Der Druck auf Präsident François Hollande wächst, sein Versprechen umzusetzen, die 35 Jahre alte Anlage mit zwei Druckwasserreaktoren zu schließen - und das am liebsten sofort. Doch die elsässischen Atomkraftgegner sind nach einem Besuch im Pariser Umweltministerium am Mittwoch skeptischer als je zuvor. "Wir haben einen Zeitplan für die Schließung gefordert. Als Antwort wurde uns nur das Versprechen Hollandes bestätigt, ohne jedes Datum", sagte der Sprecher der Vereinigung "Sortir du nucléaire", Jean-Marie Brom am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. "Wir haben kein Vertrauen mehr". Im Raum steht eine Schließung bis zum Ende der Präsidentschaft Hollandes im Jahr 2017.
Gefahrenquellen für Atomkraftwerke
In Japan stand ein Erdbeben mit anschließendem Tsunami am Anfang der Ereignisse, die zur Atomkatastrophe in Fukushima führten. Auch in Europa gibt es Meiler in seismisch aktiven Zonen, etwa im französischen Fessenheim direkt an der deutschen Grenze.
Ein Tsunami wie in Japan ist in Europa eher unwahrscheinlich. Allerdings sind auch hierzulande Überflutungen denkbar. Wasser ist für Atomanlagen gefährlich, weil es die aus Dieselgeneratoren und Batterien bestehende Notstromversorgung lahmlegen kann. Deiche gehörten zum wichtigsten Schutz gegen diese Gefahr, heißt es in einem aktuellen Arbeitspapier der Vereinigung der Westeuropäischen Atomaufsichtsbehörden (WENRA).
Das WENRA-Papier zählt als Risiken auch Sturm und starke Regenfälle sowie die Kombination mehrerer Extremwetterlagen auf. Atomexperte Heinz Smital von Greenpeace sieht auch in Waldbränden eine Gefahr, die sich beispielsweise im vergangenen Sommer bei den Großfeuern in Russland gezeigt habe. Denn der dichte Rauch könne dazu führen, dass Notstromdiesel-Generatoren wegen Sauerstoffmangels nicht ansprängen.
Terrorangriffe sind deshalb so brisant, weil sich Täter gezielt den Kern einer Atomanlage, den Reaktordruckbehälter, vornehmen könnten. Dadurch ist nach den Worten von Atomexperten Smital «eine Zerstörung möglich, die sonst nicht erreicht werden kann». Bei einem Angriff könnten in kürzester Zeit riesige Mengen Strahlung frei werden, während sich die Freisetzungen in Tschernobyl und Fukushima vergleichsweise begrenzt und langsam abgespielt hätten.
Das Risiko von Cyberattacken auf Atomkraftwerke geriet 2010 durch den Computerwurm Stuxnet ins Rampenlicht. Stuxnet wurde laut «New York Times» von den USA und Israel entwickelt, um das iranische Atomprogramm zu sabotieren. Dass private Hacker einen atomaren GAU auslösen können, hält Frank Rieger vom deutschen Chaos Computer Club für «ziemlich unwahrscheinlich». Bislang seien solche Risiken aber offenbar noch nicht detailliert erforscht, meint Rieger.
Die Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes auf ein Atomkraftwerk lässt sich zumindest annähernd vorhersagen, indem Flugrouten, allgemeine Unfall-Zahlen sowie die potentielle Trefferfläche ins Kalkül gezogen werden. Die kuppelartige Form des Betonmantels vieler Reaktorgebäude sorgt dafür, dass die Trefferfläche für einen möglichen Frontalaufprall gering ausfällt.
Die Höhe eines Risiko bemisst sich nach zwei Dingen: der Wahrscheinlichkeit, dass das befürchtete Ereignis eintritt, und dessen Schwere. Das Risiko kann also auch dann hoch sein, wenn das Ereignis sehr unwahrscheinlich ist, aber die Folgen immens wären. Ob allerdings auch extrem unwahrscheinliche Ereignisse - wie beispielsweise ein Satellitenabsturz - bei den europäischen Akw-Tests eine Rolle spielen sollten, sei letztlich keine wissenschaftliche, sondern eine gesellschaftspolitische Frage, hieß es aus deutschen Fachkreisen.
Fessenheim liegt in der Erdbebenzone des Rheingrabens und ist nach Meinung der Atomkraftgegner veraltet und pannenanfällig. Am Mittwoch hatte sich nach Angaben des französischen Betreibers EdF bei Routinearbeiten mit nicht radioaktivem Wasserstoffperoxid Dampf entwickelt, was einen Brandalarm ausgelöst hatte. Entgegen ersten Angaben sei niemand verletzt worden.
Seit der Wiederinbetriebnahme von Reaktorblock 2 am 6. März dieses Jahres sei dies der 24. Zwischenfall, hieß es in einer Mitteilung der elsässischen Atomkraftgegner. BUND-Geschäftsführer Axel Mayer aus Freiburg kritisierte, dass sich extrem viele "kleine und große" Vorfälle und Unregelmäßigkeiten häuften. dpa