Seit November ist der oberbayerische CSU-Politiker Marcel Huber Umweltminister in Bayern. Zusammen mit dem FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil soll der 53-Jährige die Energiewende managen. Kein anderes Bundesland war bislang so abhängig von Atomenergie wie der Freistaat. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Huber, wo die größten Probleme liegen und wie weit das bei vielen Bürgern vor Ort umstrittene Projekt bereits gekommen ist.
Wann wird das letzte Atomkraftwerk in Bayern abgeschaltet?
Huber: Als letztes der vier verbleibenden Kraftwerke in Bayern wird Isar II Ende des Jahres 2022 abgeschaltet. So regelt das das deutsche Atomgesetz. Diesen Ausstieg halte ich für richtig und irreversibel.
Der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier hat kürzlich das Erreichen der Ziele der Energiewende infrage gestellt. Ist bei dem Projekt eineinhalb Jahre nach Fukushima die Luft raus?
Huber: Diesen Eindruck habe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Die Energiewende ist die größte Herausforderung unserer Tage und ein sehr ehrgeiziges Projekt für ein Industrieland wie Deutschland – und Bayern, in dem bis letztes Jahr 56 Prozent des Stroms mit Kernkraft produziert wurde. Wir müssen viele Dinge gleichzeitig erledigen. Aber der Ausbau der erneuerbaren Energien läuft gut und liegt über unseren Erwartungen.
In letzter Zeit bestimmen wieder die Kritiker die Debatte. Verbraucherschützer und Industrie warnen vor hohen Strompreisen…
Huber: Es darf keine übermäßigen Strompreissteigerungen geben. Deshalb ist es richtig, dass der Bundesumweltminister beim Ausbau der erneuerbaren Energien regelnd eingreifen will. Beim Ausbau der Offshore-Windenergie vor der Küste zum Beispiel ist mehr in Planung, als in Deutschland erforderlich ist. Wir müssen bis 2021 den Ausbau der notwendigen Kapazitäten in einem geplanten festen Korridor gestalten, ohne dass große teure Überkapazitäten entstehen.
Wie baut man ein Atomkraftwerk ab?
Ein stillgelegtes Atomkraftwerk kann man nicht einfach mit der Abrissbirne plattmachen - die Demontage des Meilers kostet viel Zeit und Geld.
Ein Beispiel dafür ist das 2005 vom Netz genommenen Kraftwerk Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis). Seit rund zwei Jahren sind Fachleute damit beschäftigt, das alte Kraftwerk abzubauen.
Mehr als zehn Jahre werden die Arbeiten insgesamt dauern und rund 500 Millionen Euro kosten. 275.000 Tonnen Material müssen abgebaut werden, darunter 2300 Tonnen radioaktiver Abfall.
Die Demontage hat in Obrigheim mit den nicht-nuklearen Teilen des Meilers begonnen, zum Beispiel mit dem Maschinenhaus und dem Überwachungsbereich. In einem zweiten Schritt stehen die leicht kontaminierten Anlagenteile des Kontrollbereichs auf dem Programm.
Von dort an geht es unter anderem mit Hilfe einer Fernbedienung oder auch mit Arbeiten unter Wasser an Teile wie das Druckgefäß, das dem Neutronenbeschuss direkt ausgesetzt war.
Im vierten Abschnitt kommen die Hilfseinrichtungen wie Kräne, Lüftungen sowie Anlagen zur Wasseraufbereitung und zur Reinigung dran.
Nur sehr wenige Teile des ehemaligen Kernkraftwerks sind so stark verstrahlt, dass sie nicht gereinigt werden können. Ein Großteil landet in einer Wasserstrahlkabine, wo es mit Hochdruck gesäubert wird, so dass es anschließend wie normaler Abfall entsorgt werden kann.
Eine «grüne Wiese» wird der Standort allerdings auch nach der Demontage des Kraftwerks nicht: Die 342 abgebrannten radioaktiven Brennelemente könnten bis zu 40 Jahre lang in einem Zwischenlager auf dem Kraftwerksgelände bleiben.
Kritiker fürchten, dass die Castor-Behälter mit dem Atommüll undicht werden und dann die Umwelt verstrahlen könnten.
Kann man mit den erneuerbaren Energien überhaupt jemals Versorgungssicherheit herstellen?
Huber: Unser oberstes Ziel ist es, Versorgungssicherheit in Bayern zu gewährleisten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien macht aber nur Sinn, wenn man parallel für sämtliche Einrichtungen sorgt, die dazu dienen, die Schwankungen von Sonne und Wind auszugleichen. Dazu gehört der Stromnetzausbau, eine intelligente Verbrauchssteuerung insbesondere bei Großverbrauchern und wir brauchen Energiespeicher. Hier werden Pumpspeicherkraftwerke nicht ausreichen.
