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Region: Flüchtlingskrise, wo bist du?

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Flüchtlingskrise, wo bist du?

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    Aamer Abu Bader an seinem neuen Arbeitsplatz: Der Palästinenser soll im Donauwörther Freibad anderen Flüchtlingen erklären, was sich in einem deutschen Schwimmbad gehört.
    Aamer Abu Bader an seinem neuen Arbeitsplatz: Der Palästinenser soll im Donauwörther Freibad anderen Flüchtlingen erklären, was sich in einem deutschen Schwimmbad gehört. Foto: Ulrich Wagner

    Favour nimmt das nächste Kärtchen, das auf dem Tisch liegt. Dann liest der 15-Jährige vor: „Sie ist kein Apfel, aber man kann sie trotzdem schälen.“ Omar, der junge Syrer neben ihm, legt die Stirn in Falten. „Potatoe“, murmelt Favour. Aber das deutsche Wort dafür fällt ihm nicht ein. Und das ärgert ihn. Weil er doch schon vor sechs Monaten aus Nigeria nach Deutschland gekommen ist. Und weil das nicht so schwer sein kann mit der Sprache. „Ka – Ka – Kartoffel“, sagt Favour dann und blickt die Lehrerin fragend an. Sie nickt. „Genau, Kartoffel.“

    Stimmen schwirren durch den Raum des Café Ubuntu in Donauwörth, immer wieder trudeln Asylbewerber ein, die noch an der Deutschstunde teilnehmen wollen. Dazwischen sitzt Mara Kutzner mit anderen Ehrenamtlichen und sagt: „Es läuft richtig gut.“ Da ist das Ferienprogramm für Flüchtlinge und die vielen Helfer, die sich für die „Aktion Anker“ engagieren, auch nach den aufreibenden Monaten der Flüchtlingskrise. Und da ist die gute Nachricht, dass zwei Asylbewerber eine Lehre starten – der eine als Maler, der andere als Kfz-Mechatroniker. Und da sind die kleinen Erfolge, die Kutzner und den Helfern Mut machen. Und wenn es nur ein einfaches, deutsches Wort ist.

    Und dann ist da die Frage nach der Stimmung, die man stellen muss – in der 19.000-Einwohner-Stadt, in der das Flüchtlingsthema, wohl mehr noch als in anderen Kommunen, die öffentliche Debatte bestimmt hat. Also, wie ist die Stimmung in Donauwörth? Kutzner überlegt lange, ringt um eine Antwort und tut sich doch schwer. „Das kann ich so nicht sagen.“

    "Sozialer Friede auf das Schärfste gefährdet"

    Vielleicht ist die Antwort aber auch schwierig in einer Stadt, in der das Thema derart kontrovers diskutiert wurde, in der vor einem Jahr dicke Luft herrschte, als die Pläne der Staatsregierung offenkundig wurden: In der früheren Kaserne in der Parkstadt sollte ein Rückführungszentrum entstehen. 1500 Balkan-Flüchtlinge, die meisten ohne Chance auf Anerkennung, in einem Stadtteil mit 4300 Einwohnern, wo in den 90er Jahren 700 Russlanddeutsche aufgenommen worden sind. Bürger sammelten Unterschriften gegen das Abschiebezentrum, der Stadtrat verabschiedete eine Resolution, Oberbürgermeister Armin Neudert polterte gar: „Wenn das Asylzentrum kommt, stiehlt die Staatsregierung unsere Zukunft.“

    Neuderts Stellvertreter Jörg Fischer sitzt an diesem Vormittag im Rathaus, erzählt von jenen nervenaufreibenden Tagen im August 2015 und sagt: „Das war der Hammer.“ Weil die Pläne der Staatsregierung zum einen die Bemühungen der Stadt durchkreuzten, das ehemalige Kasernengelände in ein Wohnviertel umzuwandeln. „Und der soziale Friede in der Parkstadt wäre auf das Schärfste gefährdet gewesen.“ Fischer weiß, wovon er spricht. Als Quartiermanager hat er über Jahre daran gearbeitet, aus dem Viertel mit einem schlechten Ruf einen lebenswerten Stadtteil zu formen.

    Dass es anders kam, dass in der Kaserne statt des Abschiebezentrums heute Schwabens größte Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht ist, führt Fischer nicht auf Glück zurück. „Es war die Wirksamkeit von Argumenten“, sagt er. Und wie ist das nun, mit der Stimmung? Die Donauwörther hätten gelernt, mit dem Flüchtlingsheim in der Nachbarschaft zu leben. „Die Bürger denken sich nichts Großartiges mehr dabei“, sagt Fischer.

    Zahl der Flüchtlinge drastisch gesunken

    Dabei hat sich die Stimmung in Deutschland, ein Jahr nach dem Flüchtlingsansturm, merklich gedreht. Von der viel beschworenen Willkommenskultur ist kaum noch etwas zu spüren. Aber auch die hitzigen öffentlichen Debatten scheinen vorbei zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass die Zahl der Flüchtlinge drastisch gesunken ist. Dass damit auch die dramatischen Bilder verschwunden sind.

