Katharina König heißt die Politikerin, die für Die Linke im Erfurter Landtag sitzt. Dort sagte am 9. Juli vor dem Untersuchungsausschuss unter anderem der ehemalige Thüringer Verfassungsschutz-Chef Helmut Roewer zu den Morden der NSU aus - und zeichnete ein eklatantes Bild der Behörde und ihrer Arbeit bei der Überwachung der rechten Szene.
Da der Großteil der rund vierstündigen Aussage des Ex-Geheimdienstchefs nicht in seiner kompletten Fülle von den Medien transportiert wurde und das Protokoll der Sitzung für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, hat König nun die "Top Aussagen" Roewers und zwei weiterer Verfassungsschutz-Mitarbeiter in ihrem Blog veröffentlicht - um das "Wahnsinnschaos" zu dokumentieren, wie sie selbst in einem Interview sagte.
Bei den Passagen handele es sich um Originalzitate aus dem Untersuchungsausschuss, eventuell "mit kleinen Hörfehlern", so die Landtagsabgeordnete. "Auch wenn die Inhalte noch so absurd klingen mögen, sie sind (leider) wahr." Im Folgenden ist eine Auswahl an Zitaten zusammengestellt.
Norbert W., ein früherer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, machte unter anderem folgende Angaben, die interessante Einblicke in die Arbeit der Geheimdienstbehörde geben.
“Der Thüringer Heimatschutz hat nur Flyer und Aufkleber gemacht, was der V-Mann mit dem Geld gemacht hat, kann ich ihnen doch nicht sagen.”
“Der Roewer sollte mal aus dem Amt gedrängt werden, dafür wurde ein Dossier angefordert, dazu kam es aber nicht, die Person ist kurzfristig nach einem Urlaub verstorben.”
Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse
Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.
Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.
Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.
Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.
Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.
Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.
Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.
Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.
Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».
Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.
Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.
Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.
“Skinheads anzuwerben war eine absolute Katastrophe, die besaufen sich und können sich dann an nichts mehr erinnern.”
“Über unsere V-Mann-Quellen wurde im Verfassungsschutz beim Cafe im Flur geplaudert, es gab kein Quellenschutz im Amt.”
“In München haben wir uns mit dem BND getroffen, der gab Tipps für die Gründung von Tarnfirmen, da das ja nicht so einfach ist, wegen Steuern und so. Der Roewer wollte unbedingt eine Tarnfirma.”
Im Anschluss sprach der ehemalige Abteilungsleiter Rechtsextremismus Karl Friedrich Schrader vor dem Ausschuss. Auch seine Aussagen machen das Bild von der Behörde - und ihres Ex-Chefs - nicht unbedingt besser.
“VS-Chef Roewer ist in der 6. Etage der Verfassungsschutzbehörde einmal Fahrrad gefahren. Auf die Frage warum er das macht, antwortete er, er müsse neue Observationsfahrräder testen für die Observationskräfte.”
“Einmal kam ich in Roewers Dienstzimmer, da standen drei Tische aneinander, mit Kerzen, Käse, Wein und 6-7 Damen drumherum, man wusste gar nicht, mit welcher er zuerst zu Gange ist. Ich sollte ihm in deren Anwesenheit geheime Dinge erzählen.”
“Im Sommer lief der Roewer immer barfuß durchs Amt, dann lagen seine schwarzen Füße auf dem Schreibtisch, während wir uns in seinem Büro besprachen.”
Zu guter letzt sagte dann auch der einstige Chef des Thüringer Verfassungsschutz selbst aus. Roewer leitete die Behörde von 1994 bis 2000. Knapp und knurrig wies er Vorwürfe zurück, dass der Geheimdienst V-Leute vor Polizeiaktionen gewarnt habe.
“Nach meiner Information hatte nicht einer der Personen im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz die notwendige Ausbildung. Außer mir.”
“Es gab viele im Amt die nichts konnten, und nur wenige die fortgebildet werden konnten. Ich galt als Spitzenkraft auf dem Gebiet Verfassungsschutz”
“Einmal musste ich disziplinarrechtlich einschreiten, da hatte einer meiner Mitarbeiter Volltrunken einen Dienstwagen zu Schrott gefahren. Hinter der freundlichen Fassade der Mitarbeiter steckt nicht immer Kompetenz.”
“Es waren 50 Leute im Landesamt für Verfassungsschutz, von den 50 hatte keiner eine richtige Ausbildung. Meine Vorgesetzten waren der Meinung ich solle das machen [das Amt führen], sie haben mich exzellent beurteilt”
“Es wurde aus unserem Amt versehentlich mal ein Fax an die Grünen geschickt, mit einer Personenliste von PDS-Abgeordneten. Das Fax sollte eigentlich an die CDU gehen und war aber gar nicht autorisiert, ein Mitarbeiter hat das ohne Absprache mit mir gemacht, ich war da im Urlaub”
“Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungs-Urkunde vorbei, in einem gelben Umschlag. Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken. Am Morgen fand ich den Umschlag jedenfalls noch in meiner Jacke.”