Milliardengrab Stuttgart 21: Das Bahngroßprojekt wird teurer und teurer. Dabei gerät die Bahn immer stärker unter Erklärungsdruck. Der Bund als Eigentümer verlangt genauere Angaben, wie der Konzern Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro stemmen will, ehe der Aufsichtsrat grünes Licht dafür geben kann. Dafür fehle jedoch vorerst die Basis. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) betonte am Dienstag zugleich, dass der Bund zu dem Projekt stehe. Der Bundesrechnungshof will die Kosten prüfen.
In einem Dossier des Ministeriums wurden zahlreiche kritische Punkte aufgelistet. Darin heißt es nach Informationen der "Stuttgarter Zeitung" (Dienstag) und der Nachrichtenagentur dpa: "Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind zu schwach." Um die Mehrkosten bewerten zu können, müssten Alternativen bis hin zum Ausstieg ernsthaft untersucht werden. Das Papier diente zur Vorbereitung eines Workshops des Bahn-Kontrollgremiums.
Die Bahn geizt mit Informationen
Kritisiert wird, dass die Bahn die anderen Projektbeteiligten - darunter das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart - noch nicht offiziell kontaktiert habe. Nötig sei ein "belastbarer und geprüfter" Gesamtwertumfang des Projekts mit einer angemessenen Risikovorsorge. Den bisherigen Informationen zufolge könne sich ein Betriebsstart wegen möglicher Planungsänderungen sogar bis 2024 hinziehen. Bislang wird angestrebt, dass die ersten Züge 2020 durch den neuen Tiefbahnhof rollen.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) trat dem Eindruck entgegen, der Bund distanziere sich damit von Stuttgart 21. "Das ist Quatsch", sagte er dem ZDF am Rande einer Konferenz in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Ein Ministeriumssprecher erläuterte in Berlin: "Dem Bund geht es um eine offene Debatte. Dies bedeutet aber kein "Abrücken" vom Vorhaben selbst." Als Eigentümer der Bahn müsse der Bund allerdings "sicherstellen, dass Schaden vom Unternehmen DB AG abgewandt wird". Daher sei der Fragenkatalog nun abzuarbeiten.
Die Kosten steigen um eine weitere Milliarde
Aufsichtsräte des Staatskonzerns kamen am Dienstag zu einem Workshop zusammen, um über das weitere Vorgehen wegen der Mehrkosten zu beraten. Der bundeseigene Konzern hatte im Dezember mitgeteilt, dass der Finanzierungsrahmen für Stuttgart 21 sich um 1,1 Milliarden auf 5,6 Milliarden Euro erhöhe. Die Mehrkosten will die Bahn stemmen. Hinzu kämen Risiken von 1,2 Milliarden Euro, für die das Unternehmen nicht die Verantwortung übernehmen will. Der Termin der nächsten regulären Aufsichtsratssitzung, bei der über die Übernahme der Mehrkosten entschieden werden soll, stand zunächst nicht fest.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lehnte eine Diskussion über einen Stopp von Stuttgart 21 ab. "Wir eröffnen keine Ausstiegsdebatte." Die grün-rote Landesregierung fühle sich an die Volksabstimmung gebunden, bei der sich eine Mehrheit gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung ausgesprochen hatte. Kretschmann machte aber klar, dass das Land nicht mehr als die vorgesehenen 930 Millionen Euro zahlen werde.
Bundesrechnungshof will genauer hinschauen
Der Bundesrechnungshof will die Finanzplanung des Projekts unter die Lupe nehmen. "Wir werden jetzt genau hinschauen, wie sich die Kosten von Stuttgart 21 entwickeln und welche Kostensteigerungen hinzu kommen", sagte Präsident Dieter Engels der "Welt".
Die SPD forderte belastbare Berechnungen. Für die Entscheidung, ob das Vorhaben noch umsetzbar sei, müsse auch ein realistisches Ausstiegsszenario berechnet werden, sagte der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sören Bartol, der dpa. "Dazu muss der Aufsichtsrat unabhängige Experten beauftragen, die die Zahlen der Bahn überprüfen." Für eine Entscheidung dieser Tragweite müsse vorher mit den Projektpartnern gesprochen werden.
Die Grünen- Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, sieht auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Aufsicht in der Verantwortung: "Sonst erleben wir ein zweites finanzielles Desaster wie beim Berliner Flughafen BER."
Der SPD-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Claus Schmiedel, sieht in dem Dossier einen Versuch, das Projekt in der Öffentlichkeit schlechtzumachen. "Das ist gezielte Stimmungsmache", sagte er der dpa. Schmiedel warnte vor einem Ausstieg, der nach seinen Angaben mehr als drei Milliarden Euro kosten würde. dpa