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Bundesregierung: Trotz Sorge um Timoschenko: Kein Boykott der Fußball-EM in der Ukraine

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Trotz Sorge um Timoschenko: Kein Boykott der Fußball-EM in der Ukraine

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    Die Bundesregierung sorgt sich um den Gesundheitszustand von  Julia Timoschenko. Ein Boykott der Fußball-EM in der Ukraine kommt für die Regierung aber nicht infrage.
    Die Bundesregierung sorgt sich um den Gesundheitszustand von Julia Timoschenko. Ein Boykott der Fußball-EM in der Ukraine kommt für die Regierung aber nicht infrage. Foto: Sergey Dolzhenko/Archiv dpa

    Die Kritik an der ukrainischen Regierung wächst. Die deutsche Regierung macht sich Sorgen um Julia Timoschenko. Einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft steht indes aus Sicht der Bundesregierung nicht zur Debatte.

    Am vergangenen Freitag war Timoschenko aus Protest gegen ihre Haftbedingungen  in einen Hungerstreik getreten. Die 51 Jahre alte Julia Timoschenko wirft den Behörden vor, sie unter Zwang aus dem Gefängnis in eine Klinik verlegt zu haben.

    Protest gegen Behandlung Timoschenkos

    Bundespräsident Joachim Gauck hat aus Protest gegen die Behandlung Julia Timoschenkos einem Medienbericht zufolge seinen geplanten Besuch in der Ukraine abgesagt. In Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe Joachim Gauck die Teilnahme an einem  Präsidententreffen in Jalta abgesagt, berichtet die "Süddeutsche  Zeitung" in ihrer Donnerstagsausgabe.

    Fall Timoschenko: Bundesregierung ist besorgt

    Die ukrainische Botschaft in Berlin sei darüber informiert  worden, dass Gauck einer Einladung zum Treffen zentraleuropäischer  Präsidenten Mitte Mai in Jalta auf der Krim nicht folgen werde,  bestätigte das Bundespräsidialamt am Mittwoch der "Süddeutschen  Zeitung". Dabei legte ein Sprecher Gaucks Wert auf die  Feststellung, dass "Auslandsreisen des Bundespräsidenten stets im engen Benehmen mit der Bundesregierung erfolgen".

    Bundesregierung: Kein Boykott der Fußball-EM

    Trotz "tiefer Sorge" um den  Gesundheitszustand der inhaftierten Timoschenko hält die Bundesregierung  dennoch wenig von einem Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine. Regierungssprecher Steffen Seibert kritisierte am Mittwoch den Umgang der ukrainischen Behörden mit Timoschenko.  Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe noch keine Pläne für einen  möglichen Besuch von Spielen in der Ukraine.

    Sollten die Berichte zutreffen, wonach bei Timoschenkos  zeitweiliger Verlegung in ein Krankenhaus am vergangenen Freitag  physische Gewalt angewendet worden sei, wäre das Vorgehen der  ukrainischen Strafvollzugsbehörden "inakzeptabel und vollkommen  unverhältnismäßig", sagte Seibert. Grundsätzlich sei das  strafrechtliche Vorgehen gegen Timoschenko und andere  Oppositionspolitiker mit den europäischen Werten nicht zu  vereinbaren. Timoschenko müsse nun endlich angemessen medizinisch  behandelt werden. Das Angebot der Bundesregierung für eine  medizinische Behandlung in Deutschland stehe weiterhin.

    Außenminister Westerwelle: EM ist gute Gelegenheit, in der Ukraine genau hinzuschauen

    Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte, die Sorge  um Timoschenko habe sich nach dem von ihr aufgenommenen  Hungerstreik noch verstärkt. Die  Anfrage Kiews hinsichtlich einer Beteiligung deutscher Ärzte an der  Behandlung Timoschenkos in der Ukraine "haben wir zur Kenntnis  genommen", sagte Westerwelle. Nun werde geprüft, ob und unter  welchen Voraussetzungen das ein für Timoschenkos Behandlung  medizinisch sinnvoller Beitrag sein könne.

    Ein Sprecher des Außenministeriums in Kiew sagte, die Ukraine  habe die deutsche Regierung um ihre Mithilfe gebeten, um Ärzten der  Berliner Charité eine weitere Reise in die Ukraine zur Untersuchung  und Behandlung Timoschenkos zu ermöglichen. Ausländischen Ärzte  hatten sie bereits Mitte April in der Haft untersucht.

