Herr Buschkowsky. Gehört der Islam zu Deutschland?
Das Christentum und das Judentum waren über Jahrhunderte unsere Impulsgeber bei der Entwicklung von Ethik, Kultur und Moral. Der Islam ist heute Teil unserer Lebenswirklichkeit und auch ein wesentlicher Einflussfaktor. Ich sehe aber nicht, dass er einen ähnlichen Beitrag zur Entstehung der Bürgerrechte, des Humanismus und der Aufklärung geleistet hätte.
Wenn er schon nicht zu Deutschland gehört: Gehört der Islam dann zu Neukölln? Jeder Fünfte hier ist türkischer oder arabischer Abstammung.
Der Islam ist in Neukölln eine starke gesellschaftliche Kraft. Wenn jetzt aber jemand sagt, Neukölln sei ohne den Islam nicht denkbar, dann bestreite ich das. Ich kenne ein Neukölln auch ohne Islam, ich bin in ihm aufgewachsen.
Im Rest der Republik gilt Neukölln als Synonym für alle Schattenseiten der Einwanderung: Organisierte Kriminalität, Islamismus, Armut. Haben Sie gegen Windmühlen gekämpft?
Neukölln ist heute die Referenzstadt für die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Das empfinde ich als Erfolg. Mich stört jedoch diese Heuchelei von der einzigartigen Erfolgsgeschichte der Integration in Deutschland. Natürlich gibt es millionenfache gelungene Integrationskarrieren. Aber auch die Kehrseite, dass Kinder in die Schule kommen und kein oder nur ein rudimentäres Deutsch sprechen, obwohl bereits ihre Eltern im Land geboren und sozialisiert sind.
Woran liegt es, dass die dritte Einwanderergeneration häufig schlechter integriert ist als die Generation ihrer Eltern oder Großeltern?
Sie sind schlechter angepasst und deshalb auch nicht integriert. Die Gastarbeiter in den sechziger und siebziger Jahren haben sich der Lebensroutine ihrer neuen Heimat angepasst. Es ging gar nicht anders. Heute haben wir Wohngebiete, die eine komplette Infrastruktur wie im Herkunftsland bieten. Da gibt es keinen Anpassungs- und Sprachdruck. Im Gegenteil, es entsteht selbstbewusstes Revierverhalten. Junge Leute sagen, wir sind stolze Türken und Araber. Was wollt ihr Deutschen hier? Aber Einwanderung soll eine Gesellschaft nicht auf den Kopf stellen, sie soll sie stärken, sie inspirieren und voranbringen. Einwanderung ist keine Sozialveranstaltung, sondern folgt einem einfachen Prinzip: Wer ins Land kommt und seinen Wohlstand mehrt, mehrt auch den der Gesellschaft. Integration bedeutet, dass die Menschen die Landessprache erlernen, die geltenden Lebensnormen akzeptieren, sich von ihrer Hände Arbeit ernähren und ihre Kinder so erziehen, dass sie zu einem selbstbestimmten Leben in Wohlstand finden.
In Ihrer eigenen Partei finden Sie damit wenig Gehör? Sind in der SPD zu viele Sozialromantiker am Werk?
Der Begriff Sozialromantik trifft es ganz gut. Viele glauben, dass Integrationspolitik der Wettbewerb um den Mutter-Teresa-Preis ist. Ist es aber nicht, sondern harte Arbeit. Wenn ich sage, Einwanderung soll eine Gesellschaft stärken, kommen viele und sagen: Igitt, das reduziert den Menschen ja auf seine ökonomische Verwertbarkeit. Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl tritt zum Beispiel dafür ein, dass jeder, der sein Glück in Deutschland versuchen will, dies auch können muss. Mir hat es fast die Schuhe ausgezogen, als ich das gelesen habe. Im Klartext heißt das: Kommet alle, die ihr mühselig und beladen seid, dieses Land ist offen für sieben Milliarden Menschen.
Haben Sie je an Austritt gedacht?