    Auch in Donauwörth gibt es sie nicht mehr, die Busse, die im Stundentakt vor der Kaserne halten. 1000 Flüchtlinge könnten hier insgesamt untergebracht werden. Im Moment sind nur 328 Betten belegt. Frank Kurtenbach von der Regierung von Schwaben führt durch großzügige Wartebereiche, dorthin, wo die Flüchtlinge untersucht und erfasst werden. Vor Monaten standen die Menschen hier Schlange. An diesem Tag sind nur drei junge Männer aus Eritrea da.

    Bis zu 100 Menschen am Tag können hier registriert werden. Inzwischen ist das ohne Probleme zu schaffen, sagt Kurtenbach. Weil die Strukturen dafür vorhanden sind. Weil es die Registrierungsformulare in 18 Sprachen gibt. Und weil mit den Maltesern ein Partner gefunden wurde, der die Flüchtlinge betreut. „Aber damals sind wir ja überrollt worden“, sagt Heimleiterin Alexandra Reinhardt. Am Anfang hatte sie hier weder Computer noch Internet, nicht einmal ein Büro.

    ---Trennung _"Böse, böse Ausländer" in Mering_ Trennung---

    Gut 60 Kilometer weiter südlich sitzt Hans-Dieter Kandler in seinem Büro im Rathaus und spricht über das, was die Marktgemeinde Mering im Kreis Aichach-Friedberg vor knapp einem Jahr überrollt hat. Über die Straftat. All die Gerüchte. Und die Vorurteile gegenüber den „bösen, bösen Ausländern“. Mitte September war eine 16-Jährige nahe des Bahnhaltepunktes St. Afra vergewaltigt worden. Die Täterbeschreibung lenkte den Verdacht auf die im Ort untergebrachten Asylbewerber. „Wums! Innerhalb nur eines Tages ist die Stimmung umgeschlagen“, erinnert sich der Bürgermeister. Dass die Unschuld der Flüchtlinge in Mering durch einen DNA-Test belegt werden konnte, stoppte die Verdächtigungen nicht: Der Vergewaltiger habe sich in einer Unterkunft in der Kanalstraße versteckt, hieß es. Ein anderes Mal wurde gemunkelt, er sei geflohen und andere Flüchtlinge hätten ihn gedeckt. Besorgte Eltern warnten in sozialen Netzwerken und ließen ihre Kinder nicht allein auf die Straße.

    Die größten Ängste der Deutschen

    8. Krieg mit deutscher Beteiligung (54 Prozent, plus 13 Prozent) und Steigende Lebenshaltungskosten (54 Prozent, plus 6 Prozent)

    7. schwere Erkrankung (55 Prozent, plus 8 Prozent)

    6. Pflegefall im Alter (57 Prozent, plus 8 Prozent)

    5. Überforderung der Politiker (65 Prozent, plus 17 Prozent) und Kosten für Steuerzahler durch Schuldenkrise von EU-Staaten (65 Prozent, plus 1 Prozent)

    4. Überforderung von Deutschen und Behörden durch Flüchtlinge (66 Prozent, plus 16 Prozent)

    3. Spannungen durch den Zuzug von Ausländern (67 Prozent, plus 18 Prozent)

    2. Politischer Extremismus (68 Prozent, plus 19 Prozent)

    1. Terrorismus (davor haben 73 Prozent der Befragten Angst. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 21 Prozent)

    Auch für Maureen Lermer waren es schlimme Tage. Die Meringer Asylkoordinatorin, 44, ist eine quirlige Frau, eine, die etwas verändern will, die nicht aufgibt. Gerade erst hat sie mit Fevor, der jungen Nigerianerin mit dem Baby, telefoniert, weil es in ihrer Unterkunft kein warmes Wasser gibt. Morgen will Lermer nach München fahren, Computer abholen, die gespendet wurden. Und eine Wohnung für Abdo, den jungen Syrer, suchen. Die Frau aus Kamerun behandelt die Flüchtlinge auf Augenhöhe. Auch deswegen hat es sie so getroffen – all die Verdächtigungen nach der Tat, die aufgeheizte Stimmung im Ort, das spürbare Misstrauen. „Es war anders. Für viele waren sie nicht mehr die Asylanten, sondern die Vergewaltiger.“ Auch unter den Männern im Asylbewerberheim ging die Angst um. Lermer berichtet von Autos, die abends an der Unterkunft vorbeirasten, von Drohungen und wüsten Beschimpfungen. „Man muss sich das mal überlegen. Viele der Männer kommen aus einem Land, in dem Krieg herrscht.“

    Und dann war die Bürgerversammlung im Oktober. Kandler sagte: „Diese Dreckskerle haben die Angst nach Mering gebracht.“ Manche äußerten Sorgen, andere machten ihrer Wut über die Flüchtlingspolitik Luft. Der Ton, den einzelne Bürger damals anschlugen, die Heftigkeit der Debatte, die Hetze, „das hat mich überrascht“, sagt Kandler. Und doch sei dieser Abend wichtig gewesen, vor allem weil die „schweigende Mehrheit“ zu Wort kam. „Das hat die Stimmung besänftigt“, sagt Kandler.

