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Stuttgart 21: Polizei räumt Schlossgarten mit Schlagstöcken

Stuttgart 21

Polizei räumt Schlossgarten mit Schlagstöcken

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    Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben sich im Schlosspark von Stuttgart versammelt.
    Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben sich im Schlosspark von Stuttgart versammelt. Foto: Franziska Kraufmann dpa

    Das Ende des Zeltlagers der Stuttgart-21-Gegner: Die Polizei hat damit begonnen, den Schlossgarten für die Bauarbeiten am umstrittenen Bahnprojekt zu räumen. Ab etwa 4.50 Uhr am Mittwochmorgen trugen Polizisten die ersten Protestler von dem abgeriegelten Gelände. Rund 2500 Beamte waren im Einsatz. Nach Angaben der Polizei befanden sich noch hunderte S21-Gegner im Park. Einige Demonstranten waren auf Bäume geklettert. Andere hatten Barrikaden errichtet oder Sitzblockaden gebildet.

    Polizei setzt Schlagstöcke ein

    Entlang der Absperrgitter gab es nach wie vor mehrere Möglichkeiten, das Gelände freiwillig zu verlassen. Gegen 3 Uhr hatte der Einsatz begonnen. Die Polizisten stellten rund 800 Meter Gitter entlang des Mittleren Schlossgartens auf. Dort hielten sich zunächst etwa 1000 S21-Gegner auf. "Mittlerweile haben sich einige Hundert entfernt", sagte Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle. Kurz vor 6 Uhr sprach er von noch rund 400 Demonstranten im Park.

    Chronologie: Großprojekt Stuttgart 21

    November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung, in der auch die Finanzierung des auf fünf Milliarden Mark (rund 2,5 Milliarden Euro) veranschlagten Projekts festgelegt wird.

    November 1997: Das Düsseldorfer Architektenbüro von Christoph Ingenhoven erhält den Zuschlag für den Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit großen Lichtaugen.

    Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt.

    Juli 2004: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.

    April 2006: Das oberste Verwaltungsgericht Baden-Württembergs weist drei Klagen gegen den geplanten Umbau des Hauptbahnhofs ab.

    20. Dezember 2007: Der Gemeinderat der Landeshauptstadt lehnt einen Bürgerentscheid über das Milliardenprojekt mit großer Mehrheit ab. Rund 67.000 Bürger, dreimal mehr als notwendig, hatten dafür votiert.

    2008: Die Landesregierung erwartet Verteuerung auf 3,076 Milliarden Euro - der Bundesrechnungshof kommt auf mehr als fünf Milliarden Euro.

    2. April 2009: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Vorstand Stefan Garber unterzeichnen die Finanzierungsvereinbarung.

    2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen.

    27. Juli 2010: Bahnchef Grube gibt für die Schnellbahntrasse nach Ulm eine Kostensteigerung um 865 Millionen Euro auf 2,9 Milliarden Euro bekannt.

    11. August 2010: Das Umweltbundesamt sieht für Stuttgart 21 und die neue Schnellbahntrasse eine weitere Kostenexplosion auf bis zu elf Milliarden Euro.

    25. August 2010: «Baggerbiss» am Nordflügel des Hauptbahnhofs.

    September 2010: Die oppositionelle SPD, die wie die schwarz-gelbe Regierung für das Vorhaben ist, will die Bürger entscheiden lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt die Landtagswahl zur Abstimmung über das Bahnprojekt. Der Konflikt eskaliert. Bei der Räumung des Schlossgartens werden weit mehr als 100 Demonstranten verletzt, einige davon schwer. Auch Dutzende von Polizisten erleiden Verletzungen. Kurz nach Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt.

    06. Oktober 2010: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) schlägt den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Schlichter vor.

    09. Oktober 2010: Der Protest wächst weiter: Rund 65.000 Menschen gehen nach Schätzungen der Polizei gegen das Bahnprojekt auf die Straße. Die Veranstalter sprechen von 90.000 bis 100.000 Teilnehmern.

    22. Oktober - 27. November 2010: Acht Runden öffentlicher Schlichtung.

    30. November 2010: Geißler spricht sich in seinem Schlichterspruch für den Weiterbau des Projekts aus, verlangt aber Nachbesserungen. So schlägt er einen Stresstest vor, der zeigen soll, ob der geplante Tiefbahnhof wie behauptet 30 Prozent leistungsfähiger ist als der Kopfbahnhof. Die Ergebnisse werden im Sommer 2011 erwartet.

    10. Januar 2011 : Die während der Schlichtung unterbrochenen Bauarbeiten werden fortgesetzt - begleitet von Protesten.

    27. März 2011: Bei der Landtagswahl siegen Grüne und SPD.

    29. März 2011: Zwei Tage nach dem Regierungswechsel verkündet die Bahn einen Bau- und Vergabestopp bis zur Regierungsbildung im Mai.

    27. April 2011: Grüne und SPD präsentieren ihren Koalitionsvertrag. Die beiden Parteien einigen sich, über die Zukunft von Stuttgart 21 per Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Im Juni soll außerdem ein Stresstest zeigen, ob der Bahnhof teuer nachgerüstet werden muss.

