Das Wort „schön“ will Nerea Llamero einfach nicht über die Lippen kommen. Ein schwieriges Wort. Aber sie gibt nicht auf. „Es ist wirklich schön, hier zu sein“, sagt die junge Spanierin dann. Sie ist erleichtert. Seit Anfang August lebt die 31-Jährige in Augsburg. Seit sechs Monaten lernt sie Deutsch. Sie möchte unbedingt die Sprache des Landes sprechen, in dem sie ihre Zukunft aufbauen will. Und sie arbeitet hart daran.
In Spanien ist jeder zweite Jugendliche ohne Job oder Ausbildung
Besser werden. Besser sprechen, besser verdienen, besser leben. Es gibt viele Gründe, warum Llamero nach Deutschland gekommen ist. Ausschlaggebend war für die 31-Jährige allerdings, dass ihr Heimatland ihr keine Perspektiven mehr geben konnte. Die junge Spanierin ist eine von 7,5 Millionen jungen Europäern ohne Job oder ohne Ausbildung. Sie musste ihre Heimat, ihre Freunde und ihre Familie zurücklassen – auf der Suche nach einer Zukunft in einem fremden Land.
Denn auch wenn die Euro-Krise in den vergangenen Wochen etwas aus dem Fokus geraten ist: Sie ist noch da. Stärker denn je ist das an der noch immer horrend hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa abzulesen. In Italien sind 40 Prozent der 15- bis 24-Jährigen ohne Job. In Griechenland und Spanien findet jeder Zweite in dieser Altersgruppe keinen Arbeitsplatz. „Generación cero“ – Generation Null – werden die 20- bis 35-Jährigen in Spanien von ihren Landsleuten deshalb genannt: null reguläres Einkommen, null Aussichten auf eine geregelte Arbeit, null Hoffnung.
Die Alternative zur Arbeitslosigkeit ist die Flucht ins Ausland
Dabei war die Generation Null einmal Spaniens Zukunft. Nie zuvor hat die Nation so viele gut ausgebildete junge Menschen hervorgebracht. Menschen wie Nerea Llamero. Die zierliche Frau mit den dunkelbraunen Haaren steht an einem kleinen runden Tisch in einem Konferenzzimmer der Industrie- und Handelskammer in Augsburg. Sie schaut aus dem Fenster. Draußen regnet es. „Ähnliches Wetter wie in meiner Heimat, das ist gut“, sagt sie. „Dann ist die Umgewöhnung nicht so groß.“
Llamero stammt aus Asturias, einer Region im Norden Spaniens. Dort ist sie aufgewachsen und dort hat sie studiert: Chemie, schon in der Schule eines ihrer Lieblingsfächer. Sie räuspert sich. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mein Land einmal verlassen muss, um hier zu arbeiten.“ Aber was bleibe einem schon anderes übrig?
Wer wie Llamero zur Generation Null gehört, der muss nach Alternativen suchen – eine davon ist, auszuwandern. Nach Deutschland zum Beispiel. Auch hier gibt es junge Menschen ohne Job, aber die Quote an jungen Arbeitslosen zwischen 15 und 24 ist mit 7,6 Prozent im europäischen Vergleich am niedrigsten. Hinzu kommt, dass viele deutsche Unternehmer händeringend nach Fachkräften suchen – vor allem im Handwerk, aber auch im Dienstleistungsbereich oder in der Industrie.
Junge Spanier in Deutschland: "Hier ist alles anders"
Rund 45 Milliarden Euro will Europas Politik in den nächsten Jahren ausgeben, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wofür genau, darüber beraten die Staats- und Regierungschefs in regelmäßigen Treffen. Die Konferenzen sollen ein Zeichen dafür sein, dass die Politik das Problem nicht vergessen hat. Doch so einfach, wie das alles klingt, ist es eben nicht.
