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Wahl in Berlin: Klaus Wowereit: zu Höherem berufen?

Wahl in Berlin

Klaus Wowereit: zu Höherem berufen?

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    Klaus Wowereit (SPD) darf seine dritte Amtszeit als Berlins regierender Bürgermeister antreten.
    Klaus Wowereit (SPD) darf seine dritte Amtszeit als Berlins regierender Bürgermeister antreten. Foto: dpa

    Klaus Wowereit redet nicht lange um den heißen Brei herum. Natürlich hätte er sich mehr als 30 Prozent gewünscht, sagt er – aber diese kleine selbstkritische Bemerkung geht fast unter im Jubel der Genossen. „Wowi, Wowi“, skandieren sie. Die letzte von sieben Landtagswahlen in diesem Jahr endet für die SPD zwar mit einem eher durchwachsenen Ergebnis, am Ende aber zählt nur eines: dass Wowereit Bürgermeister bleibt. Zum dritten Mal hintereinander, lobt Parteichef Sigmar Gabriel, habe „der Klaus“ jetzt das Vertrauen seiner Bürger bekommen. „Das ist nichts Selbstverständliches in unserem Land.“

    Berlin, Prenzlauer Berg. Mitten in einer der grünen Hochburgen der Stadt feiert die SPD ihren Bürgermeister – und sich selbst. Im Beton der ehemaligen Brauerei klaffen tiefe Risse, es ist dunkel, ein wenig muffig, aber irgendwie auch sehr berlinerisch: Man weiß nicht so genau, ob diese alte Halle nun ein Symbol mehr für die schleichende Verwahrlosung Berlins ist oder für sein kreativ-chaotisches Potenzial. Unten, vor der kleinen Bühne, stehen die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und ein paar andere Spitzengenossen. Oben läuft die große Wowi-Show. Wie ein Popstar vor der letzten Zugabe applaudiert der alte und neue Bürgermeister seinen Fans: Dieser Wahlkampf, strahlt er, als habe er gerade die absolute Mehrheit geholt, „war grandios“. Die Antwort der Menge lässt nicht auf sich warten: „Wowi, Wowi.“

    Hinter der Nonchalance steckt ein unnachgiebiger Charakter

    Mehr als zehn Jahre regiert der gelernte Jurist bereits in Berlin, nach dem Pfälzer Kurt Beck ist der 57-Jährige damit der dienstälteste Landesfürst seiner Partei. Der Bankenskandal, in den die CDU tief verstrickt ist, hat dem Fraktionschef der Sozialdemokraten im Sommer 2001 die Gelegenheit geliefert, die ungeliebte Große Koalition aufzukündigen und Bürgermeister Eberhard Diepgen zu stürzen. Dazu bildet Wowereit eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wird, ehe er drei Monate später ein rot-rotes Bündnis schmiedet. Mit ihm als Spitzenkandidaten wird die SPD bei der vorgezogenen Neuwahl im Oktober 2001 wieder stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus, zum ersten Mal seit 30 Jahren.

    In den Wahlkampf zieht er damals mit seinem bislang denkwürdigsten Satz: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so.“ Wowereit ist der erste Spitzenpolitiker, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt, aber ist Deutschland tatsächlich schon reif für einen schwulen Kanzler, wie er einmal keck behauptet hat? Generalsekretärin Andrea Nahles findet zwar, Wowereit komme auch noch „für Höheres“ infrage. Im Rennen um die Kanzlerkandidatur der SPD allerdings spielt er bislang allenfalls eine Außenseiterrolle, wenn überhaupt. Wowereit selbst sagt nur lapidar: „Ich bleibe in Berlin.“ Das kann alles heißen und auch wieder nichts. Vom Roten Rathaus zum Kanzleramt sind es keine zehn Minuten mit dem Auto.

    Mehr als 60 Milliarden Euro Schulden

    Aber würde er überhaupt wollen? Auf diese Frage haben selbst Genossen, die ihren Klaus gut und lange kennen, noch keine Antwort. Groß begeistert hat er sich für die große, die Bundespolitik, bisher ja nicht. Wozu auch? In Berlin verzeihen sie ihm schließlich fast alles. Die mehr als 60 Milliarden Euro Schulden, die rasant steigenden Mieten, die fehlenden Kindergartenplätze, die brennenden Autos, die unzuverlässige S-Bahn, die chaotische Schulpolitik, den Ärger mit dem neuen Flughafen: Wowereit hat es geschafft, sich von den Problemen der Stadt zu entkoppeln.

    In einer Metropole, die den Verlust eines Baumaschinenwerks mit mehr als 700 Arbeitsplätzen achselzuckend zur Kenntnis nimmt, aber jede noch so kleine Filmfirma, die sich an der Spree niederlässt, euphorisch begrüßt, gelten offenbar auch für Politiker andere Maßstäbe als im Rest der Republik. Arm, aber sexy sei Berlin, sagt Wowereit gerne. Und wenn Länder wie Bayern sich fragen, warum Berlin Milliarden aus dem Länderfinanzausgleich beansprucht, zugleich aber allen Eltern die Kindergartengebühren erlässt, kontert er cool: „Niemand sollte daran denken, die bundesstaatliche Solidarität aufzukündigen.“

    Die Bürgermeister Berlins von 1948 bis 2011

    Ernst Reuter (SPD) war vom 7. Dezember 1948 bis 29. September 1953 Bürgermeister von Westberlin. Er wurde zwei Mal wieder gewählt.

