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NSU: NSU-Prozess geht in die Sommerpause

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NSU-Prozess geht in die Sommerpause

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    Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten im Gerichtssaal in München. Der NSU-Prozess geht in die Sommerpause.
    Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten im Gerichtssaal in München. Der NSU-Prozess geht in die Sommerpause. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Die Zuschauerreihen im NSU-Prozess sind noch immer gut besetzt. Am Dienstag, dem letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause, mussten sogar einige Zuschauer draußenbleiben. Auch die Pressetribüne war voll. Die wichtigen überregionalen Medien sind an jedem Verhandlungstag vertreten, aber auch viele Regionalzeitungen schicken regelmäßig Berichterstatter nach München. Ein türkischer Fernsehsender hat sogar eigens einen Korrespondenten eingestellt.

    NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und Co. bestimmt die Schlagzeilen

    Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und die mutmaßlichen Helfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) beherrscht nicht mehr die Titelseiten - doch von mangelndem Interesse ist im Saal nichts zu spüren. Am Dienstag ging das Gericht nach 32 Verhandlungstagen in die Sommerpause. Wo steht das Verfahren? Die Antwort hängt davon ab, wen man fragt, und auf wen man blickt.

    Was nach dem NSU-Desaster geschah

    Nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im November 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse. Nach und nach kamen Detail s zu den Verbrechen ans Licht - und die haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung.

    13. November 2011: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe.

    16. Dezember 2011: Als Folge der Ermittlungspannen im Fall NSU wird das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eröffnet. Dort sollen sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen.

    27. Januar 2012: Im Bundestag nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Fall NSU seine Arbeit auf.

    16. Februar 2012: Auch im Landtag von Erfurt startet ein Untersuchungsausschuss, weil das NSU-Trio aus Thüringen stammte.

    17. April 2012: Ein Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag macht sich an die Aufarbeitung - in Sachsen war das Trio jahrelang untergetaucht.

    2. Juli 2012: Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, bittet nach den Pannen bei der Aufklärung der NSU-Morde um seine Entlassung.

    3. Juli 2012: Auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.

    5. Juli 2012: Ein weiterer Untersuchungsausschuss geht im Landtag in München an die Arbeit - in Bayern hatten die NSU-Terroristen die meisten Morde begangen.

    11. Juli 2012: Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos tritt zurück.

    13. September 2012: Die Pannen rund um die NSU-Morde zwingen auch Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz-Chef Volker Limburg aus dem Amt.

    19. September 2012: Eine neue Neonazi-Datei geht in Betrieb. Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sammeln darin Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner.

    8. November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

    14. November 2012: Berlins Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid tritt von ihrem Posten zurück.

    7. Dezember 2012: Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich auf Reformen beim Verfassungsschutz: Dazu gehören eine zentrale Datei für Informanten des Inlands-Geheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Der Informationsaustausch der Ämter in Bund und Ländern soll besser werden.

    14. Dezember 2012: Der Schock über die NSU-Verbrechen hat die Debatte über ein NPD-Verbot neu entfacht. Die Länder preschen vor und beschließen im Bundesrat, vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei einzuleiten.

    20. März 2013: Das Bundeskabinett entscheidet sich dagegen, einen eigenen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen.

    März 2013: Das Oberlandesgericht München steht wenige Wochen vor Prozessbeginn in der Kritik: Das Gericht hatte die Presseplätze nach dem Windhund-Prinzip vergeben. Alle türkischen und griechischen Medien gingen leer aus.

    4. April 2013: Eklat um den NSU-Prozess: Die türkische Zeitung "Sabah" reicht eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

    13. April 2013: Die Verfassungsschützer ordnen an, mindestens drei weitere Plätze für ausländische Medien zu schaffen. Das OLG verschiebt den Prozess daraufhin auf den 6. Mai - die Plätze werden im Losverfahren neu vergeben.

    BEATE ZSCHÄPE: Die Hauptangeklagte schaut meistens weg, wenn die blutigen Bilder von den Tatorten der NSU-Morde gezeigt werden. Sonst läuft es bislang gar nicht so schlecht für sie. Zschäpe ist als Mittäterin an allen Anschlägen des NSU angeklagt. Sie soll für die legale Fassade des Trios gesorgt haben. Hinweise auf eine konkrete Beteiligung an einzelnen Taten gibt es aber bislang nicht. Der Mitangeklagte Holger G., der im Ermittlungsverfahren einiges über Zschäpes Rolle in der Gruppe gesagt hatte, las vor Gericht nur eine Erklärung vor. Dabei blieb er ein gutes Stück hinter dem zurück, was er in den Vernehmungen zuvor gesagt hatte.

