Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Wenn Frauen immer später Mütter werden

Kommentar

Wenn Frauen immer später Mütter werden

    • |
    Annegret R. bekommt mit 64 Jahren Vierlinge: Deutschland diskutiert nun über das Alter von Eltern und andere Dinge.
    Annegret R. bekommt mit 64 Jahren Vierlinge: Deutschland diskutiert nun über das Alter von Eltern und andere Dinge. Foto: Felix Heyder/dpa

    Um Annegret R. aus Berlin ist es etwas ruhiger geworden – und es ist ihr, ihren 13 Kindern und sieben Enkelkindern zu wünschen, dass das so bleibt. Man muss kein Zyniker sein, um zu wissen, dass es anders kommen wird, spätestens, wenn die alleinerziehende 65-Jährige ihre Vierlinge entbindet. Das soll im August sein, wahrscheinlich früher. Wahrscheinlich ist auch, dass nicht jedes Kind lebend geboren wird; dass die Kinder schwere Entwicklungsstörungen haben werden. RTL und Bild werden „exklusiv“ berichten.

    Wann ist jemand zu alt für ein Kind?

    Es bahnt sich ein Medienspektakel um die möglicherweise „älteste Vierlingsmutter der Welt“ an. Auch das wird vorübergehen. Die Deutschen werden Annegret R., die sich in der Ukraine künstlich befruchten ließ, schnell vergessen. Die Fragen aber werden bleiben:

    Wann ist jemand – Männer eingeschlossen – zu alt für ein Kind? Wie weit kann, soll oder muss die Reproduktionsmedizin gehen? Wer bestimmt, ob das, was biotechnisch machbar ist, gemacht werden darf? Jeder Einzelne? Die Kirchen? Der Deutsche Ethikrat? Wissenschaft, Wirtschaft, Politik?

    Die Diskussion über diese Fragen wird künftig weitaus intensiver geführt werden müssen als bisher. Zum einen, weil Unternehmen wie Facebook oder Apple ihren Mitarbeiterinnen in den USA die Entnahme von Eizellen bezahlen – damit Frauen ihren Kinderwunsch im Wortsinne „auf Eis legen“ können, zugunsten der Karriere. „Social Freezing“ nennt sich das. Und der Gedanke daran, dass sich dieser Trend und dieses Denken in Deutschland massenhaft verbreiten könnten, lässt einen frösteln.

    Seit Jahrzehnten findet ein "Aufschub der Familiengründung" statt

    Zum anderen, weil Frauen wie Männer immer später Mütter oder Väter werden (wollen). Annegret R. ist ein Extremfall, doch er weist die Richtung. Seit Jahrzehnten beobachtet das Statistische Bundesamt einen „sich fortsetzenden Aufschub der Familiengründung auf ein höheres Alter“. 1970 waren westdeutsche Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich rund 24 Jahre alt, 2012 lag das Durchschnittsalter bei 29 Jahren. Zugleich ist der Anteil der Frauen ohne Kind „kontinuierlich“ gestiegen; ebenso – wenn auch in deutlich geringerem Maße – die Zahl der Mütter, die 40 Jahre und älter waren, als sie ihr erstes Kind zur Welt brachten.

    „Späte Eltern“, eine seit Jahrzehnten „konstant niedrige“ Geburtenziffer, eine überalterte Gesellschaft: Deutschland wird sich massiv verändern. Wie die Politik darauf reagiert? Konzeptlos.

    Mehr staatliche Leistung - mehr Geburten?

    Die Familienpolitik ist das beste Beispiel dafür. Anstatt die Probleme umfassend anzugehen, haben sich die Parteien in ideologischen Kämpfen zerrieben. Die letzten Bundesregierungen verhedderten sich im Gestrüpp der Interessen.

    200 Milliarden Euro werden jährlich für familienpolitische Leistungen ausgegeben, deren Ziele sich teils widersprechen oder die kaum nennenswerte Wirkung entfalten. Es ist eine Politik, die offenbar vor allem immer noch darauf setzt, dass höhere staatliche Leistungen auch die Zahl der Geburten emporschnellen lassen werden. Und die dann das Kindergeld um insgesamt sechs Euro pro Kind und Monat erhöht.

    Nachdem der Koalitionsvertrag weitgehend abgearbeitet ist, würde die Große Koalition wahre Größe zeigen, wenn sie den „demografischen Wandel“ und seine Folgen zu ihrem Projekt machen würde. Nötig wäre eine Politik, die Eltern stärker unterstützt und in erster Linie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Ziel hat. Dann werden, langfristig, auch wieder mehr Kinder geboren. Sowie eine Politik, die sich den Problemen einer „alternden Gesellschaft“ annimmt – ohne Jung und Alt gegeneinander auszuspielen wie bei der Mütterrente oder der „Rente mit 63“.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden