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Piratenpartei: Fertig zum Entern!

Piratenpartei

Fertig zum Entern!

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    Die Piratenpartei hat bei der Berliner Wahl gute Chancen, erstmals den Sprung in ein Landesparlament zu schaffen (hier Bundesvorsitzender Sebastian Nerz vor dem Logo der Piratenpartei).
    Die Piratenpartei hat bei der Berliner Wahl gute Chancen, erstmals den Sprung in ein Landesparlament zu schaffen (hier Bundesvorsitzender Sebastian Nerz vor dem Logo der Piratenpartei). Foto: dpa

    Sie wollen nicht nur anders sein als die anderen. Sie sind auch anders als die anderen. Noch jedenfalls. Personenkult, zum Beispiel, lehnen sie kategorisch ab. Ihren Spitzenkandidaten für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, den 32-jährigen Industrieelektroniker Andreas Baum, hauptberuflich im Kundendienst eines Netzbetreibers tätig, haben sie per Los bestimmt, obwohl dieser gar nicht auf den ersten Platz der Liste wollte. Doch nachdem er bei der Nominierungsversammlung genauso viele Stimmen erhielt wie ein Mitbewerber, musste das Los entscheiden.

    Und auch mit ihren Plakaten unterscheiden sie sich von allen anderen. Während die Berliner CDU in großen Buchstaben „Lösungen. Jetzt“ verspricht, heißt es bei ihnen ironisch: „Wir sind die mit den Fragen. Ihr seid die mit den Antworten“. Und auf einem anderen steht: „Warum häng ich hier eigentlich, ihr geht ja eh nicht wählen“.

    Zahmen und unspektakulären Wahlkampf gehörig aufgemischt

    Die Piratenpartei ist dabei, einen langweiligen, unspektakulären, geradezu zahmen und reichlich inhaltslosen Wahlkampf in Berlin, wo am kommenden Sonntag ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, aufzumischen und für eine politische Sensation zu sorgen.

    Nach jüngsten Umfragen liegen die Polit-Freibeuter zwischen 5,5 und 6,5 Prozent und könnten somit auf Anhieb den Sprung ins Landesparlament schaffen, im Gegensatz zur FDP, die nur bei drei Prozent landet. Und als fast schon sicher gilt, dass sie in mehrere Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) einziehen werden, da dafür nur drei Prozent notwendig sind. An Selbstbewusstsein jedenfalls mangelt es den jungen Netzaktivisten nicht, so luden sie schon mal im altehrwürdigen Rathaus Schöneberg, wo die BVV des Bezirks Tempelhof-Schöneberg tagt, zum „Probesitzen“ ein.

    Ihre Enterhaken haben die Piraten ausgefahren. Während sich die vier „Großen“ in der Hauptstadt, SPD, CDU, Grüne und Linke, nur mit Samthandschuhen anfassen, weil sie alle irgendwie hoffen, in den nächsten fünf Jahren in welcher Konstellation auch immer regieren zu können, und daher eifrig bemüht sind, die Hürden für künftige Bündnisse nicht allzu hoch zu legen, greifen sie mit dem Charme der Nicht-Angepassten, der Außenseiter, der Alternativen an. 12000 Plakate haben sie aufgehängt, vier Mal so viele wie bei der Bundestagswahl. Und jetzt wurde auch noch bekannt, dass sie von einem IT-Unternehmen eine Spende von 20000 Euro erhalten haben, was ihnen im Schlussspurt nochmals Auftrieb verleiht.

    Netzaktivisten profitieren von vielen Grünen-Sympathisanten

    Die Netzaktivisten treffen nicht nur den Nerv vieler jüngerer Internetnutzer, der in Berlin sehr starken „Digitalen Boheme“, sondern profitieren auch von vielen Grünen-Sympathisanten, die sich von den Grünen enttäuscht abwenden, weil sie zu angepasst und etabliert wirken. „Sie reden von Bürgerbeteiligung und machen dann doch, was sie für richtig halten“, sagt der Pirat Christopher Lauer, der auf Platz zehn der Liste kandidiert.

    Mit dem klassischen Rechts-Links-Schema können und wollen die Piraten nichts anfangen. „Früher haben wir immer gesagt, wir sind weder links noch rechts, sondern vorne“, bringt es Spitzenkandidat Andreas Baum auf den Punkt, auch wenn man vom Gedankengut SPD, Grünen und Linken näher stehe. Über das Wahlprogramm durften die Mitglieder basisdemokratisch im Internet beraten und abstimmen, herausgekommen ist dabei ein buntes, manchmal auch reichlich diffuses skurriles „Wunschprogramm“.

    Neben den klassischen Themen wie Netzfreiheit, Datenschutz und Bürgerrechte finden sich nämlich auch Forderungen wie freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr, Verstaatlichung der Energie- und Wasserversorgung, bedingungsloses Grundeinkommen, „Rauschunterricht“ an den Schulen oder freier Zugang zu allen Fluss- und Seeufern. Man habe nicht zu allem eine Meinung, gibt Spitzenkandidat Andreas Baum offen zu, „wir sagen nur zu den Themen etwas, von denen wir wirklich etwas verstehen“. Ihren Wählern versprechen die Piraten volle Mitsprache und Transparenz, so wollen sich ihre Kandidaten, sollten sie ins Abgeordnetenhaus einziehen, vor allen Entscheidungen im Parlament die Meinung der Basis via Internet einholen.

    Die etablierten Parteien nehmen die Konkurrenz jetzt ernst

    Immerhin, die Zeiten, in denen die Piraten von den großen Parteien belächelt worden sind, sind vorbei, jedenfalls in Berlin. Auch wenn ihnen die Etablierten unisono vorwerfen, nur eine Ein-Themen-Partei zu sein, reichlich naiv an die Probleme heranzugehen und zu vielen wichtigen Fragen der Stadtentwicklung keine Antwort zu haben, geben SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit wie seine Grünen-Herausforderin Renate Künast zu, dass sie die Piraten ernst nehmen. Künast gibt sogar die Devise aus: „Auch Piraten kann man resozialisieren.“ Denn sie wissen ganz genau: So fingen vor 30 Jahren auch die Grünen an. Und heute stellen sie schon einen Ministerpräsidenten. AZ

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