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Flüchtlingskrise: Streit in der Union: Noch sitzt die Kanzlerin am längeren Hebel

Flüchtlingskrise

Streit in der Union: Noch sitzt die Kanzlerin am längeren Hebel

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    Mehr als nur unterschiedlicher Auffassung: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
    Mehr als nur unterschiedlicher Auffassung: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Die Bayerische Staatsregierung macht Ernst und fordert die Bundesregierung auf, die bayerisch-österreichische Grenze „unverzüglich“ besser zu schützen. Die Drohung mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht soll jene nationalen Grenzmaßnahmen bewirken, zu denen die Kanzlerin bisher nicht bereit ist. Nun ja, der Brandbrief aus München wird Angela Merkel nicht beeindrucken. Niemand weiß ja, wie Karlsruhe eines fernen Tages entscheiden würde. Und so erschüttert ist die Machtposition Merkels noch nicht, als dass sie auf ein Schreiben Bayerns hin nun plötzlich doch einen Kurswechsel vollziehen würde.

    Das Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers Udo di Fabio, der angesichts offen stehender EU-Außengrenzen eine Pflicht des Bundes zur Sicherung seiner eigenen Grenzen sieht, hat zweifellos Gewicht. Aber eine Entscheidung über eine Begrenzung der Zuwanderung obliegt der Politik. Der Wink mit dem Karlsruher Zaunpfahl dient deshalb vor allem dem Zweck, den Druck auf Merkel noch zu erhöhen und die Entschlossenheit der CSU zu demonstrieren.

    Im Übrigen belegt der Brief, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen CDU und CSU ist – schließlich gehört die CSU jener Regierung an, der sie nun mit juristischen Mitteln droht. Und mit jedem Seehofer’schen Ultimatum, das die Kanzlerin kühl verstreichen lässt, wachsen die Zweifel am Durchsetzungsvermögen der CSU.

    Jedenfalls nähert sich Seehofer jenem Punkt, an dem der Rückzug der CSU aus der Koalition als die konsequenteste und glaubwürdigste Reaktion erscheint. Doch alle Welt weiß, dass der CSU vor einem solchen Abenteuer graut und der bayerische Löwe nicht wirklich zubeißen will. Merkel könnte ja mit CDU und SPD weiterregieren und die Bayern zur entbehrlichen Regionalpartei degradieren. So ist die Lage, und deshalb sitzt die Kanzlerin im Machtkampf mit Seehofer weiter am längeren Hebel. Für den Moment ist Merkel also noch stark genug, alle Forderungen nach einer national gesteuerten Eindämmung des Flüchtlingszustroms abzuwehren.

    Der Druck der CSU und der Bevölkerung auf Merkel wird größer

    Auf Dauer hingegen wird die Kanzlerin dem Druck, der aus dem wachsenden Unmut in der Bevölkerung und dem Aufstieg der rechten Partei AfD entsteht, nicht standhalten können. Das gilt umso mehr, als Merkels europäische Lösung offensichtlich nicht funktioniert und die zerstrittene Große Koalition weder zu einer einheitlichen Linie noch zu entschlossenem Handeln fähig ist. Man zankt sich lautstark um das längst beschlossene „Asylpaket 2“, derweil jede Woche Zigtausende großteils unkontrolliert die Grenzen passieren und niemand auch nur ungefähr weiß, wie viele Flüchtlinge im Land leben. Die Union ist gespalten, die SPD redet mal so und mal so und blockiert die Einrichtung grenznaher Aufnahmezentren.

    Merkels Versuche, die durch ihren Alleingang düpierte EU für eine Lastenteilung zu gewinnen und die Außengrenzen zu sichern, sind – einstweilen jedenfalls – gescheitert. Kurzum: Es passiert zu wenig, um die Kontrolle über die Zuwanderung zurückzugewinnen und die Zahl der Neuankömmlinge 2016 auf ein verkraftbares, die Integrationskraft des Landes nicht überforderndes Maß zu reduzieren.

    Geht es so weiter, ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit der deutschen und europäischen Politik bald aufgebraucht. Wenn Merkel diesen denkbar größten Schaden verhindern will, dann muss sie demnächst reagieren und ihren an sich richtigen europäischen Ansatz um flankierende nationale Maßnahmen ergänzen. Es geht nicht um Grenzschließung und Abschottung, sondern um ein klares Signal dafür, dass die Aufnahmebereitschaft Deutschlands nicht grenzenlos sein kann.

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