unantastbar. Das Sägeverbot gilt allerdings nicht nur für Bäume, in denen der Käfer tatsächlich wohnt, sondern auch für die benachbarten sogenannten Verdachtsbäume. Verdachtsbäume sind Bäume, die unter dem Verdacht stehen, dass sie möglicherweise einen Juchtenkäfer beherbergen könnten.

    Wo geschützte Arten auftauchen, bekommen Manager Albträume

    Und sie sind nicht die Einzigen, die wegen des Käfers nicht angerührt werden dürfen. Am Stuttgarter Hauptbahnhof stehen auch zwei Bäume, in denen der Juchtenkäfer erwiesenermaßen nicht wohnt, die er aber eines Tages eventuell als Wohnort wählen könnte. Das sind keine Verdachtsbäume, sondern Potenzialbäume. Auch Potenzialbäume dürfen nicht angetastet werden. Wegen dieser beiden juchtenkäferfreien, aber möglicherweise für das Tierchen attraktiven Bäume wird es demnächst im Zentrum der Stadt jede Menge stinkender Autostaus geben, weil sie einem Straßenausbau im Weg stehen.

    Haben die Planer von Stuttgart 21 gar kein Mittel gegen den störenden Juchtenkäfer? Doch, das Gesetz weist den Weg: Sie müssen dem Käfer nur in erreichbarer Nähe ausreichend Alternativbäume anbieten, in der Hoffnung, dass er auf die neue Wohnlage fliegt. Ob er aber bereit ist, den Wohnort zu wechseln oder ob er bleibt, wo er ist, das ist nicht vorherzusehen. Denkbar ist auch eine gemischte Verhaltensweise: Einige Käfer wechseln den Baum, andere bleiben, wo sie sind. In diesem Fall wäre man nicht weiter als zuvor.

    Auf Tauschbörse im Internet werden bedrohte Tierarten angeboten

    Auch ein kompletter Umzug wäre für die Projektgegner kein Super-Gau. Die Palette der streng geschützten Fauna (und Flora) ist reichhaltig. Sie reicht von der großen Hufeisennase über den Ameisenbläuling bis hin zum Wiesenknarrer. Die Nase ist eine Fledermaus, der Bläuling ein Schmetterling und der Knarrer ist ein Vogel. Und wo sie auftauchen, verursachen sie jedem Projektmanager Albträume.

    Inzwischen gibt es im Internet eine gut besuchte Tauschbörse, die Freunden des Protestes – allerdings in satirischer Absicht – allerlei Tierchen anbietet, die an geeigneter Stelle zum Zwecke einer Projektverzögerung eingesetzt werden können. Im Kampf um Stuttgart können die engagierten Projektgegner inzwischen aber auf eine echte Alternative zum Juchtenkäfer hoffen: auf eine vermutlich unter Artenschutz stehende Mauereidechse. Noch ist nicht klar, ob es sich dabei um eine geschützte einheimische Mauereidechse handelt oder um eine schutzlose Migrantin. In Artenschutzkreisen herrscht ein strenger Patriotismus. Einheimisches wird gefördert, nicht eingeladene Zuwanderer, ob Tier, ob Pflanze, werden abgeschoben, ja oft sogar liquidiert. Sollte die besagte Eidechse also einen Migrationshintergrund haben, so könnten die Bauarbeiter fröhlich auf ihr herumtrampeln und ihre Arbeit fortsetzen, ohne vom Artenschutz daran gehindert zu werden. Handelt es sich aber um eine eingeborene und damit um eine geschützte Eidechse, so hat sie die gleiche Projektsprengkraft wie der Juchtenkäfer.

    Jede Verzögerung schafft neue Verzögerungen

    Wie stellt man fest, um welche Eidechse es sich im Einzugsbereich von Stuttgart 21 handelt? Der offizielle Vorschlag der Landesregierung lautet: Man solle an den Eidechsen doch einen Gentest vornehmen, um die Sache zu klären. Zum Glück muss man die Stuttgarter Mauereidechsen nicht zum Gentest zwangsvorführen. Es genügt etwas abgestoßene Haut. Allerdings bleibt die Frage, was zu tun ist, falls sich die altschwäbischen und zugereisten Eidechsen vermischt haben sollten.

    Wolfgang Dietrich, der Sprecher des Projekts Stuttgart–Ulm, und seine Leute finden das alles nicht zum Lachen. Aber sie mussten lernen, sich mit Käfern und Echsen ebenso wie mit vielen anderen planerischen Verzögerungen herumzuschlagen. Jede Verzögerung schafft neue Verzögerungen, weil im Laufe der Jahre neue politische Verhältnisse, neue Rechtslagen und neue Techniken entstehen. Und jedes Mal bedeutet es: Zeit ist Geld.

    So werden ein paar kleine Käfer und Eidechsen zum Millionengrab. Nicht nur an diesem Bahnhof: Stuttgart ist überall. Jedenfalls in Deutschland.

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