Brüssel Die Konfrontation war seit Tagen abzusehen. Gestern nun prallten Berlin und Brüssel mit unverminderter Wucht aufeinander. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag Eurobonds noch einmal eine klare Absage erteilte, weil die zu einer Vergemeinschaftung der Schulden führen würden, holte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso genau dieses Instrument aus dem Sack. „Wir fordern mehr und engere Zusammenarbeit im Euro-Raum“, sagte er. Und schoss gleich einen Giftpfeil Richtung Berlin hinterher: „Ich denke nicht, dass es angebracht ist, schon von Anfang an zu sagen, dass eine Debatte nicht geführt werden soll.“
Was wie eine Kampfansage an Berlin und auch Paris aussieht, ist in Wirklichkeit ein Paket von vier Dokumenten, in denen sich phasenweise wortgleich Versatzstücke aus Reden Merkels wiederfinden. Einen ersten Brückenschlag nahm Barroso schon bei der Bezeichnung vor: Künftig wird nicht mehr von Eurobonds geredet, sondern von Stabilitätsbonds. Ausgangspunkt soll eine verschärfte Überwachung der Mitgliedstaaten sein. Schon ab 2012 will die Kommission die einzelstaatlichen Haushaltsentwürfe im Entwurfsstadium einsehen und gegebenenfalls Stellung dazu nehmen. Sollte deutlich werden, dass die Stabilitätsziele verfehlt oder die Wettbewerbsfähigkeit nicht erreicht werden, beansprucht Barroso das Recht, Änderungen anzumahnen.
Zugleich sollen alle Länder, die vom Rettungsschirm Geld bekommen haben, nach robusten, klaren und im EU-Recht verankerten Verfahren überwacht werden. Damit das möglich ist, drängt die Kommission auf eine Änderung der Verträge. Im Fall fortgesetzten Ungehorsams gegenüber den Weisungen aus Brüssel sollen Strafen verhängt werden.
Um deutlich zu machen, wie ernst es der Kommission dieses Mal mit Sanktionen ist, hat Währungskommissar Olli Rehn bereits der geschäftsführenden belgischen Regierung eine 700-Millionen-Strafe angedroht, sollte sie nicht pünktlich ihren Etatentwurf für 2012 vorlegen. Erst wenn diese straffe wirtschaftliche Lenkung, die tief in die nationale Eigenständigkeit eingreift, installiert ist, sollen die neuen EU-Anleihen platziert werden.
Barroso gab sich insofern gestern in Brüssel eher handzahm. Denn er präsentierte keineswegs einen konkreten Vorschlag, sondern zunächst einmal ein Grünbuch, also eine Zusammenstellung aller Argumente Für und Wider, die als Diskussionsgrundlage dienen sollen.
Dabei denkt er an drei Varianten, die aufeinander aufbauen könnten: Im Endstadium würden alle nationalen Anleihen durch eine europäische ersetzt, bei vollständiger gegenseitiger Haftung. Als Zwischenlösung schwebt der Kommission ein Anleihen-Mix vor. Dabei würde nur eine begrenzte Anzahl von Stabilitätsbonds ausgegeben, den restlichen Finanzbedarf müssten die Staaten durch eigene Papiere decken. Diese beiden Varianten erfordern eine Änderung der europäischen Verträge, könnten also frühestens in fünf, einige schätzen sogar erst zehn Jahren in Kraft treten.
Widerstand von vielen Seiten
Dagegen wäre die dritte Möglichkeit ohne komplizierte Änderungen des Lissabonner Reformwerkes möglich: Dabei würde nur ein Teil der Schulden durch die neuen Bonds gedeckt. Vor allem aber entfällt die gegenseitige Haftung. Deutschland hat sich bereits gegen alle drei Wege ausgesprochen. Frankreich ist ebenfalls auf Distanz gegangen.
Auch Österreich, Finnland und die Niederlande sind dagegen, sodass sich ein ziemlich eindeutiges Bild ergibt: Bis auf Luxemburg lehnen alle Euro-Staaten, die vom Finanzmarkt die AAA-Bestnoten bekommen, Barrosos Pläne ab.