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Debatte: Wenn der Staat hinters Licht geführt wird

Debatte

Wenn der Staat hinters Licht geführt wird

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    Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge („UmF“) müssen nicht in Asylbewerber-Unterkünften leben. Meist kommen sie in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Familien unter.
    Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge („UmF“) müssen nicht in Asylbewerber-Unterkünften leben. Meist kommen sie in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Familien unter. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa (Symbolbild)

    Rund 60.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben in Deutschland. Die staatlichen Behörden wissen seit langem, dass ein beträchtlicher Teil dieser jungen Einwanderer in Wahrheit erwachsen und über 18 ist. Aber es geschieht nichts, um die Altersangaben wirklich zu überprüfen. Die (überlasteten) Jugendämter verlassen sich in der Regel auf den „Augenschein“ und ordnen nur selten eine medizinische Untersuchung an. Das ist ein Fall von staatlichem Kontrollversagen, wie er eigentlich – nimmt man die Aussagen der Regierenden zwei Jahre nach dem Beginn der Masseneinwanderung für bare Münze – nicht mehr passieren sollte. Erst jetzt, unter dem Eindruck mehrerer aufsehenerregender Verbrechen sowie einiger krasser Täuschungsfälle, nimmt die Debatte um das wahre Alter vieler ins Land gekommener junger Flüchtlinge Fahrt auf.

    Vor allem die Bluttat von Kandel, wo ein angeblich erst 15 Jahre alter afghanischer Asylbewerber seine frühere deutsche Freundin erstach, hat die Politik auf den Plan gerufen. Insbesondere die Union, aber auch

    In Freiburg hingegen ist vor Gericht geklärt, dass der Mord an einer Studentin von einem angeblich 17 Jahre alten, in Wahrheit mindestens 25-jährigen Asylbewerber begangen wurde. Wie nachlässig Behörden bei der Aufnahme arbeiten, illustriert ein extremer Fall aus Berlin. Dort entpuppte sich ein angeblich zwölfjähriger Iraker, der 2015 über die offene Grenze gekommen war, seine viel jüngeren Klassenkameraden terrorisierte und Drogenhandel betrieb, als mindestens 19-Jähriger.

    Wer als "unbegleiteter Minderjähriger" eingestuft wird, muss nicht in einer Asylunterkunft leben

    Niemand weiß, wie viele der von den Jugendämtern betreuten, seit 2015 meist ohne Papiere eingereisten jungen Leute bereits erwachsen sind. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass es sich bei den bekannt gewordenen Fällen nur um die Spitze eines Eisbergs handelt.

    In Schweden, wo die Untersuchung des Alters die Regel ist, waren fast 80 Prozent älter als 18; in Österreich sind es 40 Prozent. Im Saarland und in Hamburg, wo im Zweifel ebenfalls eine ärztliche Diagnose eingeholt wird, erwiesen sich ein Drittel bis zur Hälfte der „minderjährigen“ Flüchtlinge als wesentlich älter. Das bedeutet, hochgerechnet auf den Bund: Die Zahl derer, die die Behörden getäuscht haben, geht mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Zehntausende.

    Die Altersfeststellung ist insofern von Bedeutung, als mit dem Status eines „unbegleiteten Minderjährigen“ beträchtliche Vorteile verbunden sind. Wer so eingestuft wird, muss nicht in Asylunterkünften leben, sondern wird in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Familien untergebracht und rundum, auch psychologisch, betreut. Den Staat kostet dies gut 50.000 Euro pro Jahr – ein Mehrfaches der Summe, die für die Versorgung eines Erwachsenen anfällt. Und Minderjährige sind vor Abschiebung geschützt – selbst dann, wenn sie straffällig und kriminell werden. Eine Gesetzesänderung von 2016, wonach auch kriminelle Jugendliche des Landes verwiesen werden können, ist noch nicht einmal angewandt worden.

