Warnschüsse im Pentagon. Das amerikanische Verteidigungsministerium droht, mit dem Einsatz aller rechtlichen Möglichkeiten gegen etwaige Geheimhaltungsverstöße in einem Buch über die Tötung von Terrorchef Osama bin Laden vorzugehen. Das Enthüllungswerk eines ehemaligen Elitesoldaten, der angeblich bei der Kommandoaktion dabei war, soll am Montag in die Buchläden kommen.
Pentagon-Anwalt: "Ich warne Sie"
"Ich (...) warne Sie wegen der erheblichen Verletzung ihrer Vereinbarungen und informiere Sie darüber, dass das Ministerium erwägt, gegen Sie vorzugehen", drohte Pentagon-Anwalt Jeh Johnson nach Medienberichten dem Autor des Enthüllungsbuchs. Mit seinem Werk hat der ehemalige Soldat der Elitetruppe Navy Seals offenbar das Pentagon wie auch das Weiße Haus vor ein paar Tagen kalt erwischt.
Unter dem Pseudonym Mark Owen beschreibt der Ex-Soldat darin haarklein Details des tödlichen Übergriffs auf Bin Laden in seinem Versteck in Pakistan im Mai 2011. Seine Darstellung weicht vor allem von der der US-Regierung ab. "Bin Laden leistete Widerstand!", hatte der damalige Regierungssprecher Jay Carney im Mai 2011 erklärt.
Doch nach den Schilderungen des Autors kam Bin Laden gar nicht mehr dazu, Gegenwehr zu leisten. Die US-Soldaten hätten ihm in den Kopf geschossen, als er aus der Tür auf den Flur schaute, schreibt "Owen". Als das Spezialkommando in sein Schlafzimmer eingedrungen sei, habe der Terrorist tödlich verletzt und zuckend auf dem Fußboden gelegen. Daraufhin hätten die Soldaten weitere Schüsse auf ihn abgefeuert.
Autor von Fox News entlarvt
Bereits wenige Tage nach der Ankündigung des Buchs mit dem Titel "No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden". (Deutsch: Kein leichter Tag: Ein Bericht aus erster Hand über den Einsatz, bei dem Osama bin Laden getötet wurde), hatte der TV-Sender Fox News den Schreiber entlarvt: als den 36-jährigen, aus Alaska stammenden Matt Bissonnette. Er ließ sich inzwischen sogar von anderen Sendern interviewen. Der "Washington Post" und der "New York Times" liegen nach eigenen Angaben Vorabexemplare vor.
Das Pentagon lief Sturm. Bissonnettes Kameraden auch. "Wenn jemand Geheimnisse verrät und derart über Heldentaten redet, können schnell Verbindungen gezogen und unsere Sicherheit gefährdet werden", warnte Ex-Navy-Seal John McGuire im TV-Sender CNN. Im Pentagon war es stets oberste Devise, die Identität der Navy Seals des legendären Teams 6 geheim zu halten. Die Soldaten hätten eine Geheimhaltungserklärung unterschrieben, hieß es.
Seal hat "Recht, Geschichte zu erzählen"
Der Ex-Seal habe "sich das Recht verdient, seine Geschichte zu erzählen", schrieb hingegen sein renommierter Anwalt Robert Luskin nach Medieninformationen an das Pentagon. Bissonnette habe sich vor dem Vertrag mit dem Verlag über seine Rechte informiert und das Buch sorgfältig auf Details überprüft, die seine Kameraden in Gefahr bringen könnten.
Das tut auch das Pentagon bereits seit einer Woche. Es forderte umgehend ein Vorausexemplar vom Dutton Verlag der Penguin-Gruppe an. Der blieb nicht nur bei seiner Veröffentlichung. Er zog sie auch noch vom geplanten symbolträchtigen Datum, dem 11. September, um eine Woche vor.
Dass die US-Regierung den Verlag daran hindern könnte, sehen Rechtsexperten als unwahrscheinlich an. Möglich, meinen sie, dass das Justizministerium in einem Zivilverfahren erreiche, den Bucherlös zu pfänden. Präzedenzfall wäre das Verfahren über das Buch des pensionierten CIA-Agenten Frank Snepp, der 1977 ohne Genehmigung über seine Aktivitäten im Vietnam-Krieg geschrieben hatte.