Einer, der das weiß, ist Antonio Morales. Der 27-jährige Spanier kam vor knapp einem Jahr nach Deutschland, um eine Ausbildung als Heizungsmonteur in einem Betrieb in der Region Ulm zu beginnen. Obwohl er in seiner Heimat schon fast zehn Jahre lang als Elektroniker gearbeitet hat. „Das zählt nicht. In einem neuen Land musst du wieder ganz von vorne anfangen“, sagt er. In Deutschland sei eben alles anders: das Ausbildungssystem, die Arbeitszeiten, nicht zu vergessen die Sprache. „Vor allem in den ersten Monaten ist die Sprache das größte Problem“, sagt Morales. Gerade bei Betrieben in sehr ländlichen Regionen, in denen nur wenige Mitarbeiter oder auch Kunden eine Fremdsprache sprechen. „Du verstehst einfach nicht, was der andere von dir will. Und du selbst kannst nicht sagen, was dich stört.“
Die Sprache ist das größte Problem
Eine Zeit lang sei das gut gegangen. Mittlerweile sitzt Morales auf gepackten Koffern. In zwei Wochen geht es zurück nach Spanien. „Ich habe über ein Jahr lang versucht, hier anzukommen“, erzählt er. In Ulm hatte er sich eine kleine Einzimmerwohnung gesucht. Einmal im Monat traf er sich mit anderen Spaniern, die ebenfalls in der Region eine Ausbildung begonnen hatten. Auch mit der Sprache klappte es immer besser. Letztendlich aber war das Heimweh zu groß. „Ich vermisse meine Freunde und meine Familie. Aber am meisten vermisse ich das Essen von meiner Oma.“ Er lacht.
Wie schwer es für die jungen Menschen ist, sich in einer neuen Heimat zurechtzufinden, weiß auch Begonia Merayo. Gemeinsam mit der IHK Schwaben vermittelt die gebürtige Spanierin in ihrer Münchner Agentur „Why Consult“ seit knapp zwei Jahren junge Spanier in die Region. Sie kennt die Gründe, warum viele junge Menschen nach nur wenigen Monaten die neue Heimat schon wieder verlassen, die keine Heimat geworden ist. „Man sollte vor allem die Alltagsprobleme der Jugendlichen nicht unterschätzen“, sagt sie. „So komisch das auch klingen mag, aber man muss selbst junge Erwachsene bei jedem Schritt an die Hand nehmen.“ Ob es nun darum geht, ein Handy zu kaufen, zum Arzt zu gehen oder sich Essen zu bestellen.
Viele zieht es aus Heimweh zurück in die Heimat
Viele deutsche Unternehmen haben auf ihre Erfahrungen mit ausländischen Arbeitskräften deshalb reagiert. Die IHK Schwaben etwa stellt ihnen Sprachpaten zur Seite. Sie sollen helfen, in Alltagssituationen zurechtzukommen und Anschluss zu finden.
Auch Nerea Llamero hatte in den ersten Wochen einen Sprachpaten an ihrer Seite. Gemeinsam mit anderen Spaniern, die in schwäbische Firmen vermittelt wurden, ging es etwa auf den Plärrer. Kennenlernen fremder Kulturen, nannte man das. Llamero hatte ein Dirndl an, sie hatte schon eine Maß Bier in der Hand und sie weiß jetzt, dass sie sich im Notfall an ihren Sprachpaten wenden könnte. Ob ihr das hilft, sich in Augsburg wohlzufühlen? Das weiß niemand.
Jetzt beginnt die 31-Jährige erst einmal ein Praktikum. Als Diplom-Chemikerin bei der Analytik-Service Gesellschaft in Neusäß. Die Kosten für ihre Wohnung übernimmt das Unternehmen. Auch ein kleines Taschengeld bekommt sie. Läuft alles nach Plan, kann sie im Anschluss in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden. „Manchmal“, sagt sie, „vermisse ich meine Heimat allerdings schon jetzt.“