    Heikel dürfte für Zschäpe der Brand in der Frühlingsstraße in Zwickau werden. Es besteht kaum ein vernünftiger Zweifel daran, dass Zschäpe die gemeinsame Wohnung der "Zwickauer Zelle" nach dem Suizid ihrer Kumpanen angezündet hat. Fraglich ist, ob sie dabei bewusst den Tod dreier Menschen riskierte. Die Bundesanwaltschaft geht von Mordversuch aus.

    NSU: Carsten S. schon in der Verhandlung niemanden

    DIE ANDEREN ANGEKLAGTEN: Carsten S. hat an acht Verhandlungstagen ausgesagt, mehr als 26 Stunden lang. Dabei schonte der 33-jährige Neonazi-Aussteiger weder sich noch andere. Er gab zu, dass er im Auftrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben eine Waffe zu den drei Untergetauchten transportiert hatte - wahrscheinlich jene Ceska, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Menschen ermordeten. Und er führte die Ermittler auf eine völlig neue Spur: Möglicherweise verübten die untergetauchten Neonazis bereits 1999 einen Anschlag mit einer als Taschenlampe getarnten Bombe.

    Holger G. hat bislang vor Gericht zu den Tatvorwürfen nur eine Erklärung verlesen. Richter Manfred Götzl fragte am Dienstag nochmals nach, ob er nicht doch Fragen beantworten wolle. "Wenn sie nur eine Erklärung abgeben, lässt sich das alles nicht hinterfragen", mahnte er. Das könnte ein Hinweis sein: Wenn G. auf Anwendung der Kronzeugenregelung hofft, sollte er vielleicht noch nachlegen. "Wir diskutieren das ernsthaft, ich halte das für möglich", sagte G.s Anwalt Stefan Hachmeister.

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Die anderen Angeklagten, der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der mutmaßliche NSU-Helfer André E., bleiben vor Gericht stumm.

    DIE BUNDESANWALTSCHAFT: "Wir sind mit dem bisherigen Verlauf des Prozesses zufrieden", sagt Bundesanwalt Herbert Diemer. Die Angaben von Carsten S. und Holger G. hätten die Ermittlungsergebnisse bestätigt. Anträgen von Verteidigung oder Nebenklägern widersprechen Diemer und seine Kollegen regelmäßig - und meist gibt das Gericht ihnen recht. Das Ziel ist klar: Der Prozess soll sich auf die Vorwürfe in der Anklage beschränken, und nicht dazu dienen, frühere Ermittlungsfehler aufzuarbeiten.

    DIE NEBENKLÄGER: Die Angehörigen der Opfer sind nur noch selten im Gerichtssaal zu sehen. In der Woche vor der Sommerpause kam Semiya Simsek nach München, die Tochter des ersten NSU-Mordopfers. "Langsam habe ich den Eindruck, es geht voran", sagte sie. Nach dem Mord war ihre Familie selbst ins Visier der Ermittler geraten. Für Simsek ist es wichtig, dass vor Gericht ausgesprochen wird, dass diese Verdächtigungen haltlos waren.

    DER VORSITZENDE RICHTER: Für die Organisation der Beweisaufnahme musste sich Manfred Götzl Kritik anhören. Das Gericht springt zwischen den verschiedenen Tatkomplexen hin und her. Derzeit jonglieren die Beteiligten mit fünf Mordfällen, dazu der Brandstiftung in der Wohnung der mutmaßlichen Terroristen in Zwickau.

    Während der Verhandlungen aber hat Götzl den Saal mit den zahlreichen Beteiligten recht gut im Griff. Wird es zu emotional, beruhigt er die Lage mit einer kurzen Unterbrechung. Eine nicht zu unterschätzende Leistung. "Das Klima ist insgesamt nicht konfrontativ", lobt Bundesanwalt Diemer.

    "Ich habe den Eindruck, dass sich der Vorsitzende um eine umfassende Beweisaufnahme bemüht und am Ende eine knallharte Beweiswürdigung vornimmt", meint Verteidiger Stefan Hachmeister. "Götzl ist ein Ausbund an Gründlichkeit." Das bedeutet auch: Der Prozess kann noch eine Weile dauern. Schon jetzt hat das Gericht Verhandlungstage bis Ende 2014 angesetzt. Hachmeister formuliert es so: "Wir haben noch viel Spielzeit vor uns."  (AZ/dpa)

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