Herr Lammert, braucht man für die Politik ein gewisses Showtalent?
Lammert: Zwingend erforderlich ist das zweifellos nicht. Dass aber Politik zu den „darstellenden Künsten“ gehört und insofern die eigenen Möglichkeiten erheblich davon abhängen, ob man seine Botschaft vermitteln kann, das ist offensichtlich.
Wünschen Sie sich mehr Emotionen im Parlament?
Lammert: Nein, aber durchaus mehr Temperament, gelegentlich Leidenschaft. Im Deutschen Bundestag wird jedenfalls zu oft geredet und zu wenig debattiert.
Woran liegt das?
Lammert: Das hängt auch damit zusammen, dass da ein Rednerpult vor einem Publikum steht. Ich werbe deshalb immer wieder dafür, dass die Themen der Tagesordnung öfter vom Platz aus wirklich debattiert werden und der Abgeordnete nicht zum Pult geht und etwas vorträgt.
Damit die Opposition mit der Regierung streiten kann, gibt es jeden Mittwoch eine Fragestunde. Dummerweise sind die angesprochenen Minister oft gar nicht da. Sie haben das erst vor ein paar Tagen angeprangert.
Lammert: Natürlich muss sichergestellt sein, dass beim Tagesordnungspunkt „Befragung der Bundesregierung“ auch eine Befragung der Bundesregierung möglich ist. Das ist schon sprachlich eindeutig – und nach unserer Geschäftsordnung auch.
Hat Ihnen die Kanzlerin nach Ihrer Regierungsschelte eine SMS geschickt?
Lammert: Nein, vermutlich hat die Kanzlerin meinen Hinweis auf die geltende Rechtslage genauso plausibel gefunden wie die Fraktionen auch.
Sehen Sie gerne politische Talkshows oder ziehen Sie eher ein Spiel Ihres Lieblingsvereins VfL Bochum vor?
Lammert: Obwohl ich als jahrzehntelanges Mitglied des VfL leidgeprüft bin, schaue ich im Zweifel lieber Fußball.
Ist Politik vielleicht zu kompliziert geworden für einen spontanen Schlagabtausch im Fernsehen oder im Parlament?
Lammert: Dass Politik kompliziert geworden ist, wird man nur schwerlich bestreiten können. Dass sie deswegen nur in Form vorbereiteter Fragen und Antworten vermittelt werden kann, glaube ich trotzdem nicht.
Hängt die rhetorische Blässe auch damit zusammen, dass verbale Fehltritte heute – vom politischen Gegner, aber auch von uns Journalisten – stärker skandalisiert werden als früher?
Lammert: Dass die Berichterstattung heute extrem von Personalisierung und Skandalisierung, von schnellen, knackigen Schlagzeilen lebt, spielt sicherlich eine Rolle.
Parteien, die mit dem Frust der Menschen Politik machen, bekommen schnell den Stempel „populistisch“. Was ist so schlimm am Populismus?
Lammert: Dass Sie mich das fragen, nehme ich mit einem Anflug von Rührung zur Kenntnis. Denn der Verdacht, Populismus sei etwas Schlimmes, wird ja regelmäßig von den Medien vorgetragen.
Also ist Populismus gar nicht schlimm?
Lammert: Da wir uns glücklicherweise in einem System befinden, in dem der Wähler entscheidet, von wem er regiert werden will, gehört es zur Grundorientierung jedes Politikers, sich darum zu kümmern, was das Volk denkt. Ich glaube allerdings, dass eine verantwortliche Politik sich nicht auf Popularität als Kriterium reduzieren lassen darf. Politik muss auch Entscheidungen treffen, die nicht populär sind.
Halten Sie die Alternative für Deutschland für eine populistische Partei?
Lammert: Zumindest erzeugt sie den Eindruck, über das Euro-Thema hinaus mit der Bedienung vieler offenkundig populärer Positionen ein Publikum erreichen zu wollen.
Als Bundestagspräsident müssen Sie eingreifen, wenn der Ton doch einmal zu scharf wird. Haben Sie einen Trick, wie Sie Kollegen wieder einfangen, die aus dem Ruder laufen?
Lammert: Ich tue das vorzugsweise durch ironische Bemerkungen, die in der Regel auch die gewünschte beruhigende Wirkung entfalten.
Keine Ordnungsrufe?
Lammert: Das halte ich für eine eher hilflose Geste, die sich mancher sogar als eine Art Tapferkeitsmedaille ans Revers heftet.
Gibt es einen Politiker, dem Sie besonders gerne zugehört haben?
Lammert: Wenn ich ihn oder sie hätte, würde ich es für mich behalten.
Frustriert es Sie manchmal, dass sich immer weniger Leute für Politik interessieren?
Lammert: Nur weil weniger Leute Mitglied in einem Verein, einer Kirche oder einer Gewerkschaft sind, heißt das nicht zwingend, dass sie sich nicht mehr für Sport, Religion oder ihren Tarifvertrag interessieren. Und genauso ist das auch mit der Politik.
Das heißt?
Lammert: Dass sich die Leute dann engagieren, wenn es um ein Thema geht, das sie unmittelbar angeht. Aber sie binden sich nicht mehr dauerhaft an eine Partei. Das Interesse an Politik ist heute eher punktuell als prinzipiell.
Interview: Michael Stifter