Zum Abschluss seiner Deutschland-Reise hat Benedikt XVI. überraschend die katholische Kirche in Deutschland aufgefordert, auf staatliche Privilegien zu verzichten. Vor 1500 Gästen im Freiburger Konzerthaus sagte der Papst am Sonntag: „Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“ Zu den Privilegien gehören in Deutschland die staatliche Einziehung der Kirchensteuer, die finanziellen Staatsleistungen an die Kirchen, der Religionsunterricht an staatlichen Schulen und die theologischen Fakultäten an Universitäten.
Indirekt ging das Oberhaupt der katholischen Kirche auf die Kritik ein, die seine Rede im Bundestag und sein Gespräch mit Verfassungsrichtern ausgelöst hatte. Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei hatten darin einen Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Trennung von Kirche und Staat gesehen.
Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch erklärte zu dem Thema noch am Sonntagabend: Der Papst habe in seiner Rede nichts gegen die deutsche Kirchensteuer oder den Religionsunterricht an Schulen eingewendet. Bei seiner Mahnung, staatliche Privilegien aufzugeben, sei es Benedikt XVI. nicht um konkrete Regelungen in Deutschland gegangen. Der Papst habe mahnen wollen, dass sich die Kirche nicht auf Privilegien wie der Erhebung von Kirchensteuern oder dem Religionsunterricht an staatlichen Schulen ausruhen dürfe.
Nach den politisch und ökumenisch brisanten Stationen in Berlin und Erfurt stellte Benedikt in Freiburg den katholischen Glauben in den Mittelpunkt. Dabei warnte der Papst: „Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen.“ Bei seiner Rede im Konzerthaus beklagte er eine „zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben“ und sagte: „Umso mehr ist es wieder an der Zeit, die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulegen.“
Wulff lobt zum Abschied den Deutschland-Besuch
Kleines Kirchenlexikon
Apostolische Reise: Die "Dienstreisen" des Papstes außerhalb Italiens werden als Apostolische Reisen bezeichnet. Bei offiziellen Reisen innerhalb Italiens spricht der Vatikan von Pastoralbesuchen. Der Deutschlandbesuch ist die 21. Auslandsreise Benedikts XVI.
Eucharistiefeier: Höhepunkt einer Eucharistiefeier (von griech. eucharistía = Danksagung) ist die Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi. Da die Protestanten diese Glaubensüberzeugung nicht teilen, untersagt ihnen die katholische Kirche die Teilnahme an der Heiligen Kommunion, bei der gewandelte Leib Christi meist in Form einer Hostie ausgegeben wird. Papst Benedikt XVI. plant auf seiner Reise öffentliche Eucharistiefeiern in Berlin (Olympiastadion), Erfurt (Domplatz) und Freiburg (Flughafengelände).
Ökumene: Der Begriff Ökumene stammt aus dem Griechischen (oikouméne = das Bewohnte, die bewohnte Erde) und wird in erster Linie für das Ringen um die Einheit der Christen verwendet. Die moderne ökumenische Bewegung entstand an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Papst Benedikt XVI. trifft sich auf seiner Deutschlandreise im evangelischen Augustinerkloster Erfurt mit Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland zu einem Gespräch und einem ökumenischen Gottesdienst. In Freiburg steht ein Treffen mit Vertretern der orthodoxen Kirche auf dem Programm.
Orthodoxe Kirche: Die orthodoxen Kirchen (von altgriech. orthós = richtig, geradlinig und dóxa = Verehrung, Glaube) haben ihre Wurzeln im östlichen Mittelmeerraum und in Süd- und Osteuropa. Mit der römisch-katholischen Kirche besteht eine weitgehende Übereinstimmung in Glaubensfragen. Derzeit gibt es weltweit rund 300.000 Millionen Orthodoxe, in Deutschland rund 1,5 Millionen. Der Papst trifft in Freiburg Vertreter der orthodoxen Kirchen in Deutschland.
Angelusgebet: "Der Engel des Herrn" (Angelus) ist ein katholisches Gebet, das morgens, mittags und abends gesprochen wird. Der Papst will auf seiner Deutschland-Reise am Samstagnachmittag im Freiburger Münster ein Angelus-Gebet halten.
Vesper: Die Vesper (von lat. vespera = Abend) ist der abendliche Teil des Stundengebetes der katholischen Kirche und wird in der Regel gegen 18.00 Uhr gebetet. Wichtige Elemente sind die alttestamentarischen Psalmen sowie Gesänge und Lesungen aus dem Neuen Testament. Bei einer Marianischen Vesper, wie sie im Marien-Wallfahrtsort Etzelsbach in Thüringen gefeiert wird, schließt das Gebet mit einem Mariengesang ab.
Vigil: Die Vigil (von lat. vigilia = Nachtwache) ist ein Teil des katholischen Stundengebets und bezeichnet eine Gebetszeit in der Nacht oder am frühen Morgen. Papst Benedikt XVI. feiert auf seiner Deutschlandreise eine Vigil mit Jugendlichen auf dem Messegelände in Freiburg. Auf den Weltjugendtagen hat der Papst in den vergangenen Jahren regelmäßig die Vigil mit Jugendlichen gebetet, zuletzt am 20. August in Madrid.
Die Apostolische Nuntiatur: Nuntius ist lateinisch und bedeutet Botschafter. Der Apostolische Nuntius ist der Botschafter des Papstes im jeweiligen Land, in Deutschland ist seit 2007 Nuntius Erzbischof Jean-Claude Périsset. Der Standort ist in Neukölln, Lilienthalstraße, neben St. Johannes-Basilika und Hasenheide.
Bundespräsident Christian Wulff sagte zum Abschied, der Papst habe mit seinem Deutschland-Besuch viele Menschen beschenkt. „Sie haben auf Ihrer Reise viele Zeichen gesetzt, Orientierung und Maßstäbe vermittelt, die nicht nur bequem sind und die uns allen zu denken geben: den Katholiken und den übrigen Christen genauso wie den Nichtchristen“, so Wulff. Die kritische Laienorganisation „Wir sind Kirche“ erklärte mit Blick auf ausgebliebene Reformsignale, für alle Christen sei es nun „Recht und Pflicht, nicht mehr auf Schritte der Kirchenleitung zu hoffen, sondern dem eigenen Gewissen zu folgen“.
Am Freitag hatte der Papst in Erfurt unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Gruppe von Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter getroffen. Ein Vatikan-Sprecher sagte, das Gespräch sei „vertraulich“ gewesen. Doch die Männer und Frauen hätten das Treffen „positiv eingestellt“ verlassen. (afp, kuep, dpa) "Leitartikel Seite 2 und Politik