Verfahren wegen Geheimnisverrats
Möglich auch, dass das Pentagon ein Verfahren wegen Geheimnisverrats gegen Bissonette anstrengt. Die Regierung, gab die Ex-Richterin des Justizministeriums, Pat Rowan, zu bedenken, werde sich aber wohl hüten, gegen einen Helden zu klagen, der half, Amerikas Terrorfeind Nummer 1 zu überwältigen. (dpa, AZ)
So töteten die Seals bin Laden
Aus Regierungsquellen in Washington und US-Medien ergibt sich knapp eine Woche nach dem Militäreinsatz folgendes Bild:
Im Schutz der Dunkelheit bringen mehrere Hubschrauber in der Nacht zum Montag 79 Elitesoldaten und einen Armeehund zu dem Anwesen in Abbottabad, in dem sich der meistgesuchte Terrorist der Welt versteckt. Die Helikopter fliegen tief, um nicht vom Radar der Pakistaner aufgespürt zu werden, die nicht über die Aktion informiert wurden. Offenbar sind auch neuartige Tarnkappen-Hubschrauber im Einsatz - zumindest deuten Experten zufolge später Trümmerteile eines bei der Aktion zerstörten Helikopters darauf hin.
Zwei Hubschrauber mit zwei Dutzend Soldaten der Elitetruppe Navy Seals an Bord setzen direkt auf dem Gelände von Bin Ladens Anwesen auf, das durch meterhohe Mauern und Stacheldraht von der Außenwelt abgeschirmt ist. Einer der beiden Helikopter legt dabei wegen technischer Probleme eine Bruchlandung hin. Eine erste Gruppe des Sonderkommandos rückt auf ein kleineres Gästehaus vor und wird von einem Kurier Bin Ladens beschossen. Die Soldaten feuern zurück und töten den Kurier und seine Frau.
Die anderen Kommandosoldaten stürmen das Haupthaus und durchkämmen es systematisch. Im Treppenhaus erschießen sie dem Nachrichtensender MSNBC zufolge den Bruder des Kuriers, der die Hand verdächtig hinter dem Rücken hält - sich aber als unbewaffnet herausstellt. Auch ein Sohn Bin Ladens wird nach US-Medienberichten erschossen, als er die Treppe hinunter auf die Soldaten zurennt. Auch er soll nicht bewaffnet gewesen sein.
Im obersten Stockwerk stoßen die Navy Seals schließlich auf Bin Laden selbst, im Zimmer sollen eine Kalaschnikow und eine Pistole gelegen haben. Bin Laden greift angeblich nach einer Waffe, während seine Ehefrau auf die Soldaten zustürmt. Die Einheit schießt dem El-Kaida-Chef in den Kopf, einigen Berichten zufolge auch in die Brust. Seine Frau wird durch einen Beinschuss verletzt. Erste Angaben, wonach Bin Laden bewaffnet war und seine Frau als menschliches Schutzschild missbraucht hat, zieht das Weiße Haus wieder zurück.
Mit Hilfe von Fotos wird Bin Laden, dem die CIA den Codenamen «Geronimo» gegeben hat, vorläufig identifiziert. US-Präsident Barack Obama, der die Kommandoaktion vom Weißen Haus aus in Echtzeit verfolgt, erhält die Nachricht «Geronimo EKIA» - Geronimo als Feind im Gefecht getötet. Der «New York Times» zufolge sagt Obama anschließend in die Stille hinein: «Wir haben ihn.»
Während das Weiße Haus in seinen ersten Darstellungen den Eindruck eines längeren Feuergefechts erweckt, haben die Seals Bin Ladens Unterschlupf offenbar fast ohne Widerstand eingenommen. Die Soldaten setzen mehrere Frauen und Kinder fest und durchsuchen das Anwesen. Dabei finden sie neben Waffen und Ausrüstung einen wahren Datenschatz: Fünf Computer, zehn Festplatten und mehr als einhundert Speichermedien wie USB-Sticks oder Disketten, von denen sich die Geheimdienste wichtige Informationen für den nächsten Schlag gegen El Kaida versprechen.
Bevor die Elitesoldaten nach 38 Minuten mit der Leiche Bin Ladens wieder in die Nacht entschwinden, zerstören sie den ausgefallenen Hubschrauber. Als alarmierte pakistanische Kampfflugzeuge kurz darauf in Abbottabad eintreffen, sind die Navy Seals bereits verschwunden. Um 23.35 Uhr Ortszeit am Sonntagabend tritt Obama in Washington vor die Kameras und erklärt den Staatsfeind Nummer eins für tot. Vor dem Weißen Haus in Washington und am Times Square in New York versammeln sich jubelnde US-Bürger.
Bin Ladens Leiche, inzwischen per DNA-Test zu 99,9 Prozent identifiziert, wird auf den Flugzeugträger USS Carl Vinson gebracht, der im Indischen Ozean kreuzt. Nach einer islamischen Zeremonie lassen die Soldaten den toten Terroristen ins Meer gleiten.