Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy geht weiter juristisch gegen die Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit den Kinderpornographie-Ermittlungen vor. Sein Mandant habe Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt, sagte Edathys Anwalt Christian Noll dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Die Ermittler hätten "zu Unrecht einen Anfangsverdacht angenommen", erklärte Noll. Sie hätten "aus einem nicht strafbaren Verhalten, nämlich den viele Jahre zurückliegenden Bestellungen in Kanada, auf das aktuelle Vorliegen einer Straftat geschlossen". Ein solcher Schluss sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zulässig: "Die ergangenen Beschlüsse sind daher verfassungswidrig."
Landgericht Hannover hatte Beschwerde Edathys abgewiesen
Das Landgericht Hannover hatte Anfang April eine Beschwerde Edathys gegen die Durchsuchung seiner Büro- und Privaträume abgewiesen. Zu den am Wochenende publik gewordenen Vorwürfen gegen Edathy wollte sich Noll nicht äußern.
Chronologie: Die Affäre Edathy
2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über deutsche Kunden eines kanadischen Online-Shops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.
Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Steinmeier davon.
5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.
Anfang Januar 2014: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung. Ende November 2013 hatte der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann Oppermann bereits darüber informiert, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.
22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht das Gespräch mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. "Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr", sagt der Anwalt nach Darstellung Jörg Fröhlichs.
28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.
7. Februar 2014: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder. Als Motiv nennt er gesundheitliche Gründe.
10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und in Berlin sowie Büros durchsuchen. Offenbar stoßen sie dabei nur auf wenig Material.
11. Februar 2014: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück. Einen Tag später erhebt er Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.
13. Februar 2014: SPD-Fraktionschef Oppermann gibt bekannt, dass Sigmar Gabriel bereits im Oktober vom damaligen Innenminister Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sei.
14. Februar 2014: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Fröhlich, gibt Einzelheiten zu den Ermittlungen bekannt. Danach geht es um den Kauf von Bildern mit nackten Jungen zwischen neun und 13 Jahren. Das liege im Grenzbereich zur Kinderpornografie, so Fröhlich. Zu dem Tipp von Friedrich an Gabriel sagt er: "Wir sind fassungslos."
14. Februar 2014: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Agrarminister zurück.
18. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet ein Verfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats ein. Ein Behörden-Brief kam unverschlossen sechs Tage nach Versand an. Er sollte den Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Fall Edathy informieren. Es ist bekannt, dass sich ein Anwalt Edathys schon im November nach möglichen Ermittlungen erkundigt hat.
24. Februar 2014: Gegen Edathy wird ein SPD-Parteiordnungsverfahren eingeleitet.
2. Mai 2014: Es wird vom Landeskriminalamt Niedersachsen berichtet, dass sich Edathy strafbares kinderpornografisches Material über seinen Bundestag-Laptop beschafft habe. Die Staatsanwaltschaft schweigt.
17. Juli 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover klagt den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos an.
29. August 2014: Edathy scheitert mit seiner Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Abgeordnetenbüros beim Bundesverfassungsgericht.
18. November 2014: Das Gericht lässt die Anklage gegen Edathy zur Hauptverhandlung zu.
23. Februar 2015: Am Landgericht Verden startet der Prozess gegen Edathy. Er endet nach nur rund 90 Minuten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen bis zur nächsten Sitzung erneut über eine Einstellung sprechen.
2. März 2015: Das Gericht stellt das Verfahren ein. Zuvor hat Edathy eine Erklärung verlesen lassen, in der er die Anklagevorwürfe einräumt. Zwar muss er 5000 Euro zahlen, aber er ist nicht vorbestraft.
1. Juni 2015: Edathy muss seine SPD-Mitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Das entscheidet das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hannover. Für einen von der Parteispitze beantragten Parteiausschluss sieht das Gremium keine ausreichende Grundlage.
Der Sender NDR und die "Süddeutsche Zeitung" hatten unter Berufung auf den Abschlussbericht des Landeskriminalamts (LKA) berichtete, dass Edathy in mehreren Fällen strafbares kinderpornographisches Material über das Internet aufgerufen haben soll. Dabei handele es sich nicht um die bereits bekannten Bestellungen bei dem kanadischen Anbieter "Azovfilms", die als strafrechtlich irrelevant zu werten seien.
Edathy: Ermittler fanden angeblich CD mit Jugendpornografie
Zudem fanden die Ermittler demnach im Zuge der Durchsuchungen von Büros und Privaträumen des Verdächtigen auch eine CD mit 45 angeblich jugendpornographischen Videos sowie Hefte mit angeblich jugendpornographischen Bildern. Edathy hatte nach Angaben der Staatsanwaltschaft im Internet Nacktaufnahmen Jugendlicher "im Grenzbereich" zur Kinderpornografie bestellt. Der SPD-Politiker legte im Februar sein Bundestagsmandat nieder, kurz bevor die Affäre publik wurde. afp/AZ