Einigen hätte ich gewiss einen Gefallen getan. Andere haben mir den Gustav-Heinemann-Preis verliehen. Welche Alternativen hätte ich denn gehabt? In der CDU ist Herr Bosbach auch recht einsam. Die CSU, die nach außen Bierzeltrhetorik zelebriert, aber nach innen problembewusst agiert, scheidet territorial aus. Bayerische Schulen sind beim Bildungserwerb für Einwandererkinder übrigens erfolgreicher als unsere. Die FDP in den siebziger Jahren hatte mit den Namen Matthäus-Maier, Verheugen oder auch Scheel durchaus Verführungspotenzial. Die nachfolgenden Namen übten auf mich keinerlei Anziehungskraft mehr aus.
Wenn Integration auch eine Bringschuld ist: Tut der Staat genug, um diese Bringschuld auch einzufordern?
Jemand, der sich in einen anderen Kulturkreis begibt, der muss wissen, dass er dort auf andere Lebensregeln trifft und er diese auch für sich annehmen muss. Von den vier Millionen Muslimen unter uns tun das gefühlt vielleicht 70 Prozent. Das ist der Änderungsschneider an der Ecke, der Arzt im Krankenhaus oder mein langjähriger Fahrer. 20 bis 30 Prozent der Muslime aber sind nie in Deutschland angekommen und wollen das häufig auch gar nicht. Das heißt, wir reden von 800000 bis 1,2 Millionen nicht integrierten Menschen. Bei Umfragen erklären sogar zwei Drittel aller Muslime, dass ihnen ihre religiösen Vorgaben wichtiger sind als die Gesetze des Landes. Schon 1979 hat der damalige Ausländerbeauftragte Heinz Kühn vor einer Bildungskatastrophe bei Einwandererkindern gewarnt – passiert ist aber nichts. Wir haben lange nicht begreifen wollen, dass analphabetische Eltern ihren Kindern den Satz des Pythagoras nicht erklären können. Das heißt: Wir müssen diesen Kindern helfen, die Defizite ihrer Elternhäuser abzustreifen. Ansonsten brauchen wir uns über perspektivlose „Hartzer“ oder Intensivtäter, die mit 25 ihr halbes Leben im Knast verbracht haben, nicht zu wundern. Nichts ist so teuer wie ein nicht in die Gesellschaft integrierter Mensch.
Was hat der Bezirksbürgermeister Buschkowsky denn getan, um diese Bildungskatastrophe abzuwenden?
Aus dem Albert-Schweitzer-Gymnasium haben wir Berlins erstes Ganztagsgymnasium gemacht. Wir haben uns angesehen, mit welchen Problemen die Schüler beladen sind, sie erhielten Coachs an die Seite gestellt und individuelle Förderung. Die ehemals halb leere Schule ist heute bis unters Dach voll, die Abiturientenzahl hat sich versechsfacht, immer noch mit einem Anteil von 90 Prozent Einwandererkindern. Mehrkosten gegenüber einem herkömmlichen Halbtagsgymnasium: 200 000 Euro im Jahr. Da konkurrieren fünf Plätze im Jugendknast gegen 650 Gymnasiasten.
Und die Rütli-Schule, an der die Lehrer der Gewalt der Schüler einst nicht mehr Herr wurden?
Die Rütli-Schule ist inzwischen eine Gemeinschaftsschule im Ganztagsbetrieb. Hier gibt es speziell auf arabischstämmige Schüler ausgerichtete Angebote. Früher flogen die Stühle aus dem Fenster, im letzten Jahr haben wir die ersten 20 Abiturzeugnisse verteilt. Wir haben flächendeckend Schulstationen mit gemischt-ethnischen Sozialarbeiterteams, genauso wie Wachschutz vor den Türen. Wir schützen Schüler und Lehrer vor per SMS herbeigerufenen Cousins, die in der Schule „mal was klarmachen wollen“. Unsere Stadtteilmütter besuchen bildungsferne Familien, der Mitmach-Zirkus trainiert soziale Kompetenzen. Das ist nur ein Ausschnitt. Zwar ein erfolgreicher, aber gegenüber den strukturellen Verwerfungen dennoch zu schwach.
