Die Pressestimmen rund um Euro-Krise, Griechenland-Wahl, Spanien, Italien und die Rolle Deutschlands:
Die Zeitung "Sud-Ouest" aus dem südwestfranzösischen Bordeaux schreibt zur Eurokrise: "Am Mittelmeer spielt sich (...) ein anderer Teil ab, der griechische, der sich zu einer echten Tragödie entwickeln könnte. Das Ergebnis der Parlamentswahl in Athen wird über den Verbleib oder Nichtverbleib des Landes in der Eurozone entscheiden. Fassen wir die Lage auf unserem alten Kontinent zur Mitte dieses Junis zusammen: Ein Griechenland am Rande des Abgrunds. Ein Spanien, das Italien bei seinem Abgleiten mitreißt. Europäische Märkte, die die schwächsten Länder jeden Tag ein Stück mehr in Fesseln legen. Man kann verstehen, dass Deutschland sich etwas allein fühlt vor dem europäischen Gipfel zum Monatsende."
Die Zeitung "La République des Pyrénées" aus dem südfranzösischen Tarbes befasst sich mit dem Krisenmanagement in Europa: "Das Problem Europas sind nicht Griechenland oder Spanien, es ist Europa. Es ist die Unfähigkeit seiner Führungsfiguren, sich zu einigen, was das Misstrauen der Märkte auslöst. Das einzige Mittel, wenn man Europa auf dem Fuß einer hinkenden Währungsgemeinschaft aufrecht erhalten will, ist, dass man es mit dem Bein versieht, das fehlt: Eine politische Union ist nötig, um die Wirtschaft zu regieren. (Italiens Ministerpräsident Mario) Monti, der viel Gunst auf deutscher Seite genießt, könnte zwischen den beiden wichtigsten Protagonisten in Europa (Deutschland und Frankreich), ohne die in Europa nichts geht, gute Dienste leisten."
Die linksliberale britische Zeitung "The Guardian" schreibt am Freitag über die Situation in der Eurozone: "Jetzt wissen wir, was man sich von 100 Milliarden Euro kaufen kann: fünf Tage. Die Finanzmärkte haben weniger als eine Woche benötigt, um über Spaniens extra Rettungspaket zu urteilen - und sie haben es zum Fehler erklärt. Das zumindest ist die offensichtlichste Schlussfolgerung, die man aus den Turbulenzen von gestern (Donnerstag) ziehen kann. Über Euroland senkt sich allmählich die Dämmerung: eine besondere, beängstigende Situation ist über gewöhnliche Bürger in 17 Ländern hereingebrochen (...). Der nächste große Dreh in der Eurozonen-Saga ist nicht weit entfernt. Griechenland wählt an diesem Wochenende erneut und welche Partei oder Koalition daraus auch immer als Sieger hervorgeht, wird gezwungen sein, eine Lockerung des Sparprogramms zu verlangen. Für den Rest des Euro-Clubs - und für die ganze Welt - ist das Fazit, dass sich diese Misere ohne Lösung hinziehen wird."
Chronologie: Die Finanz-Krise in Griechenland
16. Dezember 2009 Ratingagenturen stufen Griechenlands Kreditwürdigkeit herab. Die Diskussion um Griechenland nimmt Fahrt auf: Spekulationen über eine Staatspleite beginnen, das Land muss zunehmend höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen.
25. März 2010 Die Lage spitzt sich zu: Die Euro-Länder sagen Athen vorsorglich ein Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu.
23. April 2010 Griechenland droht akut die Insolvenz. Das Hilfsprogramm wird offiziell beantragt.
2. Mai 2010 Die Eurogruppe beschließt Notkredite von 110 Milliarden Euro für Athen und verlangt im Gegenzug einen harten Sparkurs. Die Hilfen kommen nicht aus dem Euro-Rettungsschirm EFSF, der erst später unter dem Eindruck der eskalierenden Schuldenkrise im Euroraum aufgespannt wird.
10. Mai 2010 Um die Schuldenkrise einzudämmen, einigen sich die EU-Finanzminister auf einen 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm (EFSF) für pleitebedrohte Mitglieder.
