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Sicherheit: Verfassungsschutz geht von 530 "Gefährdern" in Deutschland aus

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Verfassungsschutz geht von 530 "Gefährdern" in Deutschland aus

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    Erst Mitte November sind die Sicherheitsbehörden mit einer Großrazzia in NRW und neun weiteren Bundesländern gegen mutmaßliche Unterstützer des IS vorgegangen.
    Erst Mitte November sind die Sicherheitsbehörden mit einer Großrazzia in NRW und neun weiteren Bundesländern gegen mutmaßliche Unterstützer des IS vorgegangen. Foto: Wolfram Kastl, dpa (Archiv)

    Duldung und Gefährder – um diese beiden Begriffe kommen Journalisten, die über die Flüchtlingskrise schreiben, derzeit kaum herum. In Deutschland leben derzeit nach offiziellen Angaben 168.000 geduldete Menschen, die eigentlich ausreisepflichtig wären, zwei Drittel sind Männer. Die meisten stammen aus Serbien und Afghanistan, es folgen das Kosovo, Syrien und Albanien. Experten gehen davon aus, dass ihre Zahl im kommenden Jahr auf rund eine halbe Million ansteigen könnte, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) alle bislang noch unbearbeiteten Anträge abgearbeitet hat.

    Bayern agiert bei Duldungen restriktiver als Nordrhein-Westfalen

    Dass Duldung in Deutschland nicht gleich Duldung ist, ist ein Teil des Problems. Denn nach welchen Grundsätzen in Deutschland eine Duldung ausgestellt wird, variiert offenbar von Bundesland zu Bundesland. Das hängt damit zusammen, dass Duldungen nicht zentral von einer Bundesbehörde ausgesprochen werden, sondern von den Ausländerbehörden vor Ort. Im Freistaat Bayern leben aktuell nach einer Übersicht der Süddeutschen Zeitung lediglich 9300 Geduldete, während es in Nordrhein-Westfalen 46.000 Menschen sind. Die Vermutung liegt also nahe, dass Bayern restriktiver agiert.

    Geduldet war auch der 24-jährige Tunesier Anis Amri, der als mutmaßlicher Attentäter von Berlin mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird. Ein entsprechendes Dokument befand sich in seiner Geldbörse, die er im Fahrerhaus des Sattelschleppers verloren hat, mit dem er am Montag in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche raste und zwölf Menschen in den Tod riss. Nach dem Ausländerrecht stellt eine Duldung lediglich eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreisepflichtigen Ausländern dar. Sie begründet keinen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern bescheinigt dem Ausländer lediglich, dass er bei den Behörden registriert ist und dass von einer Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht abgesehen wird.

    Die Gründe können vielfältig sein: fehlende Papiere, Krankheit, Schwangerschaft, Krieg im Herkunftsland oder auch fehlende Flugverbindungen, wie zum Beispiel nach Somalia. In den ersten drei Monaten besteht ein Arbeitsverbot, danach kann mit Zustimmung der Agentur für Arbeit ein Job angenommen werden. Inhaber einer Duldung dürfen sich nur in ihrem Bundesland aufhalten (Residenzpflicht), zudem haben sie keinen Anspruch auf Hartz IV oder Sozialhilfe, sondern nur auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

    Spezielle Rückkehrprogramme sollen Anreize für freiwillige Ausreise schaffen

    Mit speziellen Rückkehrprogrammen haben sowohl der Bund als auch die Länder finanzielle Anreize zu einer freiwilligen Ausreise geschaffen. Die Behörden übernehmen nicht nur die Kosten für die Reise, sondern stellen auch Geld bereit, um den Neuanfang im Heimatland zu erleichtern. Bis zum 1. Dezember wurden 51.243 Anträge zur Förderung der freiwilligen Rückkehr bewilligt, deutlich mehr als im Vorjahr, als es rund 35.000 waren. Gleichzeitig erreichte auch die Zahl der Abschiebungen einen neuen Höchststand. In den ersten elf Monaten des Jahres wurden 23.750 Ausländer, deren Antrag auf Asyl abgelehnt worden war, in ihre Heimatländer zurückgebracht, im ganzen Jahr 2015 waren es 20.888.

    Anis Amri war den Sicherheitsbehörden zudem als „Gefährder“ bekannt, also als radikaler Islamist, von dem angenommen werden kann, dass er Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnte. Schon vor Monaten fiel er den Behörden durch entsprechende Äußerungen auf, wie nach einem Bericht des Spiegel bei Ermittlungen gegen mehrere Hassprediger bekannt wurde. So habe er sich in einem Telefongespräch als Selbstmordattentäter angeboten, ein anderes Mal erkundigte er sich, wie man Waffen beschaffen könne. Allerdings seien die Äußerungen so verklausuliert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten, hieß es.

    Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gibt es in Deutschland 530 islamistische Gefährder, 2010 waren es noch 120. Von den 4,4 bis 4,7 Millionen Muslimen, die in Deutschland leben, gehören 8350 radikalen salafistischen Gruppen an, die Zahl der extremistischen Anhänger der „Milli Görüs“-Bewegung wird auf etwa 10000 geschätzt. Zum Vergleich: Knapp 27.000 Bundesbürger gelten als linksextrem, davon sind 7700 gewaltbereit, 22.600 Deutsche werden dem rechtsextremen Lager zugerechnet, davon gelten 11.800 als gewaltbereit.

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