Die simple Frage seiner elfjährigen Tochter brachte Edward Ayers für einen Moment aus dem Konzept. Ayers, Historiker und im Hauptberuf Rektor der Südstaaten-Hochschule von Richmond in Virginia, saß gerade über einem längeren Artikel rund um den amerikanischen Bürgerkrieg, als seine Tochter wissen wollte: „Daddy, was war eigentlich der Grund für diesen Krieg?“ Er überlegte, kalkulierte die Vor- und Nachteile, einem jungen Menschen die Vielschichtigkeit dieses Konflikts zu erklären, und sagte dann: „Die Sklaverei, honey.“
Doch selbst heute noch, nach so vielen Jahren, wollen das längst nicht alle wahrhaben. „Die endlose Debatte über die wahren Gründe des Krieges würde selbst Lincoln zum Weinen bringen“, schreibt das Magazin Time in seiner neuesten Ausgabe, auf deren Titelbild Präsident Abraham Lincoln eine Träne verdrückt. Vor 150 Jahren begann der amerikanische Bürgerkrieg, das größte Gemetzel des 19. Jahrhunderts. Etwa 620 000 Menschen, zwei Prozent der damaligen USA-Bevölkerung, kamen von 1861 an bis zum Sieg des Nordens über den Süden vier Jahre später ums Leben. Kein anderes Ereignis hat das Land mehr geprägt. Bis heute ist die Debatte über diesen Krieg, der Amerikas Aufstieg zur Industrie- und Großmacht beschleunigte, nicht beendet.
Frontalangriff auf ein Gesellschaftsmodell
Dass die ersten Salven in South Carolina abgefeuert wurden, lag auf der Hand. South Carolina war der radikalste unter den Südstaaten, der sich schon im Dezember 1860 unmittelbar nach der Wahl Lincolns als Erster von der Union losgesagt hatte. Die anderen zehn sollten wenig später folgen. Kurz gesagt ging es um die Furcht des Südens, Lincoln, der Kandidat des Nordens, wolle die Ausdehnung der Sklaverei in die riesigen neuen Territorien im Westen unterbinden. Aus Sicht der wirtschaftlichen Elite des ländlichen Südens war dies ein Frontalangriff auf ihr Gesellschaftsmodell, das ohne Sklaven nicht auskam. Bis es knallte, war es nur noch eine Frage der Zeit.
Ganz im Bann der Artillerie-Kanonade von Fort Sumter steht in diesen Tagen Charleston. Die nachgestellte Bombardierung des Forts, mit der der Süden den Krieg im April 1861 begann, zieht Tausende von Besuchern an. Die charmante Stadt am Atlantik hat sich längst in eine riesige Freilichtbühne verwandelt. Jede Viertelstunde böllert eine Kanone. Trupps mit Laienschauspielern in den grauen Uniformen des Südens haben ihre Zeltlager in der Umgebung aufgeschlagen.
Im Jubiläumsjahr haben die vielen Anhänger amerikanischer Historienspiele Hochkonjunktur. Aus dem ganzen Land strömen die, nun ja, Schlachtenbummler, um für ein paar Tage in die kratzenden Uniformen von „Johnny Reb“ und „Billy Yank“ zu schlüpfen. So werden Konföderierte und Unionisten personifiziert. Es gibt so viele Schlachten, die nachgespielt werden wollen – da gerät der Grund für Amerikas nationale Tragödie vor lauter Kanonendonner und Pulverqualm aus dem Blick.
Einig sind sich Nord und Süd ohnehin nicht. Wie es offiziell heißt, kämpfte der Norden für den Erhalt der Union und der Süden für den Fortbestand seiner Lebensweise. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, der das Aufflackern alter Ressentiments verhindern soll. Dem Süden kommt das entgegen. Schon kurz nach dem Friedensschluss von Appomattox im April 1865 setzte die Legendenbildung ein. Hollywoods erfolgreichster Film aller Zeiten, „Vom Winde verweht“, ist dafür ein spätes Beispiel. Ins romantisierende Licht gerückt wird ein Vorkriegs-Süden, in dem selbst Sklaven glücklich und Baumwollpflanzer in erster Linie edle Kavaliere waren. Es ist genau ein Jahr her, dass Virginias damaliger Gouverneur Bob McDonnell es sogar fertigbrachte, in einer Rede zum 149. Jahrestag des Bürgerkriegs das Wort Sklaverei nicht ein einziges Mal in den Mund zu nehmen.
