Verheiratet mit 14, der Kindheit entrissen. Ein syrisches Mädchen wurde in diesem Alter mit ihrem sechs Jahre älteren Cousin nach islamischen Recht verheiratet. Ein Fall von vielen. Sie flüchteten nach Deutschland. Das Thema Kinderehen, das sonst so weit weg scheint, ist plötzlich in Bayern präsent. Das Aschaffenburger Jugendamt erkannte die Ehe des syrischen Mädchens nicht an, trennte das Paar und nahm die inzwischen 15-jährige Syrerin zwangsweise in Obhut. Doch das Oberlandesgericht Bamberg hob diese Entscheidung in einem bundesweit aufsehenerregenden Urteil wenig später nach einer Klage des Mannes wieder auf.
Die Bamberger Richter berufen sich auf die Rechtspraxis, wonach in Deutschland Ehen nach dem Recht des Herkunftslandes anerkannt würden. Allerdings sind Zwangs- ehen in Deutschland strafbar; viele Juristen sind zudem der Meinung, dass Kinderehen den Prinzipien der deutschen Rechtsordnung widersprechen und schon deshalb nicht anerkannt werden dürften. Die Stadt Aschaffenburg legte deshalb Beschwerde gegen das Bamberger Kinderehe-Urteil ein. Nun soll der Bundesgerichtshof entscheiden.
Nach dem Fall in Bayern wird nun parteiübergreifend der Ruf nach einem schärferen Ehegesetz laut. Denn mit den Flüchtlingen kommen immer mehr minderjährige und bereits verheiratete Mädchen nach Deutschland. Bis April 2016 zählten Flüchtlingsunterkünfte nach Angaben des bayerischen Sozialministeriums allein in Bayern 161 vermählte Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren; 398 weitere waren zwischen 16 und 18 Jahre alt. Genauere Altersangaben machen die Behörden nicht. Deutschlandweit sind es nach verschiedenen Medienberichten über tausend Fälle sogenannter „Frühehen“ unter Flüchtlingen. Experten gehen von einer weitaus höhern Dunkelziffer aus.
In Bayern steigt die Zahl der registrierten verheirateten Mädchen unter 18 Jahren besonders stark. In Nordrhein-Westfalen sind es – zum Vergleich – nach einer Auswertung der Bezirksregierung Arnsberg seit 2015 188 Fälle. In Baden-Württemberg haben die Behörden 117Verheiratete unter 18 registriert.
Unklare Gesetze zur Kinderehe
Konkrete Angaben, wie alt die Ehemänner in der Regel sind oder wann die Ehen geschlossen wurden, sind kaum zu finden. Das bayerische Sozialministerium kann dazu keine Aussage treffen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt nach eigenen Angaben hierzu keine Statistiken über die Asylbewerber. Erschreckende Zahlen liefert jedoch das UN-Kinderhilfswerk: Unicef schätzt, dass jedes Jahr zehn bis 14 Millionen Mädchen zu früh und mit weitaus älteren Ehemännern verheiratet werden.
In Deutschland sind die kommunalen Jugendämter für die minderjährigen Bräute zuständig. Darauf verweist auch der Deutsche Städtetag, der ebenfalls keine offiziellen Fallzahlen listet. Doch wie gehen die Jugendämter mit den Kinderehen um? Laut dem bayerischen Sozialministerium werden unbegleitete minderjährige und verheiratete Flüchtlinge vom Jugendamt in Obhut genommen und nicht mit einem eventuell in Deutschland lebenden Ehepartner zusammengeführt. Kommen sie aber mit Ehepartner nach Deutschland, muss ein Familiengericht einen Vormund bestellen. Im Fall aus Aschaffenburg ist das nun der syrische Ehemann.
In vielen Ländern, aus denen die Flüchtlinge stammen, sind Kinderehen teils legal oder werden zumindest geduldet. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, kritisiert dies scharf: „Ob man es religiös oder kulturell begründet, ist einerlei. Es verbirgt sich der schlichte Sachverhalt dahinter, dass sich ältere perverse Männer über junge Mädchen hermachen und sie missbrauchen.“ Das Wort Kinderehe sei verharmlosend. Hinter diesen Ehen stecken Experten zufolge jedoch oft die Familien der Mädchen, die die Ehen arrangierten.
