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70. Geburtstag: Franz Beckenbauer, der letzte Kaiser

70. Geburtstag

Franz Beckenbauer, der letzte Kaiser

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    Ein lachender Kapitän Franz Beckenbauer und Torhüter Sepp Maier halten 1974 den eroberten WM-Pokal.
    Ein lachender Kapitän Franz Beckenbauer und Torhüter Sepp Maier halten 1974 den eroberten WM-Pokal. Foto: Werner Baum, dpa (Archiv)

    Franz Beckenbauer steht am Rande eines Trainingsfeldes im Münchner Stadtteil Giesing. Hier hat er als Kind gebolzt. Es ist kalt. Beckenbauer trägt Mantel und Kappe. Vor ihm hat sich eine Schar Halbwüchsiger aufgebaut. Beckenbauer reicht jedem die Hand: „Servus, griaßt’s eich.“ Eine Stimme aus dem Nichts fragt die jungen Fußballer so, wie man jemanden nach einem Außerirdischen fragen würde: „Habt ihr ihn euch so vorgestellt?“ Kurzes Schweigen. „A bisserl jünger vielleicht.“ Beckenbauers Unterkiefer schiebt sich zur Seite, wie immer, wenn er nachdenkt. „Ja“, sagt er, „jünger war ich auch mal. Aber das ist schon etwas her.“ So lange sogar, dass man fragen müsste, welchen Beckenbauer der Nachwuchs sich vorgestellt hat. Den Weltmeister-Spieler, den Weltmeister-Trainer, den Bayern-Präsidenten, den Mann, von dem es heißt, er habe die WM 2006 nach Deutschland geholt, oder den Fußball-Plauderer des Privatsenders Sky?

    Die Frage bleibt unbeantwortet. Der Fernseh-Regisseur Thomas Schadt, der Franz Beckenbauer anlässlich seines 70. Geburtstages am Freitag ein Jahr lang für die ARD begleitete, hat sie nicht gestellt – wie manch andere, heiklere Frage auch. „Fußball – ein Leben: Franz Beckenbauer“ ist am Sonntag gelaufen. Eine Hommage, glänzend verpackt. So, wie sie Jubilaren im Fernsehen gerne zuteilwird. Widersprüche bleiben draußen, wenn das Land seinen größten Fußball-Sohn feiert. Es ist ja auch nicht einfach, dem kaiserlichen Charme zu widerstehen. Viele sind ihm erlegen. Irgendwann fast die ganze Welt.

    Franz Beckenbauer wird von den Deutschen verehrt

    Dafür verehren ihn die Deutschen. Dafür haben sie früh zu ihm aufgeschaut. Dafür haben nicht nur Philosophie-Professoren und Amtsratsgattinnen darüber hinweggesehen, dass er Fußballer ist. Dabei ist er das bis heute zuallererst. Der beste, den dieses Land hervorgebracht hat. Was in den 60er Jahren, als die Republik noch ihre braune Vergangenheit spürte und Frauen Blümchenschürzen trugen, freilich mehr zählte: Beckenbauer verkörperte Eleganz. Da war es egal, ob er kurze Hosen oder einen albernen Pelzmantel trug. Nur ein Ball musste her – und dieser schlaksige Münchner bezauberte.

    So wie Beckenbauer wollte jeder kicken, der auf Hinterhöfen zwischen Wäschestangen dribbelte. Den Kopf oben, den Oberkörper gerade wie ein Tangotänzer. Nur Beine und Hüfte in Bewegung – so hat der junge Beckenbauer den Ball mit dem Außenrist über Europas Fußballfelder gestreichelt. Majestätisch und kaiserlich. Den Ehrentitel „Kaiser Franz“ verdankt er einem Fotografen, der den Hochbegabten zusammen mit einer Büste des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. fotografiert hat. Das hat zum vornehmen Spiel gepasst und ist geblieben. Am Ende aller 90 Minuten war Beckenbauers Trikot meist fleckenlos. Harte Arbeit überließ der Sohn eines Oberpostsekretärs anderen. Ob das schon in seinem erlernten Beruf als Versicherungskaufmann bei der Allianz, zuständig für die Vertragspolicen mit den Endziffern sechs und sieben, so war, mag zu seinem 70. niemand mehr ermitteln. Dass ihn die Frauen mochten, war dagegen unbestritten. Franz Beckenbauer wird 70: "Jetzt hat es ihn erwischt"

    Mit 18 war er zum ersten Mal Vater. Sohn Michael, 52, kümmert sich heute um die Finanzen des Vaters. Von der Mutter hat sich Franz getrennt. Es kamen andere. Brigitte, mit der er verheiratet war. Diane Sandmann, die Fotografin, die ihn für drei Jahre nach New York begleitete. Sybille, seine zweite Ehefrau. Und Heidi, die dritte.

    Das alles war noch weit weg, als der fünfjährige Franz in der „Bowazu“-Mannschaft kickte. Dem Team der Straßenfußballer, die in der Bonifatius-, der Watzmann- oder der Zugspitzstraße lebten. Die Beckenbauers bewohnten zu acht eine Zweizimmerwohnung. Er war der Kleinste, durfte aber mit den Großen spielen. Und er schoss Tore. Als Mittelstürmer in der Jugend des FC Bayern in einer ersten Saison einmal über 100.

