Im vor 27 Jahren glücklich wiedervereinigten Deutschland ist nun passiert, was seit vielen Jahren in vielen europäischen Staaten die politische Szene maßgeblich prägt: Das Land ist ein Stück weit nach rechts gerückt, eine nationalistische Partei fortan im Bundesparlament vertreten. In Frankreich oder in Österreich, die es mit weit stärkeren rechten Parteien zu tun haben, mögen die 12,6 Prozent der AfD überschaubar anmuten. In der aus den Trümmern der Naziherrschaft entstandenen Bundesrepublik, deren Staatsräson in einem „Nie wieder Radikalismus!“ besteht, hat der Aufstieg der Populisten eine Art Schreckstarre ausgelöst (hier alle News zur Bundestagswahl).
Vor dem Hintergrund unserer Geschichte wirkt die Tatsache, dass jeder achte Wähler in die Arme einer radikalen, gegen das „System“ ankämpfenden Protestpartei geflüchtet ist, besonders beunruhigend. Wer will, mag diese Entwicklung als „normal“ ansehen und womöglich sogar einen Vorteil darin sehen, dass der Bundestag jetzt die Wirklichkeit der Verhältnisse im Land repräsentativer abbildet. Aber wer, wenn nicht die Deutschen, sollte besonders wachsam sein und sich vor den Verächtern einer liberalen, weltoffenen Gesellschaft in Acht nehmen und die Lektionen der Geschichte beherzigen? Wann immer Politiker der AfD antidemokratisch und fremdenfeindlich agieren, müssen sie also auf entschiedenen Widerstand stoßen. Die Demokraten dürfen sich nicht damit abfinden, dass völkische Parolen salonfähig werden. Und sie müssen dem Druck von rechts außen auch in der Sache standhalten.
Nicht nur "Nazis" und "Abgehängte" haben die AfD gewählt
Zur Panik allerdings besteht kein Grund. Die Republik ist in sich gefestigt, die AfD unendlich weit von der Macht entfernt. Die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen verabscheut das niederträchtige Gerede der Provokateure. 87 Prozent haben nicht AfD gewählt. Doch damit ist die Gefahr, dass die AfD weiter wächst, nicht gebannt. Das kulturelle Unbehagen über die Masseneinwanderung und die Angst vor einer Überforderung des Sozialstaats reichen nämlich weit in die Mitte der Gesellschaft und jener „87 Prozent“ hinein. Natürlich zieht die AfD auch viele Menschen an, die sich als Verlierer empfinden und in sozialer Not sind. Aber sie ist nicht nur ein Sammelbecken der „Abgehängten“ und die meisten AfD-Wähler sind auch keine „Nazis“. Die Wut und der Frust, die sich auch unter Millionen konservativ und national denkender Bürger aufgestaut haben, lassen sich deshalb weder mit sozialpolitischen Maßnahmen noch mit Beschimpfungen wegzaubern.
Diese Krise rührt tiefer und kreist um die Frage, wie das Deutschland von morgen aussehen wird. 12 Prozent für die AfD – nun ja, davon geht die Demokratie nicht unter. Eine dauerhafte, auf die breite Mitte übergreifende Spaltung und Polarisierung hingegen ist brandgefährlich. Merkels eigentlicher Fehler bestand darin, bei allem humanitären Engagement die Sorgen und Nöte vieler Deutscher nicht ausreichend zur Kenntnis genommen zu haben. Nun kommt es darauf an, die Gesellschaft wieder zusammenzuführen und zu zeigen, dass der Staat die Kontrolle über die Zuwanderung zurückgewinnen will. Extremisten und Neonazis sind mit Argumenten nicht erreichbar, wohl aber die große Mehrheit der AfD-Wähler.
Klare Abrenzung in der Sache und anpackende Politik nötig
Die AfD ist, sofern sie sich nicht alsbald selbst in den Orkus der Geschichte befördert, weder mit Ausgrenzung noch mit Dämonisierung klein zu halten oder kleiner zu machen. Vonnöten ist, statt hilfloser Empörungsrituale, zweierlei. Erstens eine klare Abgrenzung in der Sache und eine harte, mit selbstbewusster Gelassenheit geführte Konfrontation. Und zweitens eine Politik, die Probleme anpackt und zu lösen versucht. Bei beidem besteht gewaltiger Nachholbedarf.
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