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Spähaffäre: Sascha Lobo im Interview: Bundesregierung hat "krass versagt"

Spähaffäre

Sascha Lobo im Interview: Bundesregierung hat "krass versagt"

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    Der Internet-Experte Sascha Lobo befürchtet die totale Überwachung der Bürger.
    Der Internet-Experte Sascha Lobo befürchtet die totale Überwachung der Bürger. Foto: Michael Hochgemuth

    Der rote Irokesenschnitt ist sein Markenzeichen. Mit Büchern und der Internet-Kolumne „Die Mensch-Maschine“ ist Sascha Lobo bekannt geworden. Er gilt als einer der kritischen Vordenker der vernetzten Gesellschaft des Internet-Zeitalters. Jetzt, in Zusammenhang mit der US-Spähaffäre, ist er gern gesehener Gast in Fernsehtalkshows. Wir haben mit dem 38-Jährigen über die Spähaffäre gesprochen.

    Herr Lobo, Ihre bekannte Kolumne heißt „Die Mensch-Maschine“. Woher kommt denn eigentlich der Name?

    Lobo: Unter Friedrich dem Großen gab es einen Herrn de La Mettrie. Er hatte die völlig unerhörte These aufgestellt, der Mensch sei bloß eine Maschine.

    Das klingt kalt und erinnert damit an die US-Spähaffäre, die uns derzeit beschäftigt. Müssen wir uns auf einen kalten Staat einstellen, der uns digital ausspäht?

    Lobo: Ein guter Punkt. Ein Staat, der seine Bürger gläsern macht – oder zulässt, dass seine Bürger heimlich gläsern gemacht werden –, der hat auch eine starke soziale Kälte. Ich glaube aber, dass das Problem der Spähaffäre noch viel weiter reicht ...

    Nahezu alle Daten werden überwacht

    Welche Dimension messen Sie der Spähaffäre bei?

    Lobo: Ich befürchte, dass wir dabei sind, in eine nicht unbedingt demokratische Gesellschaftsform abzurutschen. Die wahre Dimension ist, dass ja nicht nur Facebook-Chats überwacht werden, sondern nahezu alle Daten, die gesellschaftlich vorliegen, früher oder später zusammengeführt werden können. Was wir unter dem Spähprogramm „Prism“ kennen, sind kleine Details einer weltweiten Überwachungsmaschinerie.

    Sie befürchten eine weltweite Überwachungsmaschinerie?

    Lobo: Man muss sich als Bürger vor Augen führen, welche Daten es digital gibt: Patientenakten, Zahlungsdaten von Kreditkarten, Bewegungsdaten, die ich bei der Deutschen Bahn hinterlasse. Wenn man diese Daten auch noch mit der persönlichen Kommunikation zum Beispiel in E-Mails abgleicht, dann zeichnet sich ein Szenario ab, in dem jeder Bürger – völlig unabhängig vom Verdacht – durchleuchtbar ist. In dem Moment aber, in dem man Bürger ständigen Beobachtung aussetzt, geht ein grauenvoller Prozess los: Menschen fangen an, sich möglichst konform zu verhalten, sich politisch weniger zu betätigen. Aus Angst. Das ist für mich der Anfang vom Ende der Demokratie.

    Dimension der Überwachung haben sich viele noch nicht klar gemacht

    Warum bleibt dann aber die öffentliche Empörung derzeit aus?

    Lobo: Ein Grund ist, dass das Internet schon immer sehr abstrakt ist und wenig greifbar. Wenn der US-Geheimdienst NSA fünf Millionen Datensätze durchleuchtet, dann kann man direkt danach noch entspannt ein Bier im Biergarten trinken. Leider machen sich viele Leute die Dimension der Überwachung noch nicht klar, um die es geht.

    Wie zufrieden sind Sie mit der Bundesregierung in der Spähaffäre?

    Lobo: Ich glaube, dass die Kanzlerin und die Bundesregierung krass versagen. Über einen sehr langen Zeitraum hat die Kanzlerin gar nichts gesagt. Ihre erste Empörung – „Das geht gar nicht!“ – kam über ihren Regierungssprecher erst, als klar wurde, dass auch Politiker abgehört werden. Diese Empörung hat sie sofort wieder zurückgenommen und um Verständnis für die Überwachungsbehörden geworben. Schließlich hat sie Ablenkarbeit geleistet. Ihr Satz „Auf deutschem Boden gilt  deutsches Recht“ ist in Zeiten des Internets Humbug: Eine simple Google-Anfrage beinhaltet Abfragen auf 2000 Servern – und das weltweit.