16. Dezember 2010 Der EU-Gipfel beschließt das Aufspannen eines permanenten Rettungsschirms (ESM) für die Zeit ab 2013. Später wird der Start auf 2012 vorgezogen. Er soll mit 500 Milliarden Euro an verfügbaren Mitteln ausgestattet werden. Mittlerweile wird eine Ausweitung diskutiert.
25. März 2011 Ein EU-Gipfel verabschiedet ein Gesamtpakt zur Überwindung der Schuldenkrise. Dazu gehören der permanente Rettungsschirm, eine Schärfung des Stabilitätspakts und ein neuer «Euro-Pakt-Plus», mit dem sich die Regierungschefs zu Strukturreformen verpflichten.
29. Juni 2011 Das griechische Parlament nimmt ein radikales Sparpaket der Regierung an - Voraussetzung für eine Teilzahlung aus dem Hilfspaket. Ohne die Hilfe wäre das Land zahlungsunfähig geworden.
21. Juli 2011 Auf einem Sondergipfel einigt sich die EU auf ein neues Griechenland-Rettungsprogramm im Volumen von 109 Milliarden Euro. Das Programm wird so nie in die Tat umgesetzt und später deutlich nachgebessert.
27. Oktober 2011 Die Euro-Länder und Banken einigen sich auf einen Schuldenschnitt von 50 Prozent für Griechenland und ein neues 130-Milliarden-Euro-Paket für Athen. Im Gegenzug gibt es neue harte Sparauflagen für Athen, die im Land zunehmend Proteste und Streiks provozieren.
10. November 2011 Lucas Papademos, der ehemalige Vize-Präsident der Europäischen Zentralbank, löst Giorgios Papandreou als Regierungschef ab. Er führt eine Übergangsregierung, die die drakonischen Sparmaßnahmen auf den Weg bringen soll. Ohne die kann weder frisches Geld fließen - noch das neue Hilfspaket aktiviert werden.
30. Januar 2012 Auf dem EU-Gipfel in Brüssel einigen sich die Staats- und Regierungschefs auf einen Fiskalpakt mit Schuldenbremsen und automatischen Sanktionen.
12. Februar 2012 Das griechische Parlament billigt das einschneidende Sparpaket, das nach Forderung der internationalen Geldgeber mehrfach verschärft werden muss.
21. Februar 2012 Die Länder der Eurozone geben grünes Licht für das 130-Milliarden-Hilfspaket. Voraussetzung für eine endgültige Freigabe ist aber ein Erfolg des Schuldenschnittes.
9. März 2012 Mit der größten Staatsumschuldung aller Zeiten verschafft sich Griechenland Luft im Dauerkampf gegen die Pleite. Nach bangen Monaten mit langwierigen Verhandlungen meldet Athen eine breite Beteiligung am Schuldenschnitt, der das Land um mehr als 100 Milliarden Euro entlasten wird. Die Euro-Finanzminister geben umgehend einen Teil des neuen 130-Milliarden-Hilfspakets frei.
6. Mai 2012: Die Parlamentswahlen in Griechenland finden statt. Die Parteien können sich auf keine Regierungskoalition einigen.
17. Juni 2012: Nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen wird wieder in Griechenland gewählt. Sollte keine stabile und euro-freundliche Regierung zustande kommen, droht nach Expertenmeinung das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro.
Die linksliberale Pariser Zeitung "Libération" kommentiert am Freitag die bevorstehende Wahl in Griechenland: "Wird es am Montag in Griechenland eine Regierung geben, die den Namen verdient? Eine Regierung, die Märkte beruhigt? Die europäischen Staats- und Regierungschefs? Und auch die Griechen selbst? Es gilt mindestens zwei Wahrnehmungsfehler zu vermeiden: Der erste bestünde darin zu glauben, dass unsere geschickten Technokraten es im Fall der Katastrophe schaffen werden, Griechenland zu geringsten Kosten von der Eurozone abzukoppeln. Wenn Europa schon unfähig ist, den Untergang einer solchen Konfetti-Wirtschaft zu verhindern, wie soll es dann Spanien und Italien oder morgen Frankreich schützen? Der zweite Fehler wäre es, zu denken, das diese Wahlen alles klären oder alles beschleunigen werden. Dieses Land wird seinen Überlebenskampf nur auf langem Wege gewinnen."
