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Nach Übergriffen in Köln: Immer mehr Bürgerwehren spielen Polizei, doch Experten warnen davor

Nach Übergriffen in Köln

Immer mehr Bürgerwehren spielen Polizei, doch Experten warnen davor

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    In Deutschland schließen sich immer mehr Menschen zu Bürgerwehren zusammen. Das Foto zeigt Sympathisanten der Bewegung in Düsseldorf.
    In Deutschland schließen sich immer mehr Menschen zu Bürgerwehren zusammen. Das Foto zeigt Sympathisanten der Bewegung in Düsseldorf. Foto: David Young, dpa

    In Deutschland finden sich immer mehr Menschen in Bürgerwehren zusammen. So haben sich nach den Übergriffen auf Frauen in Köln mehr als 13.000 Menschen der Facebook-Gruppe "Einer für alle, alle für einen...Düsseldorf passt auf" angeschlossen. Sie wollen aufpassen und ihre Stadt für "unsere Damen" sicherer machen. Auch anderswo verzeichnet man regen Zulauf - in Augsburg sind beispielsweise mehr als 300 Menschen einer ähnlichen Gruppe beigetreten.

    In Düsseldorf wollen die Mitglieder der Gruppe gemeinsam an Wochenenden oder bei Veranstaltungen durch die Stadt zu ziehen: Schließlich habe ja jeder eine Freundin, Schwester, Mutter, Cousine, Tante, Schwägerin oder Frau. Laut dem Organisator Tofigh Hamid haben Fremdenfeindlichkeit oder Gewalt in der Gruppierung aber nichts verloren.

    Weitere Gruppen nennen sich etwa "Bürgerwehr Deutschland". Auch sie ist nach eigenen Angaben nicht rechts, doch Nachrichten wie "Es reicht langsam Deutschland ist überfordert, grenzen dicht!" sprechen ihre eigene Sprache. Und Bürgerwehren mit rechtsextremen Tendenzen bereiten Verfassungsschützern nicht erst seit Köln Sorgen.

    Bürgerwehren mit Anschlägen in Zusammenhang gebracht

    In Sachsen etwa werden Bürgerwehren auch mit fremdenfeindlichen Anschlägen und Hetze gegen Flüchtlinge in Zusammenhang gebracht, etwa die Bürgerwehr FTL/360 aus Freital. In Mecklenburg-Vorpommern machte im Frühjahr die selbst ernannte "Bürgerwehr Güstrow" Schlagzeilen. Einer der Organisatoren soll ein vorbestrafter NPD-Stadtvertreter sein. In Thüringen ist dem Verfassungsschutz mindestens eine Bürgerwehr bekannt, in der Rechtsextreme aktiv sind.

    "Es hat 2015 eine neue Qualität bekommen - da sind vielerorts solche Bürgerwehren entstanden", bestätigt auch der Soziologe Matthias Quent, der an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena zum Thema Rechtsextremismus forscht. Dass sich Rechtsextreme als Bewahrer und Beschützer inszenieren, sei nicht neu. Doch es besteht die Gefahr, dass die Rechtsextremen Bürger rekrutieren, die vorher nicht durch eine Verbindung in die rechte Szene aufgefallen sind, wie Quent erklärt.

    Auch aus Sicht des Konstanzer Politikwissenschaftlers Wolfgang Seibel können solche Bürgerwehren ein Problem darstellen. "Dass da ein Missbrauchsrisiko besteht, liegt ja auf der flachen Hand", sagte Seibel der Deutschen Presse-Agentur. "Die Polizei hat nun mal sogenannte Hoheitsrechte, die nur die

    Bürgerwehren: "Unterlaufen des staatlichen Gewaltmonopols"

    Die Polizei sei nicht umsonst gut ausgebildet und geschult, sagte Seibel. Privatleute hätten dagegen rechtlich überhaupt nicht die Mittel, um für die öffentliche Sicherheit zu sorgen. "Dass Menschen tatsächlich meinen, sie könnten das Recht in die eigenen Hände nehmen, ist natürlich völlig abstrus und inakzeptabel", sagte Seibel. "Das ist ein Unterlaufen des staatlichen Gewaltmonopols. Und da muss man logischerweise auch genauso konsequent sein, wie man das bei jedem anderen Bruch des staatlichen Gewaltmonopols ist - sprich bei der Ausübung körperlicher Gewalt durch Zivilisten." 

    Nicht immer mündeten private Initiativen aber in eine "Art martialische Bürgerwehr", sagte Seibel. In Konstanz sei es beispielsweise eine Zeit lang zu übermäßigem Alkoholgenuss von Jugendlichen gekommen. Dabei seien Passanten angepöbelt und Glasflaschen zerbrochen worden. Um dem entgegenzuwirken, habe sich eine Initiative gegründet, die mit den Jugendlichen redete und Konflikte entschärfte. "Das hat auch zu einer Beruhigung beigetragen, das ist ein positives Beispiel."

    Wachsende Zahl von Bürgerwehren besorgt die Regierung

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    Schnell die Polizei informieren (110 wählen), dabei als erstes möglichst genau den Tatort melden.

    Nicht allein handeln, sondern Verbündete schaffen.

    Gezielt andere Leute ansprechen, zum Beispiel: „Sie im grauen Mantel, bitte helfen Sie mir!“

    Distanz zu den Tätern halten, so dass man nicht angegriffen werden kann.

    Den Täter siezen, damit anderen klar ist, dass man ihn nicht kennt.

    Klare Ansage an den oder die Täter, zum Beispiel: „Hören Sie auf! Wir haben die Polizei informiert.“

    Nicht provozieren.

    Wenn der Täter sich nähert: Klare Körpersprache, zum Beispiel Arm ausstrecken, „Stopp!“ rufen. Wenn das nicht funktioniert: beschwichtigen.

    Wenn der Täter einen bedroht, einen Schritt zu Seite gehen (dann kann man besser weglaufen), versuchen, den Täter zu verwirren, z. B. hüpfen und etwas Bizarres rufen wie „Wo kommen die weißen Mäuse her?“

    Auch die Bundesregierung nimmt die wachsende Zahl von Bürgerwehren aufmerksam zur Kenntnis. Es dürfe nicht dazu kommen, dass Bürger ohne staatlichen Auftrag und Kontrolle, Recht und Ordnung in die eigene Hand nehmen, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. "Es muss mit aller Entschiedenheit verhindert werden, dass, und sei es auch nur punktuell, Parallelstrukturen aufgebaut werden", sagte er. Die meisten Aktivitäten seien allerdings von kurzlebiger Dauer - langfristige Strukturen bildeten sich nur selten heraus.

    Auch bei der Düsseldorfer Bürgerwehr war das Interesse dann doch nicht so groß wie erwartet. Statt tausender Beschützer fanden sich am vergangenen Samstag dann nur rund 50 Menschen zur nächtlichen Patrouille zusammen. Bevor sie auf Streife gehen durften, mussten sie ein Regelwerk unterschreiben. Rechtes Gedankengut sei nicht erlaubt, stand da. Und: "Die Polizei ist für die Öffentliche Ordnung zuständig. Und das ist nicht in Frage zu stellen!!!!" Die Polizei sieht die Aktivitäten der Gruppe jedenfalls mit Sorge - und will sie weiter im Auge behalten. dpa

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