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Breivik-Morde: Norwegen ein Jahr nach Attentaten: Menschen sind zuversichtlich

Breivik-Morde

Norwegen ein Jahr nach Attentaten: Menschen sind zuversichtlich

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    Ort des Grauens: Leblose Körper liegen am Ufer der Insel Utøya. Hier hatte Breivik 69 fast durchweg jugendliche Teilnehmer eines sozialdemokratischen Sommerlagers getötet.
    Ort des Grauens: Leblose Körper liegen am Ufer der Insel Utøya. Hier hatte Breivik 69 fast durchweg jugendliche Teilnehmer eines sozialdemokratischen Sommerlagers getötet. Foto: Foto: Kristoffer Oeverli Andersen/Archiv dpa

    Amokläufe: Von Texas über Winnenden bis Oslo

    Der 1. August 1966 gilt als Auftakt der seitdem nicht mehr abgerissenen Serie von Amokläufen: An der Universität von Texas schießt ein Mann mehr als eine Stunde lang von einem Turm der Uni herunter auf Menschen. 14 Personen kommen ums Leben.

    Am 16. Oktober 1991 bringt in Killeen (Texas) ein Mann in einem Café 23 Personen um. Anschließend richtet er sich selbst.

    20. April 1999: Die beiden Schüler Eric Harris und Dylan Klebold stürmen die Columbine High School in Littleton in den USA. Sie töten dort zwölf Schüler und einen Lehrer. 24 weitere Personen werden verletzt. Danach richten sich die Amokläufer selbst. Diese Tat gilt als zweiter Auftakt von Amokläufen und als Beginn des Schul-Amoks.

    Der erste Schulamok in Deutschland findet am 26. April 2002 statt: Am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt tötet der 19 Jahre alte Schüler Robert S. 16 Menschen. Danach richtet er sich selbst. Der Amokläufer war ein Jahr zuvor von der Schule verwiesen worden.

    In Emsdetten schießt ein 18-Jähriger 20. November 2006 in seiner ehemaligen Schule um sich. Mehrere Menschen werden verletzt. Dann tötet sich der Täter selbst.

    Am 16. April 2007 erschießt ein Mann an der Technischen Universität von Virginia 32 Menschen und verletzt 15 weitere. Es ist der folgenschwerste Amoklauf in der Geschichte der USA.

    Der Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009: Der 17 Jahre alte Tim K. tötet 15 Menschen. Nachdem einer mehrstündigen Flucht vor der Polizei tötet er sich selbst.

    Am 22. Juli 2011 lässt der spätere Amokläufer Anders Behring Brevik eine Autobombe in Oslo detonieren. Danach fährt er auf die nahegelegene Insel Utoya und tötet etwa 70 Jugendliche.

    Bei einem Amoklauf im belgischen Lüttich tötet ein 33-jähriger Belgier am 13. Dezember 2011 sechs Menschen und verletzt 124 weitere Opfer.

    In Serbien erschießt ein Mann im April 2013 insgesamt 13 Verwandte und Nachbarn, darunter sechs Frauen und ein kleines Kind.

    Vor einem Jahr erschütterten eine Autobombe in Oslo und das folgende Massaker des Islamhassers Anders Behring Breivik auf der Insel Utøya das kleine skandinavische Land. Neben Verzweiflung und Trauer vieler hundert Angehöriger und Überlebender sind die Spuren des beispiellosen Verbrechens auch äußerlich weiter unübersehbar: Das schwer beschädigte Hochhaus mit dem Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg in der obersten Etage ist ebenso wie andere kaputtgebombte Ministerien weiter verwaist und abgesperrt. Ob es abgerissen wird, ist offen.

    Am Sonntag begehen die Menschen in Norwegen den ersten Jahrestag der Anschläge mit Trauerfeiern in Oslo und Utøya. Darüber hinaus soll es Konzerte von bekannten norwegischen Künstlern und sogar US-Rockstar Bruce Springsteen geben. Trotz aller Trauer sehen die Bürger Norwegens ihr Land zwölf Monate später positiver als vorher. Und schließen darin Zuwanderer ein, die der Attentäter treffen wollte.