    Merkel muss Transparenz schaffen

    Was fordern Sie von der Kanzlerin?

    Lobo: Ich erwarte vollständige Transparenz über das, was passiert – als Grundlage für die Durchsetzung unserer Verfassung. Aber müssen nicht Geheimdienste eben im Geheimen arbeiten, um für Sicherheit zu sorgen?

    Aber müssen Geheimdienste nicht eben im Geheimen arbeiten, um Sicherheit zu schaffen?

    Lobo: Es existiert kein Supergrundrecht "Sicherheit", das ist gefährlicher Unfug. Interessant ist, dass die Geheimdienste eben nicht in der Lage sind, perfekte Informationen zu sammeln. Trotz Überwachung bis ins Detail konnten zum Beispiel die Bomber am Rande des Boston-Marathons nicht verhindert werden. Es gibt also keine perfekte Überwachung, um Sicherheit herzustellen. Statt dessen werden die Grundrechte von Millionen Bürgern gebrochen, ohne dass es Erfolg verspricht. Früher waren Geheimdienste gerichtet auf Staatsgeheimnisse, heutet scheint mir ihr Treiben auf die Bürger gerichtet zu sein. Aber welche der letzten Terrorakte sind denn auf Facebook verabredet worden? Benutzt jemand, der die schreckliche Intelligenz hat, so etwas wie 9/11 zu planen, wirklich den unverschlüsselten Facebook-Chat, um sich zu verabreden?

    Schutz der Bürger ist die Aufgabe des Innenministers

    Verschlüsseln Sie Ihre E-Mails? Müssen wir alle dies nun tun?

    Lobo: Ich halte es für ein Zeichen der Kapitulation, wenn Innenminister Hans-Peter Friedrich erklärt, dass irgendwo der Nationalstaat aufhört und man ab dort seine Daten selbst verschlüsseln muss. Ich möchte in einem Staat leben, der in der Lage ist, die Rechte seine Bürger zu schützen. Das ist seine Aufgabe!

    Innenminister Hans-Peter Friedrich hat sich bei seinem Besuch in den USA versichern lassen, dass der US-Geheimdienst NSA keine Wirtschaftsspionage betrieben hat. Wie plausibel ist da?

    Lobo: In der Debatte kommt mir bisher zu kurz, dass Organisationen wie die NSA und der britische Geheimdienst sehr wohl die Aufgaben haben, Wirtschaftsinformationen abzugreifen. Im März 2000 hat der ehemalige CIA-Chef James Woolsey in der Zeit einen Artikel veröffentlicht, in dem er zugibt, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben – angeblich, um Bestechung zu verhindern. Faktisch ist seit Jahren bekannt, dass Wirtschaftsspionage ein Teilgebiet der NSA ist.

    Netz verschmilzt mit der Realität

    Was kommt noch auf uns zu? Wie stellen Sie sich eigentlich die Zukunft des Netzes vor?

    Lobo: Das Internet greift immer tiefer in gesellschaftliche Prozesse ein, auch da, wo man es nicht erwartet. Ein Trend heißt „augmented reality“, also digital angereicherte Realität. Das Netz geht nicht weg, wenn man den Laptop zuklappt. Google Street View war ein Beispiel: Das eigene Haus wurde fotografiert – ob man wollte oder nicht. Das Netz verschmilzt also mit der Realität. Das ist nicht aufzuhalten. Wir erleben nächstes Jahr die Markteinführung der Google Glasses, einer Brille, die über die Welt eine digitale Schicht legt. Man muss nur die digitale Gesichtserkennung von Facebook damit kreuzen, um sich auszumalen, was das bedeuten könnte. Das soll kein Angstszenario sein, aber die Menschen müssen sich damit auseinandersetzen, was im Netz passiert.

    Machen wir das ausreichend?

    Lobo: Nach meiner Einschätzung macht das niemand ausreichend.

    Eine Frage hätten wir noch. Seit wann pflegen Sie eigentlich Ihre Frisur?

    Lobo: Seit dem 2. Oktober 2006. Das war eineinhalb Tage, bevor ich mein erstes Buch über die digitale Bohème vorgestellt habe. Ich hatte immer das Gefühl einen inneren Irokesenschnitt zu haben. Dann ist er aus mir herausgewachsen.

    Und was sagt Ihre Mutter dazu?

    Lobo: Meine Mutter findet eigentlich immer gut, was ich tue. Hier hat sie zugegeben etwas länger gebraucht.

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