Herr Ministerpräsident, der Streit über die Flüchtlingspolitik zwischen Ihrer Partei und der Bundeskanzlerin hat sich nach der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth noch einmal zugespitzt. Nur einige wenige Ihrer Parteifreunde meinten, in der Diskussion mit Frau Merkel Anzeichen für eine Kursänderung zu erkennen. Rechnen Sie irgendwann mit einer Erklärung der Kanzlerin?
Seehofer: Ich hatte nicht den Eindruck, dass sich da eine Kursänderung abzeichnet. Das gewinnende Wesen der Bundeskanzlerin mag da bei einigen zu falschen Schlussfolgerungen geführt haben. Ich rechne vorerst nicht mit einer Erklärung der Bundeskanzlerin. Eine Kursänderung bei Bundeskanzlern erfolgt in aller Regel nicht durch eine Erklärung. Da wird nicht gesagt, das war ein Fehler. Das passiert eher schleichend. Da stellt man dann erst im Rückblick fest, dass ein Kurs einfach nicht mehr verfolgt und etwas ganz anderes gemacht wurde.
Sie versuchen mit einem Brief nachzuhelfen, indem Sie mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht drohen, falls die Bundesregierung sich weiterhin flächendeckenden Kontrollen an der deutschen Außengrenze verweigert. Wann geht der Brief raus?
Seehofer: Die Frist für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht beträgt sechs Monate. Davor müssen wir unsere Forderungen gegenüber der Bundesregierung nochmals konkretisieren. Voraussichtlich wird der Brief noch in dieser Woche abgeschickt.
Halten Sie eine Klage in Karlsruhe wirklich für eine gute Idee?
Seehofer: Es könnte ja kommen wie bei der Klage Bayerns und Hessens gegen den Länderfinanzausgleich. Da hat ja schon die Einreichung der Klage etwas bewegt.
Seltsam ist es aber doch. Die CSU ist Teil der Bundesregierung. Sie klagen also gegen sich selbst.
Seehofer: Die Klage reicht nicht die CSU ein, sondern der Freistaat Bayern. Das ist ein Unterschied.
Sie haben auch, ohne sie näher zu benennen, weitere Konsequenzen angedroht, falls Frau Merkel ihren Kurs nicht ändert. Welche Möglichkeiten haben Sie da noch?
Seehofer: Es gibt zahlreiche Reaktionsmöglichkeiten. Das muss man jetzt von Woche zu Woche neu bewerten. Aber die Lage ist zweifellos ernst. Das sehen Sie ja auch am Augsburger Landrat Martin Sailer. Das ist ja auch keiner, der jeden Morgen mit dem Panzerwagen aus der Garage fährt.
Sailer hat gefordert, die Kanzlerin müsse zurücktreten, wenn sie ihre Asylpolitik nicht bald ändert.
Seehofer: Das zeigt, wie aufgewühlt die Lage tatsächlich ist. Eine große Mehrheit in Bayern und ganz Deutschland ist der Auffassung, dass sich in der Flüchtlingspolitik etwas ändern muss und dass wir dafür sorgen müssen, unsere Lösungen zum Tragen zu bringen. Aber deshalb sollte nicht gleich die Regierung infrage gestellt werden.
Denken Sie nicht, dass es sich irgendwann abnutzt, immer nur zu kritisieren und zu drohen?
Seehofer: Es ist wahr, dass viele Leute sagen: Ihr müsst nicht nur bellen, ihr müsst auch beißen.
Wann ist es so weit?
Seehofer: Der Zeitpunkt ist noch nicht da, aber er wird kommen, wenn sich nicht bald etwas ändert. Noch einmal: Es gibt rechtlich und politisch eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Bei mir stehen nicht Machtfragen im Vordergrund, sondern die Lösung des Problems.
Wie lange gilt das?
Seehofer: Das gilt alles solange wir das nötige Vertrauen der Bevölkerung haben.
