Recep Tayyip Erdogan ist ein fordernder Staatsgast – in jeder Hinsicht. „In Deutschland“, hat er Angela Merkel schon vor drei Jahren gesagt, „sollten Gymnasien gegründet werden können, die in türkischer Sprache unterrichten, und die Bundesregierung sollte darin kein Problem sehen.“ Bei Bedarf, bot er damals an, könne er gerne Lehrer aus der Türkei schicken, und wenn es irgendwann noch eine türkischsprachige Universität gebe: umso besser. „Wissenschaft“, findet Erdogan, „kennt keine Grenzen.“
Erdogan: Deutschland solle mehr Solidarität mit der Türkei zeigen
Diesmal hat er gar nicht erst gewartet, bis die Kanzlerin ihn empfängt, sondern seine Vorstellungen von einem neuen Miteinander schon vorab der Bild-Zeitung diktiert. Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung für eine gelungene Integration erkläre, warnt Erdogan da, „verletzt die Menschenrechte“. Eine junge Frau aus Anatolien etwa, die einen in Deutschland lebenden Türken heirate, müsse vorher nicht unbedingt Deutsch lernen, wie die Bundesregierung es inzwischen verlangt. „Ich bitte Sie“, sagt Erdogan. „Welche Sprache spricht die Liebe? Es kann doch nicht sein, dass die Liebe per Verordnung nur auf Deutsch funktionieren darf.“ Und auch sonst solle dieses Deutschland „viel mehr Solidarität“ mit der Türkei zeigen.
Die Verärgerung in Regierungskreisen ist groß
Eigentlich gehört es bei Staatsbesuchen zum guten Ton, Kritik diskret und diplomatisch vorzutragen – und nicht schon vorab per Interview. Entsprechend groß ist die Verärgerung in Regierungskreisen auch. Erdogans Äußerungen, sagt die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, „sind kontraproduktiv“. Der türkische Staat müsse lernen, die Migranten in Deutschland „loszulassen“. Deren Sprache sei jetzt Deutsch, sekundiert Innenminister Hans-Peter Friedrich. Erdogan habe das „offenbar noch nicht so richtig erfasst“. Eine doppelte Staatsbürgerschaft, wie Ankara sie fordert, kommt für ihn nicht infrage: Wer dauerhaft in Deutschland leben wolle, solle einen deutschen Pass beantragen. „Und dann sind sie eben keine Türken mehr.“ Diese Entscheidung, findet Friedrich, „muss man in seinem Leben irgendwann einmal treffen“.
Merkel: "Wir freuen uns über die Tore von Mesut Özil"
Beim Festakt zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens, zu dem Erdogan nach Berlin gekommen ist, ist anschließend vor allem von den Leistungen der türkischen Gastarbeiter und gelungener Integration die Rede. „Über die Tore von Mesut Özil“, sagt Angela Merkel, „freuen wir uns mindestens so wie die Menschen in der Türkei.“ Ganz unwidersprochen will sie Erdogans Interview dann aber doch nicht lassen. Natürlich gebe es Probleme und Missstände, sagt sie, allen voran bei der Bildung. Mit den bisherigen Fortschritten „können wir noch nicht zufrieden sein“. Die deutsche Sprache zu lernen und zu beherrschen sei für eine gute Integration „zwingend“. Bis zum Schulbeginn müsse jedes Kind einwandfrei Deutsch sprechen können. Und diese Förderung „beginnt im Elternhaus“.
Erdogan wirbt für mehr Unterstützung
Unausgesprochen schwingt darin der Vorwurf mit, dass in vielen türkischen Familien auch in der dritten Einwanderergeneration vor allem Türkisch geredet wird – was Erdogan offenbar für nicht ganz so dramatisch hält. Integration, sagt er nur vage, sei kein einseitiger Prozess. Es sei wichtig, dass „auch die Gesellschaft, die aufnimmt, dafür Angebote macht“. Viel lieber als über das eigentliche Thema dieses Tages redet er über den Kampf gegen den kurdischen Terror, in dem Europa sein Land nicht genügend unterstütze, und über den EU-Beitritt der Türkei. Auch hier hat Erdogan klare Vorstellungen von der künftigen Zusammenarbeit: „Deutschland ist das Land, von dem wir uns an erster Stelle Unterstützung erhoffen.“