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Wahl: Wählt Spanien diese jungen Wilden?

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Wählt Spanien diese jungen Wilden?

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    So verschieden und doch gar nicht so weit voneinander entfernt: Zuletzt machten der Vorsitzende der liberalen Partei, Albert Rivera (links), und der linksalternative Pablo Iglesias in Wahlumfragen Furore.
    So verschieden und doch gar nicht so weit voneinander entfernt: Zuletzt machten der Vorsitzende der liberalen Partei, Albert Rivera (links), und der linksalternative Pablo Iglesias in Wahlumfragen Furore. Foto: Pierre-Philippe Marcou, afp

    Es ist die spannendste Spanien-Wahl seit langem. In einem brodelnden Königreich, in dem Korruption, Massenarbeitslosigkeit, wachsende Armut und harte Sparbeschlüsse für großen Unmut sorgen. Und in dem zwei Protestparteien erstarken, die in der Parlamentswahl am Sonntag die bisherige Vorherrschaft der regierenden Konservativen und oppositionellen Sozialisten vermutlich brechen werden.

    Dies könnte das politische Ende des konservativen Regierungschefs Mariano Rajoy bedeuten, der um seine Macht fürchten muss. Und der Beginn einer neuen Ära mit einem Regierungspakt links von den Konservativen, bei dem die „neuen Wilden“ eine Schlüsselrolle spielen dürften. In den letzten Umfragen, die nur bis zum vergangenen Wochenende veröffentlicht werden durften, sacken Rajoys Konservative auf 25 bis 27 Prozent, die Sozialisten mit Spitzenmann Pedro Sánchez erwartet mit gut 20 Prozent ein historisches Debakel.

    Aufsteigerpartei Ciudadanos ist größter Rivale des Ministerpräsidenten

    Die Protestparteien Podemos („Wir können“) und Ciudadanos („Bürger“), die beide bisher nicht im Parlament sind, dürften den Traditionsparteien sehr große Stimmenanteile abjagen: Ihnen werden aus dem Stand jeweils mindestens 18 Prozent zugetraut.

    Der Chef der liberalen Aufsteigerpartei Ciudadanos ist in gewisser Hinsicht der gefährlichste Rivale für den konservativen Aufsteigerpartei Ciudadanos Rajoy. Denn dieses Polittalent mit dem braven Jungengesicht erweist sich als äußerst gefräßiger Stimmenräuber im bürgerlichen Wählerrevier – Stimmen, die Rajoy dann zum Machterhalt fehlen dürften.

    Der 36-jährige Rivera ist der jüngste Herausforderer, der es aber mit seiner Sonnyboy-Ausstrahlung im Sturm schaffte, die Sympathien der Spanier zu gewinnen. Nach dem Popularitätsbarometer des staatlichen Umfrageinstituts CIS ist der charismatische Anwalt derzeit sogar der beliebteste Spitzenpolitiker Spaniens. Vielleicht hilft dabei, dass der adrette Jungpolitiker dem Bild des „idealen Schwiegersohnes“ entspricht, wie spanische Medien meinen.

    Zehn Jahre lang war Riveras Bürgerplattform nur eine regionale Partei, die in der abtrünnigen spanischen Region Katalonien für die Einheit Spaniens und gegen die auch dort heftig wuchernde Amigo-Wirtschaft kämpfte. Doch als der redegewandte Rivera Anfang 2015 seine Parteikampagne auf ganz Spanien ausdehnte, begann sein Aufstieg.

    Wohl auch, weil er den Spaniern das versprach, was sich viele schon lange wünschen: „die demokratische Erneuerung der Nation“, welche in den letzten Jahren, in denen fast täglich ein neuer Korruptionsskandal bekannt wurde, zunehmend einem Selbstbedienungsladen der Machthabenden glich.

    Rivera siedelt sich mit seiner Protestplattform Ciudadanos im politischen Zentrum an und schaffte es so, seine Partei im bürgerlichen Wählerumfeld als Alternative zu Rajoys Konservativen zu platzieren. Er gilt als dialogbereiter, toleranter Kandidat, der das in links und rechts gespaltene Land versöhnen will.