    Auf Ernst Reuter folgte Walther Schreiber von der CDU. Er besetzte den Posten vom 22. Oktober 1953 bis 11. Januar 1955.

    Otto Suhr von der SPD löste Schreiber als Bürgermeister ab. Er war von 11. Januar 1955 bis 30. August 1957 Bürgermeister von Westberlin.

    Willy Brandt von der SPD hatte von 3. Oktober 1957 bis 1. Dezember 1966 das Amt des Bürgermeisters von Berlin inne.

    Vom 1. Dezember 1966 bis 19. Oktober 1967 war Heinrich Albertz (SPD) Bürgermeister.

    Klaus Schütz (SPD) löste Albertz ab und war vom 19. Oktober 1967 bis 2. Mai 1977 Berlins Bürgermeister.

    Berlins Bürgermeister war vom 2. Mai 1977 bis 23. Januar 1981 der SPD-Politiker Dietrich Stobbe.

    Hans-Jochen Vogel (SPD) war vom 23. Januar 1981 bis 11. Juni 1981 Berlins Bürgermeister.

    Richard von Weizsäcker (CDU) führte Berlin vom 11. Juni 1981 bis 9. Februar 1984.

    CDU-Politiker Eberhard Diepgens erste Amtszeit war vom 9. Februar 1984 bis 16. März 1989.

    Walter Momper von der SPD löste Diepgens ab vom 16. März 1989 bis 24. Januar 1991.

    Weitere zehn Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands war Eberhard Diepgen Berlins Bürgermeister. Er regierte von 24. Januar 1991 bis 16. Juni 2001.

    Seit dem 16. Juni 2001 ist Klaus Wowereit (SPD) Bürgermeister von Berlin.

    Hinter der Nonchalance, mit der Wowereit seine Heimatstadt nach außen vertritt, verbirgt sich allerdings auch ein unnachgiebiger, bisweilen fast schon herrischer Charakter. Selten seien ihr bei einem Kollegen so viele Gegensätze aufgefallen, hat Wowereits frühere Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner gerade in ihrer Biografie geschrieben. „Einerseits eine überraschend herzliche Zugewandtheit, andererseits ein Poltergeist, der einen in Senatssitzungen in Minutenschnelle plattzumachen verstand.“ Im Wahlkampf allerdings war von diesem Poltergeist aus naheliegenden Gründen nichts zu spüren. Auf seinen Plakaten, in staatstragendem Schwarz-Weiß gehalten, hielt der nette Herr Wowereit mal hilfsbereit einer Rentnerin die Hand, mal ließ er sich von einem kleinen Mädchen mit einem Stoffkrokodil fröhlich in die Nase zwicken.

    Ein 60 Seiten dickes Programm hatte die Berliner SPD zwar auch – gewonnen allerdings hat sie die dritte Wahl hintereinander nicht wegen der neuen Arbeitsplätze, die in der Hauptstadt der Arbeitslosigkeit entstanden sind, und auch nicht wegen ihres Einsatzes für einen Ausbau der Stadtautobahn, sondern dank Wowereit, dem Wohlfühl-Wowi, dem Berlin-Versteher. Wie kein Politiker sonst verkörpert er das Lebensgefühl der Stadt: ein wenig schräg, ein wenig unangepasst, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. „Berlin“, schmunzelt der Sohn einer alleinerziehenden Mutter, „das bin ich.“

    An diesem Abend ist er erst mal froh, dass alles vorbei ist

    Kurze Zeit sah es zwar so aus, als könnte ihm die Grüne Renate Künast sein Amt abjagen – ihre Kandidatur allerdings hat ihn noch einmal angespornt, ihn womöglich erst aus der saturierten Lethargie gerissen, die ihn nach der Bundestagswahl 2009 befallen hatte. Damals hatte die SPD in Berlin satte 14 Prozentpunkte eingebüßt und von Wowereit machte plötzlich das Gerücht die Runde, er sei ein wenig amtsmüde geworden mit den Jahren. Ein Kreisvorsitzender warf ihm damals gar vor, er sei nicht gewählt worden, um nur noch den Rücksitz seines Dienstwagens warmzuhalten.

    Mittlerweile allerdings ist Wowereit stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und wieder fast so populär wie zu seinen besten Zeiten. „Es war ein hartes Stück Arbeit“, sagt er jetzt, nachdem der Wahlkampf vorbei und die SPD die bestimmende Kraft in Berlin geblieben ist. Ob er am Ende mit den Grünen koaliert oder der CDU, lässt er noch offen. An der Spitze einer Großen Koalition können sich Klaus Wowereit allerdings die wenigsten seiner Genossen vorstellen. Der Wettbewerb der Parteien in Berlin sei härter und schärfer als andernorts, sagt Walter Momper, einer seiner Vorgänger. Das heißt: Die Schnittmengen mit den Christdemokraten sind der SPD vermutlich zu klein.

    Damit aber wird er sich erst in den nächsten Tagen beschäftigen. An diesem Abend ist Klaus Wowereit erst einmal froh, dass alles vorbei und die Wahl gewonnen ist. Den großen Stoffbären, den der Landesvorsitzende Michael Müller ihm gerade geschenkt hat, weil von den 2000 kleinen, die der Bürgermeister im Wahlkampf verteilt hat, keiner mehr übrig ist, hat er schon weitergereicht – an seinen Freund Jörn Kubicki. Der nämlich, findet er, „hat auch viel ausgehalten“.

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