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Ehe für alle: Wie Merkel mit einem Plauderstündchen ein politisches Beben auslöst

Ehe für alle

Wie Merkel mit einem Plauderstündchen ein politisches Beben auslöst

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte beim Brigitte-Abend: "Ich kann nicht mehr ganz so einfach mit der Frage des Kindswohl argumentieren."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte beim Brigitte-Abend: "Ich kann nicht mehr ganz so einfach mit der Frage des Kindswohl argumentieren." Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Es geht um Politik, natürlich, aber auch um Persönliches. Bei einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift Brigitte im Berliner Maxim-Gorki-Theater am Montagabend plaudert eine sichtlich entspannte Angela Merkel über Gott und die Welt – und löst so nebenbei und wahrscheinlich sogar ungewollt ein politisches Beben in Berlin aus.

    "Ehe für alle": Warum Merkels Kurswechsel nicht ganz überraschend kommt

    Von einem Zuhörer gefragt, was sie denn von der "Ehe für alle", also auch für gleichgeschlechtliche Paare halte, rückt sie eher beiläufig von einer bislang konsequent verteidigten Position von CDU und CSU ab. "Ich möchte die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt per Mehrheitsbeschluss irgendwas durchpauke", sagt sie in einem typischen Merkel-Satz, der harmlos klingt, aber in Wahrheit brisanter kaum sein könnte.

    Denn indem sie das Thema zu einer "Gewissensentscheidung" erklärt, stellt sie praktisch jedem Abgeordneten der Unionsfraktion frei, wie er entscheiden will, ohne auf die Koalitionsdisziplin und den Fraktionszwang Rücksicht zu nehmen. Und eine Begründung hat sie auch parat. Bislang habe sie stets das Wohl der Kinder im Blick gehabt, sagt sie. Doch nun habe sie erlebt, dass in ihrem Wahlkreis im Nordosten der Republik ein lesbisches Paar acht Pflegekinder betreue.

    Wenn der Staat einem homosexuellen Paar Kinder zur Pflege gebe, "kann ich nicht mehr ganz so einfach mit der Frage des Kindswohl argumentieren". Das seien Dinge, "die mich sehr beschäftigen". Das gemeinsame Adoptionsrecht homosexueller Paare ist der letzte wichtige Unterschied, den es heute noch zwischen der als weithin als "Homo-Ehe" bezeichneten "eingetragenen Lebenspartnerschaft" und der gesetzlichen Ehe zwischen Mann und Frau gibt. Im Steuer- und Erbrecht, sowie vielen anderen Gesetzen herrscht inzwischen völlige Gleichstellung.

    Ganz überraschend kommt der plötzliche Kurswechsel der Kanzlerin allerdings nicht, nachdem in den letzten Tagen nicht nur die Grünen, sondern auch die FDP wie die SPD die Ehe für alle zur Bedingung für eine Koalition gemacht haben. Schon am Sonntagabend diskutiert die CDU-Spitze über das Thema, Merkel bespricht sich zudem mit CSU-Chef Horst Seehofer. Gleichwohl verbreitet sich noch in der Nacht der neue Kurs der CDU-Chefin wie ein Lauffeuer.

    Gleichstellung: Wie die SPD mit der "Ehe für alle" Druck aufgebaut hat

    Schon beim gemeinsamen Frühstück der Fraktionschefs der Großen Koalition drängt Thomas Oppermann von der SPD seine Kollegen Volker Kauder und Gerda Hasselfeldt, das Thema unverzüglich auf die Tagesordnung des Bundestags zu setzen und eine Entscheidung noch in dieser Woche herbeizuführen. Es gebe einen Beschluss des Bundesrats, der eine entsprechende Initiative des Landes Rheinland-Pfalz aufgegriffen habe und der bereits in erster Lesung behandelt wurde, diesen könne man sofort beraten und verabschieden. Doch Kauder und Hasselfeldt lehnen das Ansinnen des Sozialdemokraten ab. Darüber solle erst der neue Bundestag entscheiden.

    Die SPD aber lässt nicht locker, im Gegenteil, sie verschärft den öffentlichen Druck. Bei einem gemeinsamen Auftritt von Parteichef Martin Schulz, Fraktionschef Thomas Oppermann, Vizekanzler Sigmar Gabriel und den anderen Ministerinnen und Minister der SPD vor der Bundespressekonferenz macht die gesamte SPD-Spitze deutlich, dass sie noch in dieser Woche eine Entscheidung will - notfalls gegen den Willen der Union. "Wir wollen der Gewissensentscheidung nicht im Wege stehen", sagt Schulz treuherzig.

    Der frühere Parteichef Sigmar Gabriel legt einen Brief vor, der belegt, dass er die Kanzlerin bereits vor zwei Jahren aufgefordert habe, die Ehe für alle zuzulassen, im Koalitionsausschuss aber immer wieder am Widerstand der CSU gescheitert sei. "Madame, geben Sie Gewissensfreiheit - und zwar jetzt!", appelliert er an Merkel in Abwandlung eines Zitats aus Schillers "Don Carlos". Und Fraktionschef Oppermann sagt, dass dies alles andere als eine Aufkündigung der Koalition mit der Union sei. Die SPD habe sich bis zuletzt vertragstreu verhalten, bei einer Gewissensentscheidung gebe es keine Fraktionsdisziplin.

    Die Union schäumt. Volker Kauder wirft der SPD vor der Sitzung der Unionsfraktion "Wortbruch" vor. Wenn die SPD über das Thema noch in dieser Woche im Bundestag abstimmen wolle, müsse sie gemeinsame Sache mit der Opposition von Linken und Grünen machen. Das zeige, "wie verzweifelt" die Lage der Sozialdemokraten im Wahlkampf sei. Gleichwohl hält auch Kauder den Ball flach und will von einem Ende der Koalition nichts wissen.

    So kommt es am Ende wie es kommen muss. Angela Merkel hebt in der Sitzung der Unionsfraktion den Fraktionszwang auf und gibt den Abgeordneten freie Hand, nach ihrem Gewissen zu entscheiden. Unabhängig davon macht auch die CSU-Spitze in München nach einer Telefonkonferenz den Weg für die Gewissensentscheidung frei.

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