    Eigentlich wollte Franz Beckenbauer zu den Münchner Löwen wechseln

    Dass er überhaupt bei den Roten gelandet ist, hat er Gerhard König aus Füssen zu verdanken. Eigentlich wollte Beckenbauer damals zu den Münchner Löwen wechseln. Dann aber kam jenes Spiel, in dem der spätere Kaiser mit seinem SC 1906 auf den jungen König traf, der für die zweite Mannschaft der Löwen spielte. Nominell im Tor der ersten Jugend, aber bei Bedarf auch als Verteidiger in der zweiten. „Wir haben gehackelt. Es war eine saublöde Situation. Ein Wort hat das andere gegeben“, erinnert sich König, der ein Jahr älter ist als Beckenbauer. Es folgte eine geschichtsträchtige Watschn. Stolz war König darauf nicht: „Ich hab’ später gedacht: Warst du blöd.“ Franz Beckenbauer war damit die Lust auf 1860 München vergangen. Seine Weltkarriere fand beim FC Bayern statt. Mit Beckenbauer als Spieler, Trainer und Präsident sammelte der Klub mehr Titel als jeder andere deutsche Verein. Der FC Bayern wurde Rekordmeister und Weltmarke.

    Gerhard König zog derweil nach Füssen und übernahm dort einen Gasthof. Er behielt lange für sich, dass er es war, der für Beckenbauer die Weichen gestellt hatte. Auch „aus Sorge, dass mir Chaoten meine Wirtschaft auseinandernehmen“. Vor einigen Jahren hat er sich doch offenbart. Der Bayerische Rundfunk brachte König und Kaiser zusammen. Ein Treffen, das der Wahl-Allgäuer als „angenehm und leger“ in Erinnerung hat.

    Leger – so lassen sich Begegnungen mit Beckenbauer am besten beschreiben. Leger aber war er immer nur jenseits des Fußballs. Als Spieler und Trainer mag er lässig gewesen sein, gegen das Nachlässige aber war er gnadenlos. Neben ihm einen Fehlpass zu spielen, war so furchtbar, wie als erster Geiger bei Karajan den Ton nicht zu treffen. Der Bedauernswerte wünschte sich eine Erdspalte, die ihn für drei Wochen verschluckt. Den wilden Kaiser erlebte die Welt vor allem 1990 als Teamchef der Weltmeisterelf. 1966 im verlorenen Finale von Wembley mit dem berühmtesten Tor, das keines war, erschien Beckenbauer noch als zurückhaltendes Jahrhunderttalent. Bei der WM 1970 in Mexiko war er schon heldenhafter Anführer, der mit dem Arm in der Schlinge die Italiener aufzuhalten versuchte. Er hat damals den Libero kultiviert. Den freien Mann, der für Eleganz, Kunst und Aufbruch steht.

    Beckenbauers Sohn Stephan starb an einem Gehirntumor

    1974 war Beckenbauer einen Schritt weiter. Als Verhandlungsführer im Streit mit dem Deutschen Fußball-Bund um die WM-Prämie. Deutschland schlug Holland im Finale 2:1. Beckenbauer & Co. kassierten 70000 Mark plus einen VW Käfer. Dabei ist Beckenbauer, anders als Uli Hoeneß, in Finanzfragen blauäugig und am Geld eher mäßig interessiert. Beckenbauer hat Talent, Menschen um sich zu scharen, die ihn weiterbringen. Er lässt sich helfen und hilft selbst. Es gibt die Beckenbauer-Stiftung und den Franz, der gerne Ja sagt. Der deutschen WM-Bewerbung 2006 gab er sein Gesicht. Er flog in beinahe jedes Land der Welt.

    Wer so viel unterwegs ist, tanzt mitunter auch auf den falschen Hochzeiten. Dass es um die WM-Vergabe nach Deutschland Unstimmigkeiten gab, perlt am Kaiser ab. Der Mann hat als Mitglied des Fußball-Weltverbandes bei der skandalösen Vergabe der WM-Turniere 2018 und 2022 an Russland und Katar mit abgestimmt und nach einem Besuch der menschenunwürdigen Baustellen in Katar erklärt, er habe dort keine Arbeitssklaven gesehen. Es ist sein Privileg, dass er sagen konnte, was er wollte, ohne dafür die Rote Karte zu sehen. Die Deutschen haben ihrem Kaiser die dümmsten Sätze verziehen. „Ja mei, der Beckenbauer“, dann lassen sie ihn sich durchfranzeln. Irgendwann aber kommt der Moment, an dem das Schicksal auch eine Lichtgestalt nicht mehr einfach ziehen lässt.

    Vor vier Wochen ist Beckenbauers Sohn Stephan an einem Gehirntumor gestorben. Der 46-Jährige war seinem Vater sportlich am nächsten gekommen. Einige Bundesligaspiele für Saarbrücken, dann Nachwuchstrainer beim FC Bayern. Seinen Vater hat Stephan erst spät besser kennengelernt. Der Fußball-Star war wenig zu Hause gewesen. Die Erziehung der beiden Söhne Stephan und Thomas, heute Psychiater, war Muttersache. „Irgendwie gestört“ sei damals das Verhältnis zum Vater gewesen, hat Stephan gesagt. Der Senior bedauert mittlerweile, dass er für seine ersten Kinder nicht der Vater war, den er für seine späten zwei Kinder, Joel, 15, und Francesca, zwölf, ist.

    Zum Beckenbauer-Anwesen in Salzburg gehört auch ein Fußball-Court, in dem Franz, Joel und Francesca gelegentlich kicken. Der Kaiser spielt noch immer mit dem Außenrist. Man muss ihn sich nicht jünger vorstellen. Wahrscheinlich hat noch nie ein 70-Jähriger so elegant einen Ball gespielt wie der deutsche Franz.

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