Folgen von Kinderehen seien verheerend
Die meisten jungen Frauen und Mädchen seien auf diese Weise verheiratet, wenn die Paare in Deutschland ankommen, sagen Vertreter von Menschenrechtsorganisationen. Die Folgen für Kinderbräute sind nach Berichten der SOS-Kinderdörfer verheerend: Die Mädchen werden sozial abgeschottet und teilweise sogar aus den Schulen genommen. Daneben werden die jungen Frauen oder Kinder demnach oft Opfer von häuslicher Gewalt oder gar sexuellen Missbrauchs. Die Weltgesundheitsbehörde WHO nennt als zweithäufigste Todesursache von Kinderbräuten die Geburt eines Kindes, gefolgt von Selbstmord.
Wie die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ schreibt, sind es hauptsächlich Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die nach in ihrem Heimatland gültigen Recht verheiratet nach Deutschland kommen. Terre-des-Femmes-Referentin Monika Michell sieht in den Früh- und Zwangsehen große Probleme für die betroffenen Mädchen. Wer jung ist, hat ihr zufolge oftmals keine Vorstellung, was eine Ehe bedeutet. Kinder und Jugendliche könnten sich nicht wehren. „Eine Jugendliche kann die Folgen einer Heirat oft nicht abschätzen“, betont Michell.
Heiratsgründe seien oftmals die finanzielle Notlage von Familien oder die Sorge um die Sicherheit der Töchter – etwa im von Krieg und Terror geprägten Syrien. Zudem gehe es um „Familienehre“. Michell erklärt, dass viele Familien Angst hätten, Töchter würden die Jungfräulichkeit verlieren. Nach Ansicht mancher Familien trete ein Ehrverlust schon ein, wenn ein Mädchen nur mit einem anderen Mann gesehen wird. Terre des Femmes fordert von der Bundesregierung, das Alter für eine Heirat auf 18 Jahre hochzusetzen – ohne Ausnahme.
Gesetzliche Regelung notwendig?
In Deutschland glaubt kaum jemand daran, dass der Anstieg an Frühehen ohne gesetzliche Regelung gebremst werden kann. Auch im bayerischen Sozialministerium sagt eine Sprecherin, dass nur ein Gesetz der steigenden Zahl an Kinderehen entgegenwirken könnte.
So betont der bayerische Justizminister Winfried Bausback: „Kinderehen muss durch unsere Rechtsordnung eine klare Absage erteilt werden. Das ist keine Frage von Toleranz.“ Es gehe um den Schutz von Minderjährigen. Der CSU-Politiker schickte bereits einen fertig formulierten Gesetzesentwurf an das Bundesjustizministerium, um die Anerkennung von Ehen von unter 16-Jährigen künftig auszuschließen.
Das Verlangen nach einer Verschärfung des Ehegesetztes nach deutschem Recht geht der Meringerin Eleonore Broitzmann nicht weit genug. Sie setzt sich seit 1996 für die Frauenrechte in der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit ein und kritisiert seit langem auch das Kirchenrecht, das Ehen ab 14 Jahren erlaubt. Auch wenn die evangelische und katholische Kirche Vermählungen in solch jungem Alter nach eigenen Angaben nicht praktizieren. Das Kirchenrecht sei jedenfalls ein falsches Vorbild, sagt sie.
Die Justizministerkonferenz von Bund und Ländern prüft nun auf Antrag Nordrhein-Westfalens, ob in Deutschland generell und ausnahmslos erst ab 18 Jahren geheiratet werden darf und im Ausland geschlossene Ehen sonst nicht anerkannt werden dürfen. Kommende Woche will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) mit den Ländern über eine Anpassung des deutschen Gesetzes reden – für einen besseren Schutz für die Kinder.