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Kommentar: Mehr netto vom Brutto? Nicht nach dieser Bundestagswahl

Kommentar

Mehr netto vom Brutto? Nicht nach dieser Bundestagswahl

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    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble darf sich über satte Mehreinnahmen in seiner Kasse freuen.
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble darf sich über satte Mehreinnahmen in seiner Kasse freuen. Foto: Wijngaert, dpa

    Nennen wir ihn Josef A. Ende 30, alleinstehend, von Beruf Elektroinstallateur. Im vergangenen Jahr hat er 33.396 Euro brutto verdient, das sind umgerechnet knapp 2800 Euro im Monat und damit genau das deutsche Durchschnittseinkommen.

    Seit dem Jahr 2010 ist dieses Durchschnittseinkommen über alle Branchen hinweg um 19,3 Prozent gestiegen, die durchschnittliche Steuerbelastung dagegen um fast 26 Prozent – eine Folge der Progression. Das heißt: Der Staat nimmt Josef A. jedes Jahr etwas mehr von seinem Verdienst.

    Es sind Menschen wie unser Elektroinstallateur, die die Wahlkämpfer von Union und SPD im Auge haben, wenn sie Steuernachlässe für kleine und mittlere Einkommen versprechen. Hier wie dort jedoch zeugen die aufgerufenen Summen und die geplanten Maßnahmen von bemerkenswerter Halbherzigkeit. Den Solidaritätszuschlag, Beispiel Nummer eins, will die Union nur in Trippelschritten abschaffen und die Sozialdemokratie zunächst nur für einen Teil der Steuerzahler. Tatsächlich verliert er mit dem Auslaufen des Solidarpaktes 2019 seine Existenzberechtigung und gehört deshalb in den Restmüll der Finanzpolitik.

    Die SPD setzt bei der Steuerentlastung auf Umverteilung

    Die jeweils 15 Milliarden Euro, die die C-Parteien und die SPD an jährlicher Entlastung anbieten, klingen üppiger, als sie sind – wobei ein Kanzler Schulz sich einen Teil des Geldes ja bei Besserverdienern und Erben wieder holen würde. Das aber ist keine Steuerentlastung, die auch die Wirtschaft neu stimulieren könnte, sondern klassische Umverteilung. Schon jetzt zahlen die zehn einkommensstärksten Prozent in Deutschland gut die Hälfte der gesamten Lohn- und Einkommensteuer. Auch ein sozialdemokratischer Finanzminister kann diese Kuh nicht ewig melken.

    Obwohl es Deutschland blendend geht und die Steuereinnahmen auf immer neue Rekordwerte klettern, speist die Politik Unternehmer und Arbeitnehmer seit Jahren mit homöopathischen Häppchen ab: ein paar Euro mehr Grundfreibetrag, eine minimal entschärfte Progressionskurve und nun vielleicht noch ein paar Euro weniger Soli. Mit zaghaft ist diese Politik des Auf-dem-Geld-Sitzens noch freundlich umschrieben. In den nächsten vier Jahren können Bund, Länder und Gemeinden mit zusätzlichen Einnahmen von 54 Milliarden Euro rechnen. Wenn nicht jetzt die Steuern mutig senken – wann dann?

    Der Staat profitiert von der Konjunktur mehr als die Steuerzahler

    Wie gefräßig der Steuerstaat geworden ist, zeigt ein Blick auf die Steuerquote und den Spitzensteuersatz. Im Jahr 2010, Beispiel Nummer zwei, haben wir „nur“ 6,2 Prozent unserer Wirtschaftskraft an den Fiskus überwiesen, inzwischen sind es fast acht Prozent. Und der Spitzensteuersatz? Der wurde, Beispiel Nummer drei, 1960 erst beim 18-fachen eines Durchschnittslohns fällig, heute zahlt ihn ein Unverheirateter ohne Kinder schon bei einem zu versteuernden Einkommen von knapp 54.000 Euro, das ist nur noch etwas mehr als das Eineinhalbfache eines Durchschnittsverdienstes. Facharbeiter werden damit teilweise besteuert wie Topmanager – und selbst wenn Union und SPD diese Grenze jetzt anheben wollen, schafft das nur partiell mehr Steuergerechtigkeit.

    Von der guten Konjunktur und der niedrigen Arbeitslosigkeit profitieren der Staat und die Sozialkassen mehr als die Beschäftigten, die den gegenwärtigen Aufschwung mit erwirtschaftet haben. Die Reserven der Bundesagentur für Arbeit, Beispiel Nummer vier, nähern sich der 30-Milliarden-Marke, zehn Milliarden mehr als nötig – aber denkt deshalb jemand daran, die Beiträge zur Arbeitslosenkasse zu senken? Egal, wer am 24. September gewinnt: Unter vielen Gehaltsabrechnungen wird netto nicht viel mehr stehen als vor der Wahl.

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