Von ihrem Büro aus sind es nur ein paar Kilometer zur Al-Nur-Moschee, in der Hassprediger ihre gewaltverherrlichenden und frauenverachtenden Ansichten verbreiten. Warum ist diese Moschee nicht längst geschlossen?
Dazu fehlt zu vielen Leuten ein Körperteil in der Hose. Der Senat hat einfach Angst vor den Reaktionen der Szene. Wer das Töten von Juden verherrlicht, Frauen zur Lustmaterie des Mannes degradiert und sich im Dunstkreis des Islamismus bewegt, steht nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Und das ist unser Heiliges Buch! Im Schönsprech der Allesversteher hören sie dann, dass die Religionsfreiheit jeden Eingriff verbiete und dass die muslimischen Frauen inzwischen so stark seien, dass sie selbst die Grenzen setzen können. Was für ein Schwachsinn!
Wie zeigt sich dieser radikale Islam denn im Neuköllner Alltag?
Der fundamentalistische Islam und die konfrontative Religiosität begegnen uns hier an jeder Ecke. In neuen Fahrschulen mit ausschließlich weiblichen Fahrlehrerinnen, weil eine muslimische Frau angeblich nicht mit einem fremden Mann alleine in einem Auto sitzen darf. In einigen Kindergärten tragen schon dreijährige Mädchen Kopftücher – so etwas hat es vor fünf Jahren noch nicht gegeben. In den Schulen wiederum streiten wir uns mit Eltern, die bei Klassenreisen auf muslimischen Betreuern bestehen und dem Hausmeister das Betreten der Turnhalle verbieten wollen, wenn ihre Töchter dort Sport treiben. Salafisten verteilen vor den Schulen an Mädchen Flugblätter, in denen sie das Tragen des Hidschab einfordern anstelle der sündigen Jeans. Fußballturniere beginnen nicht mit dem Anpfiff des Schiedsrichters, sondern dem Ausrollen eines Gebetsteppichs auf dem Rasen. Mehrfachehen sind keine Polygamie mehr, sondern gehören zur kulturellen Identität. Der durch die soziale Kontrolle ausgeübte Druck ist enorm. Die Liberalen ziehen fort oder müssen sich beugen. Sie haben keine andere Chance. Im öffentlichen Raum hat der Anteil traditionell verhüllter Frauen erheblich zugenommen. Nicht die Integration schreitet voran, sondern eine Art Landnahme durch fundamentalistische Überreligiosität.
Kann ein Jude in Neukölln heute ruhigen Gewissens seine Kippa tragen?
Ich denke, ja. Ein Rabbi, mit dem ich durch den Bezirk spazieren ging, hat seine Kippa allerdings unter einem Basecap versteckt. Er fühlte sich in Neukölln nicht sicher, er hatte Angst. Ich glaube nicht, dass ihm etwas passiert wäre. Wenn Sie mich allerdings fragen, ob das für alle Straßen und für alle Tageszeiten gilt, muss ich sagen: Nachts um eins sollte er eine Mütze dabeihaben. Es gibt hier eine starke arabische Minderheit, die am Al-Quds-Tag in der Lage ist, „Juden ins Gas“ oder ähnliche Geschmacklosigkeiten von sich zu geben. Die Polizei läuft nebenher und unternimmt nichts. Für mich unfassbar.
Einer Ihrer Bestseller trägt den Titel „Neukölln ist überall“. Muss es dem Rest der Republik da nicht angst und bange werden?
Der Titel ist eine Botschaft an die Sesselsitzer, die glauben, dass sie das alles nichts angeht. Es ist die Aufforderung, einmal in die Wohngebiete um die Ecke zu schauen. Sie können durch die ganze Republik reisen und werden überall identische Problemlagen vorfinden. Meine Welt ist dem Leser näher, als er denkt. Wir sind ein Einwanderungsland und müssen aufgrund unserer Geburtenfaulheit auch eines bleiben. Ein Wohlstand, wie wir ihn heute für selbstverständlich halten, wird nur mit der Integration der Einwandererkinder möglich sein.