    Umfrage: Vertrauen in die Gesellschaft hat zugenommen

    Kurz vor dem Jahrestag der Anschläge präsentierte der Osloer Politikwissenschaftler Ottar Hellevik mit einer Umfrage Verblüffendes über die dauerhaften Spuren der Anschläge in den Köpfen und Herzen der Norweger  "Der Anteil derjenigen ist gestiegen, die zufrieden sind mit dem Funktionieren unserer Demokratie."

    Das Vertrauen in die norwegische Gesellschaft habe zugenommen, erklärte Hallevik im Rundfunksender NRK und ergänzte: "Mehr Menschen als vorher meinen, dass Zuwanderer zu größerer kultureller Vielfalt beitragen und nicht so sehr, dass sie Wohlfahrtsleistungen ausnutzen." Auch habe sich die Haltung zu islamischen Glaubensgemeinschaften nach den Anschläge positiv entwickelt.

    Die Umfrage scheint zu bestätigen, dass Stoltenbergs in aller Welt gerühmte und bewunderte Aufforderung zu "noch mehr Demokratie und Humanität" als Reaktion auf das Verbrechen Früchte trägt - statt Hass, Rache und eisiger Kälte in der Gesellschaft. Der Regierungschef selbst warnte bei NRK vor zu schnellen positiven Schlüssen: "Es geht hier um Trauer, Schmerz, Tod, Leiden und Verlust. Aus all diesem Furchtbaren kann nicht einfach Gutes kommen."

    Rechte Parteien auf dem Vormarsch?

    Breiviks Fahrplan beim Massenmord

    11.45 Uhr: Breivik fährt einen Mietwagen des Typs Fiat Doblò durch eine Station für Automaut Richtung Osloer Innenstadt. Er parkt das Auto am Hammersberg Torg und kehrt in den Stadtteil Skøyen im Westen Oslos zurück. Dort wohnt er bei seiner Mutter.

    12.51 Uhr: Breivik schreibt den letzten Eintrag in sein 1500 Seiten umfassendes «Manifest».

    14.08 Uhr: Das «Manifest» wird per Email an 1003 Adressaten verschickt. Breivik verkleidet sich als Polizist.

    15.00 Uhr: Er fährt einen mit mehreren hundert Kilo Sprengstoff gefüllten VW-Transporter durch eine der automatischen Mautstationen Richtung Zentrum. Den ebenfalls gemieteten Wagen stellt er direkt vor dem Regierungs-Hochhaus ab und läuft zum Fiat am Hammersberg Torg. Im Polizeiverhör gibt Breivik später an, er habe die Transportzeiten zu niedrig berechnet.

    15.26 Uhr: Die Bombe explodiert im Osloer Regierungsviertel. Doch wegen der Sommerferien sind viele Angestellte schon im Feierabend. Breivik steckt danach bei seiner Fahrt zur 40 km entfernten Insel Utøya im Stau nach einem Unfall.

    16.40 Uhr: Breivik kommt in seiner Polizeiuniform an der kleinen Fährstation zur Insel an. Er stellt den Mietwagen ab und setzt auf der Fähre über. Als Gepäck führt er ein Schnellfeuergewehr, eine Pistole und große Mengen Munition mit sich.

    17.08 Uhr: Ankunft des Attentäters auf Utøya.

    17.27 Uhr: Die Polizei wird alarmiert. Unklar bleibt auch bei anderen Medienangaben, was in den ersten knapp 20 Minuten seit Breiviks Ankunft genau geschieht. Nach den ersten offiziellen Mitteilungen der Polizei hat der Massenmörder für die Tötung seiner 69 Opfer auf Utøya anderthalb Stunden Zeit.

    18.09 Uhr: Angehörige der Polizei-Eliteeinheit «Delta» kommen zusammen mit örtlichen Polizisten an der Fährstation nach Utøya auf der Festlandseite an.