Eine Mischung aus Stolz und Scham stellt Willi unter den Besuchern des Weißen Hauses von Richmond fest, wenn sie aus dem Süden stammen. Der junge Mann führt Besuchergruppen durch den Amtssitz von Jefferson Davis; der einzige Präsident, den die Konföderation je hatte. Das eine ist der Stolz auf die militärische Leistung, dem in jeder Hinsicht überlegenen Norden vier Jahre lang getrotzt zu haben. Das andere ist die Scham, so tapfer für ein Gesellschaftsmodell gekämpft zu haben, das einzig und allein auf Sklavenarbeit auf den Baumwollfeldern beruhte. „Ein solcher Zwiespalt macht es schwierig, die Nase hoch zu tragen“, sagt Willi.
Mancher hat damit offenkundig wenig Probleme. Unbeeindruckt von Protesten ging im Dezember in Montgomery in Alabama der „Sezessions-Ball“, eine laut Ankündigung „fröhliche Nacht mit Musik und Tanz“, über die Bühne. Die Damen trugen lang und rüschig im Stil von Scarlett O’Hara, die Herren kamen in Frack und Zylinder. Dass eine Parade auf den Spuren von Südstaaten-Präsident Davis just an den Orten vorbeiführte, die dort zu den Marksteinen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der frühen 1960er Jahre gehören, war eine Ironie, die den Teilnehmern des Umzugs wohl nicht weiter auffiel. Den Vorwurf, Rassismus zu verherrlichen, wollten die Veranstalter wiederum nicht auf sich sitzen lassen. „Es geht nicht um Sklaverei. Es geht um unsere Geschichte“, sagte Organisator Tom Strain.
Der Bürgerkrieg ist alles andere als ein abgeschlossenes Kapitel. Die Koketterie mit Abspaltungsideen hat heute durchaus wieder Konjunktur. Der republikanische Gouverneur von Texas, Rick Perry, hält die Sezession für eine Option, „wenn Washington weiterhin seine Nase in die Privatangelegenheiten der Menschen steckt“. Es sei für die Bundesstaaten an der Zeit, wieder einmal ihre „Souveränitätsmuskeln spielen zu lassen“, drohte Alabamas konservativer Senator Scott Beason.
Eine Versöhnung unter Weißen
Ein Stück weit hat es den Anschein, als sei das Land heute, zum 150. Jahrestag des Bruderkrieges, und trotz des ersten schwarzen Präsidenten im Weißen Haus sogar noch gespaltener als damals zum 100. Bei den Feiern 1961 seien die Rassenfrage und die Sklaverei unter den großen Teppich der Versöhnung von Süd und Nord gekehrt worden, sagte der Yale-Historiker David Blight.
Eine Versöhnung war das unter Weißen, die die garantierten Bürgerrechte der Schwarzen nach dem Krieg ungerührt geopfert hatten. 1961, als die Rassentrennung im Süden brutal durchgesetzt wurde und Martin Luther King gerade wieder einmal verhaftet worden war, feierte die Lokalzeitung Montgomerys den Krieg noch als „tragisches, aber edles Erbe“.
„Wir laufen wie auf rohen Eiern“, sagt heute wiederum Cameron Napier vom Davis-Haus in Montgomery. Die weiße alte Dame mit tiefen Wurzeln im Süden weiß von vielen, die sich bis heute scheuen, das S-Wort auszusprechen. „Natürlich ging es um die Sklaverei. Wie soll man den Krieg verstehen, ohne über die Sklaverei zu sprechen? Und wie soll man die schwarze Bürgerrechtsbewegung verstehen, ohne über den Krieg zu reden?“ Beim Blick auf den Bruderkrieg ist der Süden des Landes mit sich selbst noch immer nicht im Reinen.