Frau Merkel war jetzt zwei Mal kurz hintereinander bei der CSU in Kreuth. Sie waren auch da, haben aber fast nichts gesagt.
Seehofer: Ich habe mich zurückgehalten, weil ich nicht recht schlau wurde aus ihrem Konzept. Im September hieß es, es sei eine Ausnahme, Flüchtlinge unkontrolliert ins Land zu lassen. Jetzt ist es eine Dauereinrichtung. Die internationalen Maßnahmen, die vereinbart wurden, sollten bis Ende 2015 greifen. Bisher aber funktionieren weder die Hotspots noch sonst etwas. Das Asylpaket II, das Anfang November von den drei Parteivorsitzenden vereinbart worden ist, sollte längst verabschiedet sein. Da blockiert die SPD. Die Bundesregierung lehnt bayerische Unterstützung bei den Grenzkontrollen ab. Das hat zur Folge, dass an vielen Grenzübergängen überhaupt nicht kontrolliert wird. Und dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hunderttausende nicht bearbeiteter Asylanträge liegen, ist ein Trauerspiel: Je länger es dauert, bis über den Status eines Flüchtlings entschieden ist, umso schwieriger wird es, falls er abgelehnt wird, ihn wieder zurückzuschicken oder abzuschieben. Lassen Sie es mich so sagen: Das alles entspricht nicht der Präzision, die wir bei der politischen Arbeit in München gewöhnt sind.
Das hört sich resigniert an. Wie fühlen Sie sich dabei?
Seehofer: Meine Gefühlslage? Bis Sommer vergangenen Jahres war ich überzeugt, dass CDU und CSU mit weiterhin guter Politik die Chance haben, bei den Wahlen 2017 im Bundestag eine absolute Mehrheit zu erreichen. Wir lagen zwischendurch schon bei 42 oder 43 Prozent. Das hat sich seit September radikal verändert. Jetzt haben wir eine neue Partei am rechten Rand. Das ist für uns als CSU von ganz anderer Bedeutung als für die CDU. Die Stärke der CSU ergibt sich aus ihrer Einmaligkeit.
Sie wollen eine Obergrenze für Flüchtlinge verbunden mit einer Zurückweisung aller Asylbewerber an der deutschen Grenze, die aus sicheren Drittstaaten wie zum Beispiel Österreich kommen. Die Bundeskanzlerin lehnt dies allerdings ab, weil sie offensichtlich eine Abschottung Deutschlands befürchtet.
Seehofer: Politiker haben die Fähigkeit, Fragen zu beantworten, die niemand stellt. Bayern ist ein weltoffenes Land und will keine Abschottung. Wir wollen, dass wieder Recht und Ordnung hergestellt werden.
Und wenn die Obergrenze nicht kommt?
Seehofer: Dann wird es dramatische Rückwirkungen geben auf unsere Fähigkeit zur Integration, auf die Finanzierbarkeit staatlicher Aufgaben, auf die Sicherheit im Land, auf die Leistungsfähigkeit der Verwaltung. Es wird kulturelle Veränderungen geben und es werden sich Konkurrenzverhältnisse zur einheimischen Bevölkerung entwickeln – bei den Wohnungen ist das ja schon zu spüren. Unser Land hat sich bereits verändert. Es wird sich weiter verändern. Nicht jede Veränderung muss schlecht sein. Ich möchte aber auch, dass Bayern Bayern bleibt.
Mit anderen Worten: Sie wollen nicht lockerlassen.
Seehofer: Eines mache ich sicher nicht: dass ich dem Konflikt davonlaufe. Da könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Viele Menschen aus ganz Deutschland sagen und schreiben mir: Sie sind der Einzige, auf den wir noch setzen. Das verpflichtet.
Was ist, wenn Sie scheitern, wenn bis zur Wahl 2017 nix passiert?
Seehofer: Dann wird die Union ein Debakel erleben. Noch können wir das verhindern. Noch würde eine Kursänderung – egal ob schleichend oder mit einem Hammerschlag – der Union gutgeschrieben.