Verfassungsschutz vernichtete Neonazi-Akten: Beim Berliner Verfassungsschutz sind Akten geschreddert worden, die eventuell für den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages von Interesse gewesen wären. Dies erfuhr die Nachrichtenagentur dpa am Dienstag aus Abgeordnetenkreisen. Der Verfassungsschutz sprach von einem bedauerlichen Versehen. "Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Akten irgendeinen NSU-Bezug hatten", sagte eine Sprecherin. Der Vorfall sei nach Bekanntwerden sofort hausintern aufgearbeitet worden. Unter anderem seien mit den Akten befasste Mitarbeiter befragt worden.
Verfassungsschutz schreddert Neonazi-Akten: "Unerfreulich"
Innensenator Frank Henkel (CDU) kündigte in der "Berliner Morgenpost" (Mittwoch) schnelle Aufklärung an: "Selbst wenn es sich offenbar um menschliches Versagen handelt und nach jetzigem Erkenntnisstand kein NSU-Bezug vorliegt, lässt dieser unerfreuliche Vorgang Fragen offen, die jetzt schnell aufgearbeitet werden müssen."
Berliner Verfassungsschutz: "Material revisionistischer Gruppen"
Die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, sagte im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), bei den Akten habe es sich überwiegend um Material revisionistischer Gruppen wie der "Reichsbürgervereinigung" und um Akten der rechtsextremistischen Band "Landser" gehandelt. In der Verurteilung der Band seien keine Verbindungen zum Terrorismus festgestellt worden. Die Akte sei 2009 an den Geheimschutzbeauftragten gegeben worden, damit dieser sie dem Landesarchiv anbieten oder vernichten könne.
Berlin: Akten vernichtet
Die Vernichtung der Akten sei nach dem Datenschutzgesetz vorgesehen. Wenn ein Fall abgeschlossen sei, bestehe für den Verfassungsschutz die Verpflichtung, die Daten zu vernichten oder dem Landesarchiv anzubieten, erklärte Schmid im rbb. Beim Geheimschutzbeauftragten hätten Mitarbeiter nicht erkannt, welche Akten ins Archiv gehen sollten und welche zur Vernichtung anstanden. Durch dieses Versehen seien dann auch Akten vernichtet worden, die eigentlich für das Archiv bestimmt waren.
In der Vergangenheit hatte die Aktenvernichtung bei Verfassungsschutzbehörden mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Neben dem Präsidenten des Bundesamtes, Heinz Fromm, mussten auch mehrere Landesamtschefs ihren Posten räumen. (dpa, AZ)
Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse
Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.
Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.
Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.
Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.
Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.
Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.
Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.
Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.
Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».
Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.
Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.
Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.