Zu den Wahlen in Griechenland schreibt der Schweizer "Tages-Anzeiger": "Die Wahl am 6. Mai war ein Scherbengericht. Der Überdruss über das verbrauchte System katapultierte den frechen Herausforderer Alexis Tsipras und seine radikallinke Syriza aus dem Gehege der Splitterparteien in Reichweite der Regierungsmacht. Es war eine Protestwahl. Der Urnengang am Sonntag ist eine Wahl der Angst. Es ist die Angst, Griechenland könnte wirklich aus der Eurozone fallen. Diese Furcht macht die Wahl zum Referendum für oder gegen Europa. Nur, die Fronten sind bei näherem Hinsehen weniger eindeutig, als es scheint. Auch der konservative Samaras verspricht, er werde die Konditionen des harten Sparprogramms in Brüssel schon lockern."
Mit den Worten "An Ihnen, Frau Merkel!" wendet sich das "Luxemburger Wort" am Freitag der Zukunft Europas zu: "Eine magische Formel zur Lösung der Bankenkrise, der Staatsschuldenkrise und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit vieler europäischer Staaten gibt es nicht. Dazu ist die Gemengelage viel zu komplex. Dennoch gibt es zwei Krisenvarianten: Die eine führt zur Desintegration des Einigungsprozesses, die andere setzt auf eine entschlossene, wenn auch gewagte Vertiefung des gemeinsamen Hauses Europa. Je nach Ausgang der Wahlen in Griechenland steht eine entsprechende Weichenstellung bereits in den kommenden Tagen an. Deshalb ist es im Vorfeld des Urnengangs in Hellas wichtig, vor lauter Bäumen nicht den Blick auf den Wald aus den Augen zu verlieren. Denn kaum jemand will in einem Europa leben, in dem wieder Grenz- und Kapitalkontrollen, Wechselkurse und nationalistische Töne den Alltag beherrschen! Richtig ist aber auch: Europa kann nur dann der schönste Fleck der Welt sein, wenn es stark ist - auch wirtschaftlich. Deshalb müssen alle Länder auf ihren Haushalt und auf ihre Wettbewerbsfähigkeit achten. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Recht, wenn sie auf Rosskuren in den angeschlagenen Ländern des "ClubMed" pocht. Diese Politik hat bereits viel bewirkt. Zu hoffen bleibt, dass die mächtigste Politikerin des Alten Kontinents nicht übers Ziel hinausschießt, sondern im ureigensten Interesse Deutschlands zu gegebener Zeit Richtung Politische Union geht. Dann hätte sie ihren Platz in den Geschichtsbüchern sicher."
Die liberale Turiner Tageszeitung "La Stampa" geht am Freitag der Frage nach, ob Angela Merkel in der Euro-Krise ein doppeltes Spiel spiele: "Der Verdacht geht in Paris wie in Rom um, dass Deutschland hinter den Kulissen bereits an einer "Abtrennung" Griechenlands arbeitet. Das wäre der erste Akt einer neuen Zeit, die eines begrenzteren und stärkeren Euro. Es ist allerdings ein Szenario, das Frankreich und Italien fürchten - wegen der unberechenbaren materiellen und auch psychologischen Kosten einer solchen Sezession, die schließlich dann auch andere Länder mit betreffen würde. Allen voran dabei Portugal."
Die liberale Zeitung "Der Standard" aus Wien schreibt am Freitag über die Finanzkrise in der EU und die Euro-Kritiker: "Was so lapidar als Fiskalunion bezeichnet wird, heißt in echt gemeinsame Steuern, zentrale Budgets und damit Kanalisierung der Ausgaben via Brüssel. Diese Option gehört diskutiert und letztlich der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt. Bereits Rettungsfonds und Fiskalpakt schrammen angesichts der Abgabe souveräner Budgetkompetenzen (das Königsrecht des Gesetzgebers) ziemlich scharf an einer Gesamtänderung der Verfassung vorbei. Anstatt sich in der juristischen Grauzone zu verlaufen, sollte klare Sicht durch demokratische Legitimierung gesucht werden. Ein positives Votum zur Vertiefung der Union wäre dann auch das beste Instrument, um den Europa-Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen." dpa/afp/AZ