    Wie weit Theorie und Praxis auseinanderklaffen, zeigt der Fall Mannheim. Die Stadt leidet unter einer rund zwanzigköpfigen Gruppe jugendlicher marokkanischer „Intensivtäter“, die nach ihren Gesetzen leben – und denen, wie der SPD-Oberbürgermeister Peter Kurz in einem Hilferuf gestanden hat, einfach nicht mehr beizukommen ist. Auch dies ein Extremfall, der jedoch die Probleme vieler Kommunen mit eingewanderten „Minderjährigen“ widerspiegelt.

    Gegen die medizinische Klärung des Alters gibt es Widerstand

    Man fragt sich, warum angesichts all dieser Fakten die medizinische Klärung des Alters nicht längst wie in Österreich oder in Schweden erfolgt. Es hat vor allem damit zu tun, dass die Gegner von Untersuchungen in der öffentlichen Debatte erstaunlich viel Gehör finden und die Politik Angst davor hat, womöglich rabiater und ausländerfeindlicher Methoden beschuldigt zu werden.

    Angeführt wird der organisierte Widerstand von drei Organisationen. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge und das Deutsche Kinderhilfswerk bezweifeln nicht nur die Zuverlässigkeit medizinischer Tests, sondern warnen zugleich vor „gefährlicher Stimmungsmache“. Das ist insofern nicht verwunderlich, als der wichtigste Mann der IPPNW zugleich eine „Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte“ anführt und sich Seit an Seit mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat generell gegen Abschiebungen wehrt. Erstaunlicher ist, dass sich auch der Chef der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, empört gegen strengere Vorgaben an Jugendämter wendet und Röntgenuntersuchungen nur im Falle von Gerichtsprozessen für zulässig hält. Die Tests seien aufwendig, ungenau und stellten, weil ja keine medizinische Indikation vorliege, einen unerlaubten „Eingriff“ in die Persönlichkeitsrechte dar. Der Befund nahezu aller Rechtsmediziner hingegen fällt völlig anders aus.

    Nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik zeugen die Einwände etwa der IPPNW nicht von Sachkenntnis, sondern vor allem von einer „radikalen politischen Gesinnung“. Klaus Püschel, Chef des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin, sagt aus Erfahrung: „Zu 95 Prozent liegen wir mit der Altersfeststellung richtig.“ In der Zusammenschau notfalls mehrerer Röntgenbefunde (linke Hand, Gebiss, Schlüsselbein) sei es problemlos möglich, das Alter zu bestimmen. Nicht aufs Jahr genau, wohl aber, ob jemand über 14, über 18 oder über 21 ist. Und im Zweifelsfall wird immer nach unten und nicht nach oben korrigiert.

    Und was die Strahlenbelastung anlangt: Sie liegt, selbst wenn der gesamte Diagnosestandard ausgeschöpft wird, weit unter der durchschnittlichen Belastung eines Bundesbürgers pro Jahr. Ist das einem Flüchtling, der hier um ein besseres Leben nachsucht, wirklich nicht zuzumuten? Und was ist „Stimmungsmache“ daran, wenn der Staat, zumal angesichts der hohen Betreuungskosten und der von „dieser Gruppe junger Männer ausgehenden Gefahren“ (so Tübingens grüner Oberbürgermeister Palmer), das Alter wissen will?

    Der Sozialstaat sollte sich nicht hinters Licht führen lassen

    Nein, es ist gut und richtig, dass sich der Sozialstaat um die Betreuung minderjähriger, vielfach traumatisierter Flüchtlinge besonders intensiv kümmert. So will es das Gesetz, so verlangt es die humanitäre Pflicht. Aber er braucht sich deshalb nicht hinters Licht führen zu lassen. Er hat das Recht zu erfahren, wer ins Land kommt und wie alt er ist – und er muss dieses Recht auch durchsetzen.

    Tut er es nicht und lässt die Dinge schleifen, dann nimmt das Vertrauen vieler Bürger in die Autorität des Staates und die Gültigkeit der Rechtsordnung weiteren Schaden.

    Lesen Sie zum Thema auch: Umstrittene Flüchtlings-Doku: Das sagen KiKA und eine Medienexpertin

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