    18.25 Uhr: Die Einsatzgruppe erreicht die Insel und sucht nach dem Täter.

    18.27 Uhr: Breivik lässt sich mit erhobenen Händen festnehmen. Er hat beide Waffen weggelegt. Die Polizei setzt ihn mehrere Stunden in einem Holzhaus auf der Insel fest, ehe er nachts in die Osloer Polizeizentrale gebracht wird.

    Tatsächlich haben die 4,5 Millionen Norweger in den vergangenen zwölf Monaten auch eine ganze Reihe von Veränderungen erlebt, wie sie nach traumatischen Terroranschlägen als "normal" gelten. Stoltenbergs Regierung hat jetzt eine Gesetzesinitiative für Verschärfungen der Antiterror-Gesetze in Gang gesetzt. Damit der Attentäter auch für den Fall eines Gerichtsentscheids auf Unzurechnungsfähigkeit in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten werden kann, hat das Parlament eigens eine "Lex Breivik" verabschiedet.

    Norwegens Meinungsforscher sehen inzwischen auch zwei Rechtsparteien mit klarem Vorsprung vor der Mitte-Links-Regierung Stoltenbergs. Dass das Land bei der Aufarbeitung der Breivik-Anschläge zentrale Fragen vielleicht doch nicht so klar und offen beantwortet hat, wie es auf den ersten Blick aussieht, meint der Schriftsteller Jan Kjærstad. Medien hätten den Attentäter allzu schnell als "einsamen Kerl aus dem Osloer Westen" abgestempelt und die eigene Gesellschaft als Sieger über ihn ausgerufen, schrieb er in einem Essay für die Zeitung "Politiken" (Kopenhagen).

    Für unbeantwortet hält der Autor Kjærstad die Frage, ob der jahrelang mutterseelenallein vor seinem PC brütende und spielende Breivik nicht vielleicht doch warnendes Beispiel ist für "einen Typen Menschen, von dem wir mehr sehen könnten": Junge Männer, geprägt von "Frustration, Enttäuschung und Zorn in einem augenscheinlich gut funktionierenden Norwegen".

    Britischer Geheimdienst: Kein Zweifel an Terrorplänen bei Olympia

    Auch in Großbritannien ist man im Hinblick auf die am kommenden Freitag beginnenden Olympischen Spiele wachsam: So ist nach Auffassung des britischen Geheimdiensts ein Attentat nach dem Vorbild Breiviks die größte Bedrohung für die Olympischen Spiele 2012.

    "Der Hund, den Du nicht siehst, könnte der sein, der Dich beißt", sagte Jonathan Evans, Generaldirektor des Inlandsgeheimdienstes MI5. Es gebe keinen Zweifel daran, dass Terroristen ein Attentat während des weltgrößten Sportereignisses an der Themse in Erwägung gezogen hätten, sagte Evans.

    Die Spiele in London, für die Großbritannien die größte Sicherheitsoperation seit dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, sei kein leichtes Ziel für Terroristen, sagte Evans. "Aber es gibt nicht so etwas wie eine Sicherheitsgarantie." Eine konkrete terroristische Bedrohung für die Spiele in London besteht jedoch nicht. Die Sicherheitsstufe musste nicht erhöht werden und bleibt bei "substanziell" - die dritthöchste Stufe auf der Skala. Die 3800 Geheimdienst-Mitarbeiter des MI5 haben während der Spiele Urlaubssperre.

    Sogenannte "Einsame Wölfe", Terroristen die nicht als Teil eines militanten Netzwerkes operierten, seinen eine besondere Bedrohung. Sie seien für die Geheimdienste schwer zu fassen, sagte Will Hartley, Chef des Terrorforschungszentrum Jane's. "Das potenzielle Unglück, das solche Individuen anrichten können, mit Sprengsätzen und Handfeuerwaffen anrichten können, wurde durch das von Anders Breivik verübte Attentat in Norwegen deutlich, wo 69 Menschen starben", sagte Hartley. "Einsame Wölfe" seien vor allem hinsichtlich ihrer Motive unberechenbar. In Großbritannien seien islamistisch geprägte Motive jedoch am wahrscheinlichsten.

    (ohta/dpa)

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