    12. Mai 2011: Winfried Kretschmann wird nach dem Wahlsieg erster grüner Ministerpräsident der deutschen Geschichte.

    3. Juni 2011: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert in einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einen längeren Bau- und Vergabestopp. Ramsauer lehnt dies ab.

    14. Juni 2011: Die Deutsche Bahn nimmt die nach dem Regierungswechsel unterbrochenen Bauarbeiten wieder auf. Erneut kommt es zu kleineren Demonstrationen und Blockaden.

    9. Juli 2011: Erneut kommt es zu größeren Demonstrationen. Tausende Menschen fordern einen «Baustopp für immer».

    21. Juli 2011: Der geplante Bahnhof besteht den von einer Schweizer Firma durchgeführten Stresstest.

    29. Juli 2011: Das Ergebnis des Stresstests wird offiziell präsentiert. Auch das Aktionsbündnis gegen das Bahnhofsprojekt nimmt an dem Termin teil, nachdem zunächst ein Boykott erwägt worden war.

    27. November 2011: Eine Mehrheit hat sich für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 entschieden. Rund 7,6 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, über das S21-Kündigungsgesetz abzustimmen. 58,9 Prozent stimmten gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung, 41,1 Prozent stimmten für den Ausstieg.

    23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht - und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.

    3. Dezember 2012: Aus Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats heißt es, Stuttgart 21 könne rund eine Milliarde Euro teurer werden. Summe damit etwa: 5,5 Milliarden Euro.

    6. Dezember 2012: Noch einmal 500 Millionen Euro mehr. Ein Vertreter des Bahn-Konzerns sagt dem Hessischen Rundfunk: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus."

    12. Dezember 2012: Nun zwei Milliarden Euro mehr? Unter Berufung auf Regierungskreise zitiert die "Stuttgarter Zeitung" Studien, wonach die Mehrkosten mindestens bei 1,3 Milliarden Euro, schlimmstenfalls bei 2 Milliarden Euro liegen.

    Der erwartete massive Widerstand der Projektgegner blieb zunächst aus. Viele verließen freiwillig das Gelände. Ihm sei keine brenzlige Situation bekannt, sagte Züfle. Die Stimmung sei angespannt, aber nicht aggressiv. Wegen Besitzes von Pyrotechnik habe es eine Festnahme gegeben. Zudem setzten einige Beamte laut Polizeisprecher Olef Petersen Schlagstöcke ein, als S21-Gegner partout nicht zur Seite gehen wollten. "Aber das war wirklich sehr vereinzelt."

    174 Bäume sollen gefällt werden

    Der Sprecher der Initiative "Parkschützer", Matthias von Herrmann, berichtete von bis zu 2000 Demonstranten, die ein "Signal für den friedlichen Protest" setzen wollten. Über den Einsatz sagte er: "Die Polizei ist rasch und hektisch aufgelaufen." Es sehe nicht nach einem besonnen Einsatz aus wie ihn Züfle angekündigt hatte.

    Mit Trillerpfeifen, Trommeln und Plakaten demonstrierten die Projektkritiker gegen das Bahnvorhaben. "Wir werden den Protest erst dann aufgeben, wenn Stuttgart 21 beendet ist", sagte von Herrmann. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schnee sollten Lagerfeuer Wärme spenden. Einige Menschen riefen "Unser Park!" und "Oben bleiben!" oder sangen "Marmor, Stein und Eisen bricht" und den Protestsong "We shall overcome".

    Am Morgen wollte die Polizei das Protestcamp mit zahlreichen Zelten sowie die Baumhäuser räumen. Die abgesperrte Fläche ist insgesamt rund 40.000 Quadratmeter groß - das entspricht etwa fünfeinhalb Fußballfeldern. Dort sollen in den kommenden Tagen 174 Bäume gefällt oder verpflanzt werden, damit der Trog für den heftig kritisierten Tiefbahnhof ausgehoben werden kann.

    Regierung und Polizei wollen Eskalation vermeiden

    Es ist der zweite große Polizeieinsatz innerhalb von gut einem Monat. Am 13. Januar war der  Südflügel des alten Bahnhofs abgesperrt worden, um ihn abreißen zu können. Regierung und Polizei wollen eine Eskalation wie bei den Baumfällarbeiten am 30. September 2010 vermeiden. Damals hatte die Polizei Wasserwerfer und Pfefferspray eingesetzt; mehr als 100 Menschen wurden verletzt.

    Das Projekt Stuttgart 21 umfasst eine unterirdische Durchgangsstation und die Anbindung an die geplante Schnellbahnstrecke nach Ulm. Die Bahn schätzt die Kosten auf rund 4,1 Milliarden Euro. Die Grünen und andere Projektgegner halten den Bahnhofsumbau für unnötig und rechnen mit einer Kostenexplosion. Seit der Volksabstimmung Ende November 2011, bei der sich die Befürworter durchsetzten, hat sich die Debatte etwas beruhigt.

    Um mehr Transparenz zu bieten, hatte die Polizei ausgewählte Journalisten eingeladen, den Einsatz eng zu begleiten und hinter die Kulissen zu blicken. Aber auch viele andere Journalisten konnten auf das Gelände. Zu einer Einflussnahme oder einer Behinderung der Berichterstattung kam es zunächst nicht. dpa

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