    Die Erleichterung in Mering ist groß - oder?

    Vor wenigen Wochen dann das große Aufatmen im Ort: Die Polizei hat den mutmaßlichen Vergewaltiger gefasst, einen 27-jährigen Flüchtling, der wohl aus Tunesien stammt und zuletzt in Mittelfranken untergebracht war. Einen direkten Bezug zu Mering gab es nicht.

    Und jetzt? Lermer, die Asylkoordinatorin, sagt: „Die Erleichterung ist groß – und irgendwie auch nicht.“ Weil der Täter ja doch ein Flüchtling war – und seine Tat auf alle anderen zurückfällt. Weil die jüngsten Bluttaten in Ansbach und nahe Würzburg die Stimmung noch einmal aufgeheizt haben. Die Meringer gingen mit dem Thema Flüchtlinge vernünftig um, sagt Kandler. Im Internet gibt es sie noch immer, die allgemeine Hetze gegen Flüchtlinge. „Mei, es gibt halt viele Schwätzer“, sagt einer, der unweit der Flüchtlingsunterkunft in der Kanalstraße wohnt. Und dass sich die Dinge längst normalisiert hätten. Damals seien viele Frauen nicht ohne Pfefferspray aus dem Haus. „Jetzt denkt keiner mehr daran.“

    Kandler hofft, dass endgültig Ruhe einkehrt. Weil er so ein Jahr nicht noch einmal braucht. Und weil es auch so – ohne neue Flüchtlingsströme, ohne Straftaten – Probleme genug gibt. 138 Asylbewerber sind derzeit im Ort untergebracht. Jetzt, ein Jahr nach der großen Flüchtlingswelle, geht es nicht mehr darum, wie man sie registriert und unterbringt. Viele sind inzwischen anerkannt. Sie müssten Deutsch lernen, einen Arbeitsplatz finden und eine Wohnung – in einer Gegend, in der Wohnraum knapp und teuer ist, ein schwieriges Unterfangen. „Jetzt geht die Arbeit erst richtig los“, sagt der Bürgermeister.

    Aamer Abu Bader, den alle nur Abu nennen, ist da schon einen Schritt weiter. Nach gut zwei Jahren in Deutschland kann sich der 29-Jährige einigermaßen verständigen. Und er hat einen Job gefunden. Zwei Tage die Woche versucht er hier, im Freibad Donauwörth, anderen Flüchtlingen zu erklären, was sich in einem deutschen Schwimmbad gehört und was nicht. Das klappt, wenn jemand Arabisch oder Französisch versteht, sagt Abu. In anderen Sprachen aber stößt der junge Mann aus Palästina schnell an seine Grenzen. Notfalls gibt es dann die Broschüre, in der die Baderegeln aufgelistet sind – in sieben Sprachen.

    Benimmkurs für Flüchtlinge

    Zu bereden gäbe es genug, sagt Bademeister Robert Blaschek. Nicht nur, weil das Freibad direkt gegenüber der Erstaufnahmeeinrichtung liegt, weil alle paar Wochen neue Flüchtlinge dort ankommen, die die Regeln lernen müssen. Sondern auch, weil es immer wieder Probleme gibt. Da ist zum einen die Sache, dass man nicht in Unterwäsche ins Wasser gehen kann. Und die Schwierigkeit, dass sich viele junge Männer von den Mitarbeiterinnen „gar nichts sagen lassen“. Und dann gibt es die Fälle, in denen Flüchtlinge Frauen einfach hinterherlaufen, sie fotografieren oder gar filmen. „Wir haben immer wieder Beschwerden deswegen“, sagt Blaschek. So mancher, hört man in der Stadt, zieht mittlerweile den Baggersee vor. Erst recht, wenn es Vorfälle gibt wie den Ende Mai. Damals hatte ein 26-jähriger Asylbewerber eine Elfjährige auf der Wasserrutsche begrapscht.

    Klar ist aber auch: Das ist die Ausnahme. „Es gibt Flüchtlinge, die sehr freundlich fragen, in welches Becken sie gehen dürfen“, sagt Blaschek. In der Nachbarschaft berichten die einen davon, dass sie von den Flüchtlingen gar nichts mitbekommen. Andere erzählen von Asylbewerbern, die ungefragt Grundstücke überqueren oder auf fremden Autos für Fotos posieren.

    142 Flüchtlinge sind über die Erstaufnahmeeinrichtung hinaus in Donauwörth untergebracht. Fischer, der Bürgermeister, sagt: „Es ist unsere Aufgabe, ihnen die Grundzüge unserer Gesellschaft zu erklären. Wir müssen die Regeln vorgeben.“ Er hat unlängst einen Benimmkurs für Flüchtlinge gegeben. Und wenn er junge Männer auf der Wiese sitzen sieht, spricht er sie an, dass sie doch ihren Müll mitnehmen sollen. „Die Deutschen schauen genau, was ihr tut“, sagt er dann.

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