    Zu einem möglichen Boykott der Fußball EM in der Ukraine sagte Westerwelle: "Ich halte wenig von Boykottaufrufen." Die EM sei gerade wegen des großen öffentlichen Interesses eine gute Gelegenheit, genau hinzuschauen, wie es um Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in der Ukraine stehe. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe "noch keine Reisepläne" für einen möglichen Besuch von Spielen in der Ukraine gemacht, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

    Innenminister Friedrich: Sport-Boykott grundsätzlich ungeeignetes Mittel

    Der auch für Sport zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter  Friedrich (CSU) wandte sich gegen einen Boykott der Fußball-EM in  der Ukraine. "Ich würde nicht mit Boykott drohen", meinte er auf eine Frage zum Menschenrechtsfall Timoschenko. Die frühere Regierungschefin der Ukraine ist aus Protest gegen ihre Haftbedingungen in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. "Boykottideen", betonte Friedrich, sind "nicht geeignet, dem, was Sport ausdrücken will - nämlich das Völkerverbindende und den fairen Wettbewerb der Jugend -, gerecht zu werden." In diesem Punkt sei man sich "im Bereich des Sports in Europa" einig.

    Die Bundestags-Abgeordnete Dagmar Freitag hatte gefordert, dass sich auch der Sport in gravierende Fälle einmischen und seine Stimme erheben muss. Führende Fußball-Funktionäre lehnen dagegen eine Intervention des Sports in die Politik generell ab oder sehen dafür kaum Erfolgschancen."Ich glaube schon, dass der Sport auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe hat", sagte Freitag im ARD-Morgenmagazin. "Sport ist keineswegs ein Satellit im rechtsfreien Raum. Er hat sehr wohl die Aufgabe, seine Stimme zu erheben", meinte die SPD- Politikerin.

    Freitag kritisierte damit jüngste Äußerungen von UEFA-Präsident Michel Platini, der vor der Fußball-EM (8. Juni bis 1. Juli) in der Ukraine und Polen die Einmischung in Regierungsangelegenheiten ausgeschlossen hatte. Platini hatte sich für Zurückhaltung ausgesprochen. "Die UEFA ist keine politische Institution und wird nie eine sein", sagte der Franzose.

    Grüne: Boykott-Forderung kommt zu spät

    Nach Ansicht der sportpolitischen Sprecherin der Grünen, Viola  von Cramon, kommt die Boykott-Forderung zu spät. Schon bei der  Vergabe der EM durch den Europäischen Fußballverband seien die  systematischen Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine bekannt  gewesen, sagte sie im Deutschlandfunk. Nun müsse Druck auf die UEFA  und den Deutschen Fußballbund ausgeübt werden, um sich eindeutig zu  positionieren. Auch von Merkel erwarte sie klare politische Signale.

    Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sieht derzeit keine Druckmittel des Sports im Fall Timoschenko. "Denn wir als Sportverband können nicht die Probleme lösen, die die Politik bisher nicht lösen konnte", sagte der neue DFB-Präsident Wolfgang Niersbach am Dienstagabend im "heute journal" des ZDF. "Wenn wir wissen, dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, mit ihrem Einfluss eine medizinische Behandlung von Frau Timoschenko in Deutschland zu ermöglichen, dann wird das auch schwer über das Ereignis EURO 2012 zu realisieren sein."

    Borussia Dortmund-Geschäftsführer Watzke plant persönlichen Boykott

    Mit einem persönlichen "Boykott" will Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer des alten und neuen Fußballmeisters Borussia Dortmund, ein Zeichen setzen: "Das wird zwar in der Ukraine niemanden interessieren, aber solange Frau Timoschenko keine medizinische Behandlung von unabhängigen Ärzten erhält, werde ich bei der EM nicht in die Ukraine reisen."

    Tierschützer protestieren weiter gegen die  Hundetötungen

    Auch Tierschützer machen sich nach wie vor stark für einen Boykott des Fußball-Turniers. Zar habe das massenhafte Töten von Hunden in den Straßen Kiews nachgelassen, in anderen Landesteilen gehe die Tierquälerei jedoch weiter, appelliert die Tierschutzorganisation Peta. "In Ukraine gehen die Massentötungen weiter" schreibt die Organisation in einem Aufruf auf ihrer Internetseite. Eine erneute Peta-Recherche habe gezeigt: Die Erklärung der ukrainischen Regierung vom November 2011, das Töten beenden zu wollen, habe das Leid der heimatlosen Hunde nicht vermindert.

    Um gegen die Tötungen zu protestieren, ruft die Organisation dazu auf, der ukrainischen Regierung und der Vereinigung Europäischer Fußballverbände (UEFA) Briefe zu schreiben. Auch an den  Deutschen Fußball-Bund (DFB) sowie die Sponsoren solle man schreiben und ein sofortiges Ende des Leidens der Hunde fordern, so der Appell der Organisation Peta weiter.

    AZ/dpa/afp

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