Andere Alternativen befinden sich nur im Experimentierstadium...
Huber: Wir brauchen innovative Lösungen, wie zum Beispiel chemische Speicher, die Strom in Gas umwandeln. Hier ist noch viel zu forschen, aber auch da sind wir auf einem guten Weg. Vor allem benötigen wir aber den Bau von Reservekraftwerken, die kurzfristig hochgefahren werden können, wenn die Erneuerbaren zu wenig Strom liefern. Der Bau derartiger Reservekapazitäten, etwa in Form neuer Gaskraftwerke, ist für die Versorgungssicherheit in Bayern zwingend. Und es eilt. Spätestens mit dem Abschalten des Kernkraftwerkblocks B in Gundremmingen Ende 2017 muss diese Reservekapazität zur Verfügung stehen.
Hier hat Ihr Kabinettskollege, Wirtschaftsminister Martin Zeil, aber große Probleme, Investoren für den Bau von Gaskraftwerken zu überzeugen...
Huber: So wie die Bedingungen derzeit sind, rechnet sich der Neubau nicht. Keiner investiert viel Geld in ein Gaskraftwerk, das nur eine vergleichsweise kurze Zeit im Jahr läuft. Wir haben deshalb einen Vorstoß beim Bund gemacht, das Bereithalten von Reservekapazitäten zu entlohnen, wenn bei Bedarf der jederzeitige Betrieb garantiert wird.
Das heißt aber, dass dies die Strompreise für die Verbraucher noch teurer machen wird...
Huber: Ein Stromausfall ist wesentlich teurer als die vergleichsweise wenigen benötigten Ersatzkapazitäten. Der Bund ist gefordert, alle anstehenden Aufgaben wirtschaftlich optimal in einem Gesamtkonzept zusammenzubringen. Wir brauchen die kostgünstigsten Lösungen.
Wie liegt Bayern bei der Energiewende im Plan?
Huber: Wir sind voll im Plan. Was den Zubau an erneuerbaren Energien anbelangt, sind wir weit über dem Soll. Wir wollen bis 2021 rund 50 Prozent unseres Stroms in Bayern aus erneuerbaren Energiequellen produzieren. Dieses Ziel werden wir erreichen, schon heute sind wir in Bayern bei etwa 30 Prozent angekommen. Bei der Solarenergie waren wir vor ein paar Jahren bei vier Prozent, jetzt sind wir schon bei acht. Wenn es so weitergeht, sind wir bei der Photovoltaik schneller am Ziel als wir dachten. Die Windkraftanlagen brauchen einen Vorlauf beim Bau, aber hier haben wir die nötigen Voraussetzungen geschaffen. Das dringlichste Problem sind die genannten Reservekapazitäten.
Kürzlich lösten Überlegungen aus der Staatsregierung Verwunderung aus, man könne einen wesentlichen Teil des Atomausstiegs mit der Verstromung von Gülle in Biogasanlagen lösen. Wie weit ist das Projekt gediehen?
Huber: Alle interessanten Vorschläge sind zu prüfen. Diesen Auftrag hat nun der Landwirtschaftsminister. Die Idee klingt ja charmant, Biogasanlagen nicht nur mit nachwachsenden Rohstoffen zu betreiben, sondern viele kleine Betriebe zusammenzuspannen, die Gülle aus Tierhaltung zur Stromgewinnung nutzen können. Das Ergebnis der Prüfung sollten wir abwarten.
Nach wie vor sind die Vorbehalte gegen Biogasanlagen groß, wegen der „Vermaisung der Landschaft“. Wie wollen Sie diese Ängste entkräften?
Huber: Die Umsetzung der Energiewende ist immer abhängig von den regionalen Gegebenheiten. An Windräder, an Solaranlagen und auch an den Anbau nachwachsender Rohstoffe werden wir uns gewöhnen müssen. Aber es gibt natürlich überall Grenzen, gerade für die Belastung der Natur und für das Landschaftsbild. Deshalb müssen wir insgesamt einen vielfältigen und regional verschiedenen Energiemix hinbekommen, der verhindert, dass es vor Ort Extrembelastungen gibt. Dabei setzen wir auf die Kommunen als Partner vor Ort.
Was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen, seitdem Sie Ihr neues Amt übernommen haben?
Huber: Ich freue mich, wenn ich durchs Land fahre und sehe, wie viele Menschen bei der Energiewende vor Ort anpacken. Da gibt es in einem Dorf ein Bürgerwindrad, überall sieht man Photovoltaikanlagen auf den Dächern, viele Bauern betreiben eine Biogasanlage, in anderen Gegenden sind Schulen an die kommunale Hackschnitzel-Heizungsanlage angeschlossen. Da ist eine bayernweite Bewegung entstanden.