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Zwickauer Terror-Zelle: Verfassungsschutz: Die Aktenvernichter vom Amt

Zwickauer Terror-Zelle

Verfassungsschutz: Die Aktenvernichter vom Amt

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    Der Verfassungsschutz hat Akten aus den Ermittlungen zum  Neonazi-Trio vernichtet. Die Geschichte eines beispiellosen Versagens (Symbolbild).
    Der Verfassungsschutz hat Akten aus den Ermittlungen zum Neonazi-Trio vernichtet. Die Geschichte eines beispiellosen Versagens (Symbolbild). Foto: dpa

    Es klingt nach einem schlechten Krimi: In dem Moment, in dem sich das Geheimnis um eine mysteriöse Mordserie zu lüften beginnt, wird der Verfassungsschutz aktiv – und zwar völlig dilettantisch: Er lässt Akten über Umtriebe des Rechtsextremen-Sammelbeckens Thüringer Heimatschutz zu dem Zeitpunkt schreddern, als der Generalbundesanwalt die Ermittlungen zu der in der zweiten Novemberwoche 2011 bekannt gewordenen Mordserie des rechtsextremistischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) an sich zog.

    Verfassungsschutz: Die Rekonstruktion einer peinlichen Panne

    Die Geschichte der Aktenvernichtung rekonstruiert der Spiegel wie folgt: Ein Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz sollte am 10. November 2011 Akten auf die Namen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, das NSU-Terror-Trio, sichten. Unter den Akten waren offensichtlich auch sieben Akten zur „Operation Rennsteig“, mit der der Bundesverfassungsschutz zwischen 1997 und 2003 gemeinsam mit dem Thüringer Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst Informanten bei thüringischen Rechtsextremen anwarben.

    Terror-Trio war im "Thüringer Heimatschutz" aktiv

    Im "Thüringer Heimatschutz" waren zeitweise Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aktiv. Ihnen werden insgesamt zehn Morde zur Last gelegt. Am 11. November meldete der Referatsleiter, so heißt es weiter, seinen Vorgesetzten, er habe keine Hinweise auf den NSU gefunden – er habe aber bemerkt, dass sieben sogenannte Beschaffungsakten gelöscht werden müssten, weil die Aufbewahrungsfrist von bis zu zehn Jahren abgelaufen sei. Noch am selben Tag habe er die Löschung angewiesen, am 12. November habe ein Mitarbeiter die Akten vernichtet.

    Das Pikante daran: Die Bundesanwaltschaft hatte am 11. November eine Zusammenstellung aller relevanten Akten angefordert. Und mehr noch: Der Referatsleiter soll versucht haben, den Vorgang dadurch zu vertuschen, dass er die Vernichtung der Akten um über ein drei viertel Jahr vordatierte. Auf einen Tag Anfang Januar 2011.

    NSU-Untersuchungsausschuss bringt es ans Licht

    Grünen-Politiker Christian Ströbele sagte dazu in der Zeitung Die Welt: „Da müssen sich die Verantwortlichen nicht wundern, wenn ihnen nun Vertuschung vorgeworfen wird.“ Heraus kam alles durch den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, vor den in der kommenden Woche Bundesverfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm als Zeuge geladen ist. Er wird einiges zu erklären haben. (dpa, afp, AZ)

    Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse

    Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.

    Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.

    Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.

    Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.

    Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.

    Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.

    Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.

    Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt  Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.

    Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».

    Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.

    Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.

    Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.

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