    Und der sogar eine „Regierung der Öffnung“ mit unabhängigen Experten und Politikern der anderen Parteien anbietet. Die Kompetenz und nicht das Parteibuch sollen bei der Postenvergabe ausschlaggebend sein, sagt er. „Der besonnene Wechsel, den Europa und Spanien brauchen, wird aus dem Zentrum und nicht aus den extremen Ecken kommen“, sagt Rivera und grenzt sich damit von den linken wie den rechten Konkurrenten ab. Rivera stellte auch klar, dass er nicht der Steigbügelhalter des konservativen Ministerpräsidenten Rajoy sein werde. „Wir wollen nicht, dass dieselben weitermachen.“

    Iglesias gilt als moderner Robin Hood

    Der Spitzenkandidat der linksalternativen Protestpartei Podemos buhlt um die enttäuschten und frustrierten Wähler vor allem der jungen Generation. Seine Bewegung ist aus den Straßenprotesten empörter Bürger gegen die Sparpolitik entstanden. Den Umfragen zufolge liegt seine Partei bei den unter 40-Jährigen vorne.

    Der 37 Jahre alte Politologe, dessen Markenzeichen sein wilder Zopf ist, gilt bei den etablierten Parteien als das Enfant terrible der Politik. Wohl weil er mit seinem legeren Auftreten nicht dem bürgerlichen Bild entspricht. Und sich zudem gerne als linker Revolutionär gibt, der als eine Art moderner Robin Hood dem Establishment das Fürchten lehrt.

    Und Angst haben sie vor ihm, weil er der vermutlich beste Redner in der spanischen Parteienlandschaft ist. Die beiden großen Wahlkampf-Debatten, zu denen alle wichtigen Spitzenkandidaten eingeladen waren, aber bei denen der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy kniff, gewann unbestritten Iglesias.

    Die Meinungsforscher sehen Iglesias und seine basisdemokratische Protestbewegung auf einer Höhe mit der ebenfalls aufsteigenden liberalen Bürgerplattform „Ciudadanos“ bei annähernd 20 Prozent. In einer internen Lagebeurteilung der konservativen Regierung wird Podemos, die unter verschiedenen Marken im Land antritt, sogar noch stärker eingeschätzt. Mit hochgekrempelten Ärmeln, im weißen Hemd und meist ohne Krawatte, verspricht Iglesias „die Gesellschaft durchzufegen“, mit der Korruption aufzuräumen und für „soziale Gerechtigkeit“ zu sorgen. Er will Wohlhabende mehr besteuern, niedrige Löhne und Mini-Renten sollen derweil steigen. Es ist zudem kein Geheimnis, dass er mit der griechischen Syriza-Regierung sympathisiert. Weswegen Rajoys Konservative die Podemos-Politiker als „radikale Linke“ bezeichnen und behaupten, dass mit Iglesias’ Aufstieg in Spanien das Chaos ausbreche.

    Podemos triumphierte in der Kommunalwahl in Madrid und Barcelona

    Dass jedoch mit Podemos die Welt nicht untergeht, kann man derzeit in den Großstädten Madrid und Barcelona sehen. Dort regieren seit Juni, als Podemos in der Kommunalwahl triumphierte, linksalternative Bürgermeisterinnen, die aus der Empörten-Bewegung stammen. Zum Beispiel Ada Colau, die früher Spaniens bekannteste Hausbesetzerin und Straßenaktivistin war, und die nun von ihren Bürgern Höchstnoten bekommt. Auch etliche prominente Köpfe und Intellektuelle, die für Podemos kandidieren, signalisieren, dass diese Protestbewegung mit Kompetenz werben kann: Zu den Zugpferden gehört zum Beispiel der General Julio Rodríguez, Spaniens früherer Armeechef. Oder Juantxo López de Uralde, langjähriger spanischer Greenpeace-Vorsitzender. Auch etliche Richter, Professoren und Wissenschaftler trommeln für Podemos.

    „Ich glaube, dass sich Podemos in eine politische Kraft verwandelt hat, die reif genug ist, Spaniens Regierung zu führen“, sagt Iglesias. In der Tat sind die Straßenrevolutionäre zahmer geworden. Ihr Wort von der „politischen Kaste“, wie sie die in Spanien herrschenden Parteien, Konservative und Sozialisten, früher schimpften, ist aus den Reden verschwunden. Antikapitalistische Töne sind einem eher sozialdemokratischen Kurs gewichen. Die Syriza-Parteibrüder aus Griechenland wurden übrigens ausdrücklich nicht nach Spanien eingeladen. Nach dem griechischen Schleuderkurs, der Europa in Atem hielt, möchte Iglesias nun lieber nicht mehr mit Syriza-Chef Alexis Tsipras in einen Topf geworfen werden.

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